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Die Ironie der Politik

Zur konstruktivistischen Herausforderung der Politikwissenschaft

Tagung an der Philipps-Universität Marburg, 26.10.-28.10.2001

veranstaltet von Thorsten Bonacker (Marburg), André Brodocz (Dresden) und Thomas Noetzel (Marburg)

Ironie sei die 'Antithese' zu allen Berufungen auf reale Essenz. Ironie sei jeder Beschreibung der Welt geboten, weil die zu beschreibende Welt uns dafür keine Sprache an die Hand gibt. Denn die Welt, so Richard Rorty weiter, könne uns schließlich aus einem ganz einfachen Grund keine Sprache zu ihrer Beschreibung vorschlagen: "Die Welt spricht überhaupt nicht. Nur wir sprechen" (Rorty). Ohne die Referenz der Essenz ist deshalb jede Beschreibung der Welt nicht mehr notwendigerweise so, wie sie ist, sie könnte vielmehr immer auch anders sein. Jede Beschreibung der Welt ist, kurz gesagt: eine Konstruktion.

Innerhalb der Politikwissenschaft sind die Plädoyers der ironischen Anwälte der Konstruktion - neben Richard Rorty ist vor allem an Niklas Luhmann und Jacques Derrida zu denken - lange Zeit auf taube Ohren gestoßen. Vielleicht konnte eine Disziplin, deren Selbstverständnis sich in großen Teilen daraus speist, ihren Gegenstand - nämlich die Politik - über sich selbst aufzuklären, zunächst auch gar nicht anders als dem Gebot der Ironie mit Mißtrauen zu begegnen. Daß mit der Berücksichtigung der Ironie die klassischen Fragen und Arbeitsfelder der Politikwissenschaft nicht zwingend verabschiedet werden müssen, sondern sich vielmehr neue Antworten und Arbeitsfelder erschließen lassen, stellt die konstruktivistische Herausforderung der Politikwissenschaft dar.

Genau genommen stellt konstruktivistisches Denken für die sozialwissenschaftlichen Disziplinen im allgemeinen und die Politikwissenschaft im besonderen gleich eine dreifache Herausforderung dar. Auf der Ebene der Beschreibungen liegt die erste Herausforderung. Für die methodischen und theoretischen Konsequenzen impliziert eine konstruktivistisch reflektierte Beschreibung der Welt, daß sie sich nicht mehr auf darauf berufen kann, was die Welt ist, sondern wie sie die Welt zur Sprache bringt. Die zweite Herausforderung ist auf der Ebene des Beschriebenen anzusiedeln. Denn anders als in den naturwissenschaftlichen Disziplinen bedeutet die Ironie für die sozialwissenschaftlichen Disziplinen, daß auch die von ihr beschriebene Gesellschaft selbst wiederum mit Konstruktionen operiert. Die dritte Herausforderung ergibt sich schließlich aus der ersten und der zweiten. Denn bei ihren Konstruktionen greift die beschriebene Gesellschaft auch wieder auf die wissenschaftlichen Theorien zurück, die sie beschreiben. Diese Reflexivität des Wissens hat wiederum sowohl für die Theorien als auch für den Gegenstand 'Gesellschaft' weitreichende Konsequenzen: die Theorien müssen ihrer Selbstreflexivität gerecht werden und anfangen, die Bedingungen ihrer eigenen Möglichkeit zu reflektieren; und ihr Gegenstand, die Gesellschaft, muß als ein sich selbst beschreibender Gegenstand begriffen werden. Für die Politikwissenschaft stellen sich diese drei Herausforderungen in besonderer Form, weil sie ihre Beschreibung dessen, was Politik ist, nicht nur mit dem konfrontiert, was Politik gerechter- oder vernünftigerweises sein soll. Vielmehr verbinden sich mit der Politikwissenschaft auch immer Hoffnungen, aus dieser Konfrontation von Sein und Seinsollen Handlungsanweisungen für eine bessere, wenn nicht sogar eine gerechtere oder vernünftigere Politik zu gewinnen.

Auf der Tagung sollen folgende Fragen im Mittelpunkt stehen: Wie kann die Politikwissenschaft auf diese Herausforderungen reagieren? Inwiefern wird die Analyse politischer Systeme und internationaler Beziehungen durch den Konstruktivismus herausgefordert? Welche Methoden bieten sich unter konstruktivistischen Konditionen an? Mit welchen Konstruktionen wird in der Politik operiert? Welche Rolle nehmen klassische Konzepte wie etwa Gerechtigkeit, Entscheidung, Macht, Interesse, Moral und Öffentlichkeit dabei ein? Wie kann die politische Theorie auf diese Entwicklungen reagieren? Kann eine konstruktivistische politische Theorie überhaupt noch einen normativen Anspruch erheben?

Die Veranstalter (HD Dr. Th. Noetzel, Dr. Th. Bonacker und ich) sind daran interessiert, auch Historiker, Soziologen und andere Gesellschaftswissenschaftler dafür zu gewinnen. Einen ausführlichen CFP finden Sie unter:

http://www.tu-dresden.de/phfipo/poltheo/ironie.html.

Dipl.-Pol. André Brodocz
Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte
Institut für Politikwissenschaft
TU Dresden
01062 Dresden
Tel.: 0351/463-5800
Fax: 0351/463-7233
Andre.Brodocz@mailbox.tu-dresden.de
http://www.tu-dresden.de/phfipo/poltheo/brodocz.html


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "André Brodocz" <brodocz@Rcs1.urz.tu-dresden.de>
Subject: CfP: Die Ironie der Politik - Marburg 10/2001
Date: 21.09.2000


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