Call for papers

"Jüdische Fragen - Kommunistische Antworten?"

Internationale Konferenz des Simon-Dubnow-Instituts, Leipzig

11./12. November 2001

Die Jahreskonferenz 2001 des Simon-Dubnow-Instituts befasst sich mit dem Verhältnis von Juden und Kommunismus. Das intellektuelle wie akademische Interesse an einem solchen Gegenstand ist nicht neu, obschon die dieses Interesse bewegenden Konjunkturen unterschiedlich begründet waren. Der Bogen spannte sich von den Fragen nach den geistesgeschichtlichen Wurzeln der kommunistischen Haltungen zur sogenannten "Judenfrage" - einen Gegenstand, dem wesentlich im Kontext der traditionellen Emanzipationsdebatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachgegangen wurde - bis hin zu den Bestandsaufnahmen jüdischen Lebens in der Sowjetunion seit der Oktoberrevolution sowie später unter anderen kommunistischen Regimen bzw. den sogenannten "Volksdemokratien". Über diesen traditionellen Problemkreis hinaus und im eher randständigen politischen Raum wurden um so nachhaltiger Fragen nach der Beteiligung von Juden an der kommunistischen Bewegung in skandalisierender Absicht aufgeworfen - verbunden mit vornehmlich antisemitisierenden Insinuationen über vorgebliche jüdische Machenschaften in Gestalt eines internationalen Kommunismus.

Der Zugriff:

Die Konferenz Jüdische Fragen - Kommunistische Antworten? sucht einen anderen, einen ebenso unideologischen wie historisierenden Zugang zum Gegenstand. Ausgehend von den tiefgreifenden, auf das Epochenjahr von 1989 zurückgehenden Veränderungen scheinen sich vormals weltanschaulich aufgeladene Wahrnehmungen und Interpretationsweisen weitestgehend zu entpolitisieren. Damit wird der Blick frei auf historische Zusammenhänge, die mittels kulturwissenschaftlicher, anthropologischer und ethnogra- phischer Zugänge angemessener entschlüsselt werden können als über den politischen Gegensatz des 19. und 20. Jahrhunderts vermittelte Konzepte und Begriffsbildungen vornehmlich geistes- und sozialgeschichtlicher Provenienz. Dies vor allem dann, wenn es sich um Phänomene handelt, die doch wesentlich aus den kulturgeographischen und sozialen Besonderheiten Mittel-, Ostmittel- und Osteuropas erwachsen sind - Phänomene, die eher den weiter gefassten Deutungsvorgaben von Ethnizität als der Sprache sozialer Schichtung entsprechen wollen. Darin liegt der methodisch innovative Zugang des auf der Konferenz zu verhandelnden Gegenstandes.

Die Fragestellung:

Ausgang einer solchen Beurteilung ist der Umstand, dass es sich bei den jüdischen Populationen in den kulturgeographischen wie politischen Kontexten der drei multiethnisch komponierten Reiche - der Reiche der Habsburger, der Romanows ebenso wie der Osmanen, soweit es deren europäische Territorien betrifft - es sich um ausgesprochen "imperiale" Bevölkerungen handelt, deren ohnehin transterritoriale Lebensform ebenso wie ihr textueller Zusammenhalt zu ebenjenen übernational komponierten Strukturen affin ist. Die sich im 19. Jahrhundert verstärkende Tendenz zur Nationalisierung der verschiedenen ethnischen, konfessionell und kulturell rückgebundenen Bevölkerungsgruppen in den Imperien mündete in Mittel- und Ostmitteleuropa im Gefolge von 1918/19 in die Herausbildung einer Vielfalt von Nationalstaaten, die trotz oder gerade wegen ihrer ethnischen Heterogenität einen sich zunehmend verschärfenden Nationalismus entwickelten. Für die jüdischen Bevölkerungen, aber nicht nur für diese, bedeutete ebenjener Homogenisierungsdruck in den neuen, erweiterten oder restituierten Nationalstaaten der Zwischenkriegszeit eine beständige Quelle der Drangsal. Vor solchem Kontext der Transformation von übernational komponierten Imperien in sich ethnifizierende Nationalstaaten wäre der Überlegung nachzugehen, ob sich einzelne Juden oder Gruppen von Juden vornehmlich in der Zwischenkriegszeit, aber auch in der Zeit davor, kommunistischen bzw. protokommunistischen Parteien und Organisationen unter Umständen deshalb anschlossen, weil diese jenseits von sich ethnisch verhärtenden Nationalismen und mittels eines die nationalen Fragen neutralisierenden "Internationalismus" die in Auflösung begriffenen Strukturen der übernationalen Imperien neu zu codieren und in marxistischen Termini zu rationalisieren suchten. An eine solche Transformations-, Metamorphosen- und Umcodierungsthese schliessen sich folgende Fragen:

Wieviel an "Nationalem" war den sozialen Fragen in Mittel- und Ostmitteleuropa eigen - bzw. wieviel an "ethnischen" Spezifika wiesen Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilungen und Berufsschichtungen auf, die sich entsprechend den ideologischen Vorgaben politisch "links" oder "rechts" rationalisierten?

Wieviel an "Ethnischem" geht in den mittel- und osteuropäischen Kommunismus ein, wieviel an Konfessionellem und wieviel an genuin Sozialem - oder genauer: mit welchen Legierungen aus allen drei Elementen ist bei einer Nahsicht zu rechnen?

Handelt es sich beim Marxismus östlicher Observanz um eine spezifische, in den Kategorien der "Klasse" gefasste Form der Säkularisierung jenseits ethnischer, konfessioneller und nationaler Emblematik - um eine Art der Konversion von Elementen der Zugehörigkeit in sozial praeformierte Universalismen?

Der Konferenz wird folgendes thematisches Profil vorgegeben:

* Zeitlich gilt es, vornehmlich die Zwischenkriegszeit - aber auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Mitte der 50er Jahre zu berücksichtigen. In bestimmten Fällen dürfte es sich anbieten, die Zeitspanne bis in die 60er Jahre hinein zu verlängern.

* Räumlich sollen vornehmlich Länder Mittel- und Ostmitteleuropas, in Ausnahmefällen auch politische Gemeinwesen Südosteuropas behandelt werden. Deutschland und Russland sollen dabei nicht als gesonderte "nationale" Fälle bedacht werden - und dies aus jeweils unterschiedlichen Gründen: Das Deutschland der Zwischenkriegszeit war nicht multinational komponiert und Russland war bereits sowjetisch geworden, d.h. kommunistisch beherrscht. Berücksichtigt werden sollen die deutschen Umstände insoweit, als es sich etwa um die Behandlung von Biographien von Juden in der kommunistischen Bewegung oder ihren Vorformen handelt, die aus den weiter östlich angesiedelten mutiethnisch zusammengesetzten Imperien stammten bzw. aus der mittel- und ostmitteleuropäischen Sozialdemokratie hervorgingen. Die Umstände in der Sowjetunion könnten insoweit Gegenstand der Darlegungen sein, als sie etwa das Wirken von Juden in international wirkenden sowjetischen Einrichtungen betreffen - in der Komintern etwa oder im Aussenministerium.

* Thematisch soll von der Nationalitätenfrage in der Endphase des 19. Jahrhunderts ausgegangen werden. Dabei dürfte der jeweilige regionale und nationale Zusammenhang von Juden und ihr spezifischer Emanzipationshintergrund für die respektive Haltung in der "nationalen Frage" - Imperium oder nationale Unabhängigkeit - interessant sein. Dazu gehört das polnische Beispiel einschliesslich der jeweiligen Unterschiede der Emanzipations- und Akkulturationsgeschichte in den Teilungsgebieten ebenso wie die Debatte in der österreichischen Sozialdemokratie. Von Interesse dürfte auch das Wahlverhalten der jeweiligen jüdischen Bevölkerungsgruppen in der nach 1918 sich aus der Verfallsmasse der Vielvölkerreiche herausmendelnden Nationalstaaten sein. Zudem dürfte es sich anbieten, theoretische Fragen und Fragen der Politik über das Prisma der Biographie zu integrieren - etwa Personen wie Rosa Luxemburg, Ruth Fischer oder Karl Radek, aber auch von solchen Personen, die auf den ersten Blick eher marginal anmuten, aber für zentrale Aspekte des Gegenstandes durchaus relevant sein können - Joseph Berger-Barzilai oder Leopold Trepper und seine "Rote Kapelle".

* Überhaupt dürfte die Arbeits- und die allgemeine Migration aus Ostmitteleuropa und anderen Regionen der europäischen Peripherie in der Zwischenkriegszeit nach Frankreich und Belgien für den späteren Widerstand gegen die nationalsozialistische deutsche Okkupation während des Zweiten Weltkrieges ebenso von Wichtigkeit sein wie die Frage, ob, wann und warum kommunistische Parteien und Organisationen während der Okkupation für Juden aus dem Osten im Westen aber auch für solche des Westens selbst eine Anziehung ausübten bzw. ob sie allein schon ihrer Illegalität wegen jüdische, armenische oder andere illegale Emigranten anzogen.

* Zu einem zentralen Gegenstand der Konferenz wird die Identifikation von Juden und Kommunismus im nationalen polnischen Gedächtnis gehören. Chronologisch böten sich folgende Einschnitte an: die Jahre 1918/1920 bzw. der polnisch-sowjetische Krieg; die Zwischenkriegszeit mit dem Jahre 1938 bzw. mit der Auflösung der polnischen KP als eine Art politisches Hochplateau; die Jahre 1939/41 als dem höchst negativen Höhepunkt der Beziehungen zwischen Polen und Juden im Bereich des sowjetischen bzw. gerade noch sowjetisch gewesenen Grenzlandes vor und angesichts des deutschen Angriffs auf Russland. Für die Nachkriegszeit wiederum stellen die Jahre 1946 und 1968 besonders auffällige Einschnitte dar. All diese Fragen gilt es vor dem Hintergrund der methodischen Frage - der "Konversion" von Ethnos in Politik - zu reinterpretieren und die Ereignisgeschichte als Arsenal der Erinnerung für eingeschliffene Diskurse und Narrative zu decodieren.

* Von grossem Interesse ist des Weiteren die Nachkriegszeit - einschliesslich der politischen Tribunale in den sogenannten "Volksdemokratien", besonders in der Tschechoslowakei und in Ungarn. Auch die Umstände in der SBZ bzw. in der DDR sollen Gegenstand der Konferenz insoweit werden, als Fragen jüdischer Zugehörigkeit relevant sind. Dazu gehört die Haltung der Partei zum Holocaust ebenso wie die literarischen und kulturhistorischen Konstruktionen einer kosmopolitisch gehaltenen Zugehörigkeit jüdischer Kommunisten zum "Deutschtum". Berücksichtigt werden sollen auch Fragen eines sogenannten "Renegatentums" unter Juden, die vormals Kommunisten waren. Notorisch sind hierfür die Fälle Arthur Köstler und Manès Sperber. Auch die Rolle jüdischer Intellektueller in der Abwendung vom Kommunismus, vornehmlich, aber nicht ausschliesslich in Frankreich, soll bedacht werden. Das Interesse gilt auch esoterisch anmutenden Phänomenen wie der als überproportional erachteten Teilnahme von Juden an sogenannten oppositionellen kommunistischen Strömungen - dem Trotzkismus etwa. Unabdingbar für das Verständnis des Phänomens sind die Metamorphosen der Enttäuschung nach dem Holocaust, oder antisemitische Wellen in den sogenannten Volksdemokratien und in der Sowjetunion, die die Abkehr vom Kommunismus und die Hinwendung zum Zionismus evozierten. Zuletzt sollen die binnenjüdischen Reaktionen auf die Aktivitaeten von kommunistischen Juden behandelt werden. Dieser Aspekt liegt insofern nahe, als es sich bei den kommunistischen Juden bzw. bei den jüdischen Kommunisten um eine ausgesprochene Minderheit in der Minderheit handelte. Wie wurden diese Personen von der Orthodoxie, vom liberalen Judentum und von Zionisten bedacht? Was hat es mit dem Begriff der "roten Assimilation" auf sich? Wiederholt sich hier der alte Emanzipationsdiskurs, wenn auch in anderem Kleid, oder beruhten die im jüdischen Milieu geaeusserten Bedenken gegen jüdische Kommunisten eher auf einem Empfinden antisemitischer Bedrohung.

Professor Dr. Dan Diner

Vorschläge für Referate, die in Englisch oder Deutsch vorgetragen werden können und auf etwa 30 min ausgelegt sein sollten, sind mit einer Kurzvorstellung des Themas (250-300 Worte) bis zum 30. April 2001 zu richten an:

Prof. Dr. Dan Diner
Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der
Universität Leipzig
Goldschmidtstrasse 28
D-04103 Leipzig

Zusendung per e-mail als Datei-Attachment (MS Word) und mit Betreffbezeichnung "Jahrestagung 2001 / Referierendenname" an:
dubnow@rz.uni-leipzig.de

Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig e.V.,
Goldschmidtstrasse 28, 04103 Leipzig,

http://www.uni-leipzig.de/~dubnow/
Tel. 0049 (0) 341 217 35 50, Fax. 0049 (0) 341 217 35 55


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Guesnet <guesnet@dubnow.de>
Subject: cfp Int'le Jahrestagung Dubnow-Institut 2001
Date: 17.03.2001

Copyright ©1996-2002, H-Soz-u-Kult · Humanities · Sozial- und Kulturgeschichte

Termine 2001>