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Technik und Identitaet - Workshop des Graduiertenkollegs ‚Genese, Strukturen

und Folgen von Wissenschaft und Technik' der Universitaet Bielefeld am 7. und 8. Juni 2001

Bisher interessierte sich die Technikforschung vor allem fuer die instrumentelle Dimension von Technik. Neben dieser Mittelhaftigkeit liegt ein weiteres Charakteristikum von Technik in ihrem symbolischen Gehalt. Der symbolische Gehalt soll im Rahmen des Workshops in den Mittelpunkt gerueckt werden: Die mediale oder kommunikative Dimension von Technik eroeffnet einen Moeglichkeitsraum zur Darstellung von Identitaeten. Welche Bedeutungen besitzen unterschiedliche Technologien fuer die Bildung, Vermittlung und Stabilisierung von Identitaeten? Die Rede von Identitaeten hat in der Kulturgeschichte und in einigen sozialwissenschaftlichen Feldern Konjunktur, jedoch ist aus technikhistorischer, -soziologischer und -philosophischer Perspektive wenig darueber zu erfahren. Der Workshop soll klaeren, was Technisierung fuer gesellschaftliche, kulturelle, professionelle und personelle Identitaetenbildung und -vermittlung bedeutet. Welche Problemstellungen der Technikforschung legen eine Beruecksichtigung identitaetsbezogener Perspektiven nahe? Wie verhalten sich verschiedene technikspezifische Formen der Identitaetenbildung zueinander? Ist der technikspezifische Beitrag jeweils abhaengig von bestimmten anvisierten Identitaeten? Was ist fuer die Beschreibung von Identitaeten gewonnen, wenn Technisierungsphaenomene zum Ausgangspunkt der Untersuchung werden?

Sektion I Technik als Medium: Identitaeten kreieren, stabilisieren und transportieren

In dieser Sektion soll es um eine systematische Klaerung des Einflusses von Technik auf Identitaeten und Identitaetsbeschreibungen gehen. Im Mittelpunkt stehen hier zwei Arten von technikvermittelter Identitaetsdarstellung: Visualisierung sowie performative Leistungen. Beide Konzepte lassen sich zwischen den Kategorien Diskurs und Praktiken ansiedeln.

a) Visualisierung und Abbildung

Mit Hilfe des Konzepts der Visualisierung machte sich die Wissenschafts- und Technikforschung bereits daran, die mediale Leistung von Technik einzuholen (Stafford, Woolgar/Lynch). Bildgebende Verfahren lassen die zur Identifizierung oder Beschreibung eines Phaenomens herangezogenen heterogenen Wissensbestaende in eine eindeutige Form muenden, die die zur Bildherstellung notwendigen Uebersetzungsprozesse sowie eventuelle Wissensluecken, Unsicherheiten oder Kontroversen unsichtbar machen. Was bedeutet dies fuer die Phaenomene personale und kollektive Identitaeten ? Im wissenschaftlichen Bereich koennten unter Visualisierungstechniken fuer kollektive Identitaeten etwa Landkarten, Statistiken oder ethnographische Fotosammlungen fallen. Ein Instrument alltaeglicher Dokumentation von Identitaet ist natuerlich die (Video-)Kamara.

b) Performativitaet und Inszenierung

Wurde fuer die Visualisierung noch eine Einheit von Abbildung und Abgebildeten bzw. Darstellung und Dargestelltem vorausgesetzt oder zumindest der Realismus der Abbildung suggeriert, verweisen Konzepte von Performativitaet (Butler) und Inszenierung viel deutlicher auf den kontingenten, provisorischen und manipulativen Charakter von Identitaet. Waehrend Butler unter Performativitaet den Effekt des Geschlechterdiskurses versteht, der sich in der nicht-intentionalen Wiederholung oder Aktualisierung von Normen aeussert, kann Inszenierung durchaus aktivischer aufgefasst werden. Ihr liegt ein konstruktives Moment zugrunde, wobei die Selbstbeschreibung von den Akteuren aktiv herbeigefuehrt wird.

Sektion II Die Reichweite technikvermittelter Identitaeten

Die Vielschichtigkeit des Identitaetsbegriffs zeigt sich unter anderem in Hinblick auf den Traeger der Identitaet. Identitaet bezieht sich nicht nur auf Personen oder Individuen, sondern auch auf Kollektive, wobei hier zwischen kulturellen, gesellschaftlichen und professionellen Identitaeten unterschieden werden kann. In Bezug auf diese Unterscheidungen soll allerdings hervorgehoben werden, dass es sich dabei nicht um empirisch voneinander unabhaengige Phaenomenbereiche handelt. Es sind lediglich verschiedene beobachterspezifische Zugriffe auf das Identitaetsthema: Sobald etwa die Aneignung kultureller Codes auf die Stilisierung der eigenen Person zugerechnet werden kann, ist es sinnvoll, personelle von kultureller Identitaet analytisch zu trennen. Innerhalb dieser Sektion sollen unterschiedliche Bereiche der technikvermittelten Identitaetenbildung vorgestellt werden, wobei die Reichweite von Identitaet bzw. der Grad der Aggregierung des Identitaetstraegers als Leitunterscheidung zur Strukturierung der Sektion dient.

a) Personale Identitaeten: Koerper und Technik

Zentrales Merkmal der personalen Identitaet ist die Rueckgebundenheit an den Koerper (Foucault, Goffman). Er kann im Zuge der Kontigenzerfahrung mit pluralen Identitaeten und Identitaetskonzepten als Bezugspunkt der individuellen Selbstversicherung dienen. Im Zuge der Technisierung des Koerpers durch die medizinische Implementationstechnologie oder die rote Gentechnik wird der Koerper selbst variabel: Eingriffe in die koerperliche Integritaet beschraenken die Moeglichkeit des Letztbezugs auf den Koerper und lassen damit die Frage nach der Identitaet prekaer werden. Neben der Bedrohung von Identitaet durch die Technisierung des Koerpers sorgen bestimmte Techniken gleichzeitig fuer gesteigerte Moeglichkeiten zur Identitaetsinszenierung. Chirurgisch-kosmetische Eingriffe oder die Nutzung des Koerpers als Projektionsflaeche fuer Selbstdarstellungen (Tattooing) erweitern den Horizont koerperlicher Selbstpraesentation. Computervermittelte Kommunikationsformen entkoerperlichen Kommunikation vollstaendig und sorgen so fuer Wahlfreiheit bezueglich der inszenierten Identitaet. Die Fragmentierung von personaler Identitaet stellt dabei die ambivalente Begleiterscheinung der Wahlfreiheit dar.

b) Gesellschaftliche Selbstbeschreibungen im Spannungsfeld von Technik

Im Zusammenhang der Bildung von kollektiven Identitaeten nimmt Technik eine zentrale Rolle ein. So ist zu beobachten, dass sich gesellschaftliche Grosskonflikte haeufig um Technik entzuenden. Waehrend solche Konflikte ueblicherweise vor dem Hintergrund divergierender Interessen gedeutet werden, soll hier das Potential von Technik zur Polarisierung betont werden. An Konflikten um Technik bilden sich innergesellschaftliche partikulare kollektive Identitaeten aus (genetische Diskriminierung-USA; Atomkraft BRD), wobei sich verschiedene gesellschaftlichen Gruppen haeufig ueber die unterschiedliche Bewertung des technologischen Risikos abzugrenzen scheinen (Douglas/Wildavsky). Dessenungeachtet finden sich auf Technik rekurrierende gesamtgesellschaftliche Labels (Industrie-, Konsum-, Wegwerf- oder Informationsgesellschaft), bei der der technische Bezugspunkt als Inszenierung einer vereinheitlichten Identitaetssemantik fungiert. Mit diesen Labels verbinden sich konfligierende Einstellungsmuster, Bewertungen und wuenschenswerte Zukuenfte, sie repraesentieren also divergierende gesamtgesellschaftliche Identitaetsbeschreibungen.

c) Technikunterstuetzte kulturelle Identitaeten

Kollektive Identitaeten haben mit der kulturalistischen Wende der Geschichts- und Sozialwissenschaften eine Umdeutung erfahren. Sie sind in dieser Sicht Effekte vorangegangener Selbst- und Fremdzuschreibungsprozesse und gerade die allgemeinsten und lange Zeit sehr stabilen Kategorien wie Rasse, Klasse, Nation und Geschlecht haben ihren ‚natuerlichen' Status als deskriptive Kategorien verloren (Said, Thompson, Hobsbawm). Die neue Erklaerungsbeduerftigkeit ist nicht zuletzt einer heterogenen Vielzahl postulierter kollektiver Identitaeten geschuldet. Technik hat nicht nur zur Stabilisierung ‚grosser' Identitaeten (etwa nationale Inszenierungen auf historischen Weltausstellungen oder Maschinenstuermerei/Maschinenbeherrschung und Arbeiterklasse) beigetragen, sondern ist auch geeignetes Medium, um partikulare kollektive Identitaeten auszuformen, zu staerken oder zu vermitteln. Hier seien z.B. die Jugend-Technokultur, virtuelle Communities oder Geschlechterinszenierungen genannt.

d) Professionelle Identitaeten: Praktiken, Routinen, Habitualisierung

Technikbezogene Praktiken und Routinen vermitteln zwischen personeller und kollektiver Identitaet: Sie sind kein individualistisches Phaenomen, sondern in Form von Interaktion gelehrt, gelernt, vermittelt, erfahren und transportiert. Im Vergleich zu Phaenomenen der Identitaetsinszenierung besitzen sie aehnlich wie das Performativitaetskonzept Butlers fuer die Geschlechterkategorie einen geringeren Grad an Freiheit: Der in technischen Artefakten verkoerperte Handlungszwang schraenkt die bei der Inszenierung gegebene relative Beliebigkeit ein. In diesem Abschnitt interessieren vor allem die Herstellung von Identitaeten in beruflichen Kontexten (Professionskulturen) und die entsprechenden Identitaetsbildungs- bzw. -vermittlungsprozesse, die sich hier anhand von Routinisierung, Habitualisierung und Handlungspraktiken beobachten lassen (Bourdieu). Besondere Aufmerksamkeit soll dabei sowohl den individuellen Fertigkeiten wie auch den sozialen Organisationsformen zukommen, die den Umgang mit Techniken regulieren und zur Bildung einer beruflichen oder professionellen Identitaet beitragen.

Bitte richten Sie Vorschlaege fuer Vortraege (abstracts) bis zum 30.3.2001 an eine der untenstehenden email-Adressen.

Die VeranstalterInnen: Astrid Epp Niels C. Taubert Andrea Westermann Institut fuer Wissenschafts- und Technikforschung Universitaet Bielefeld Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld, andreawestermann@hotmail.com nielschristian.taubert@uni-bielefeld.de epp@iwt.uni-bielefeld.de


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Andrea Westermann" <andreawestermann@hotmail.com>
Subject: CfP: Workshop: Technik und Identitaet, Bielefeld, 7.-8.6.01
Date: 07.02.2001


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