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Arbeitskreis fuer Wirtschafts- und Sozialgeschichte Schleswig-Holsteins

"Schriftlichkeit und Identitaet"

Schriftlichkeit ist fuer uns heute ein selbstverstaendliches Medium, doch das war nicht zu allen Zeiten so. Im Mittelalter und noch bis weit in die Fruehe Neuzeit waren Lesen und Schreiben eine "elitaere" Faehigkeit, die nur bestimmten Gruppen vorbehalten war. Die uebrigen mussten sich mit dem gesprochenen Wort oder Bildern zufrieden geben. Eine auf Muendlichkeit basierende Kultur setzte freilich andere kognitive Faehigkeiten voraus: z.B. ein besseres Gedaechtnis, die Strukturierung des zu lernenden Stoffes in einer bestimmten Weise (Reime, Topoi). Bildung und Kultur mussten in einer anderen Weise vermittelt werden. Gemeinsame christliche Identitaet wurde z.B. durch die Architektur und Ausmalung von Kirchen oder durch die Form des Gottesdienstes vermittelt.

Wie verbreitet war Illiteralitaet in verschiedenen Perioden, in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, bei Maennern und bei Frauen? Inwieweit bestimmte das Vorhandensein der benoetigten "Hardware" (Pergament, Papier, Tinte, Buecher) Bildung und Schriftlichkeit mit? Inwieweit haben Schul- und Bildungsreformen zu einer Verbreiterung der Literalitaet beigetragen und welche Folgen hatte dies fuer das Selbstverstaendnis der Menschen? Wollten sie ueberhaupt lesen und schreiben koennen, und nutzten sie diese Faehigkeit dann bewusst - vielleicht auch in einem keineswegs intendierten Sinne, z. B. in Form von Graffiti?

Warum begannen Menschen zu schreiben? Waren es oekonomische Gruende (Abrechnungen, Vertraege) oder wollten sie darueber hinaus bewusst Erinnerung und individuelle bzw. kollektive Identitaet bewahren? Welche Folgen hatte das Schreiben dann fuer ihr Selbstverstaendnis und ihre Persoenlichkeit? Diente es der Verarbeitung belastender Erlebnisse und Traumata? War das Geschriebene nur fuer den Schreiber selbst bestimmt, oder lasen es auch andere, sollte es gar eine kollektive Identitaet, sei es innerhalb einer Familie, sei es regional, national oder fuer eine soziale Schicht (Buergertum, Arbeiterklasse) stiften? Wie wirkte sich das Schreiben auf andere aus?

Inwieweit sind die Persoenlichkeitsstrukturen eines nichtschriftlich lebenden Menschen anders als die eines Menschen, fuer den Lesen und Schreiben selbstverstaendlich zum Alltag gehoert? Welche Wirkung auf Handeln und Motivation hat der Umgang mit Geschriebenem, haben Bildung und Lesen fuer den Einzelnen, eine Schicht oder die Gesellschaft?

Dies alles sind Ausgangsfragen fuer das Projekt. Im Zentrum soll sich das Individuum befinden, das aber natuerlich in einem Kontext von Gruppen, Schichten, Institutionen, Region und Nation steht. Raeumlich geht es wie immer um Schleswig-Holstein; Beitraege aus den Nachbarregionen in Norddeutschland und Daenemark sind aber ebenfalls willkommen.

Wer Lust hat, mit einem Beitrag an diesem Projekt mitzuarbeiten, ist herzlich dazu eingeladen. Es sollen zunaechst ein bis zwei Arbeitsgespraeche stattfinden, dann in ca. zwei Jahren eine Tagung und nachfolgend ein Sammelband. Anmeldungen und Themenvorschlaege bitte an:

Martin Rheinheimer
Associate Professor, Dr. habil.
Institut for Historie, Kultur og Samfundsbeskrivelse
Syddansk Universitet
Niels Bohrs Vej 9
DK 6700 Esbjerg
Tel. 0045 6550 4201 oder 0045 7611 9844
e-mail: mrh@hist.sdu.dk
http://esb.sdu.dk/~mrh


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Martin Rheinheimer" <mrh@hist.sdu.dk>
Subject: CFP: Schriftlichkeit und Identitaet
Date: 23.02.2001


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