fuer die Jahrestagung der Gesellschaft fuer Technikgeschichte 2002
"Technikvermittlung - Die Beziehung zwischen Ingenieuren und Techniknutzern"
vom 14. bis 16. Juni 2002 in Bochum
Historische Untersuchungen zur Berufsgruppe der Ingenieure haben zum grossen
Teil ihr Augenmerk auf die Angebotsseite technischer Entwicklung und der
technischen Produktionssphaere gerichtet. Das verwundert nicht, sind Ingenieure
und Techniker doch die Hauptakteure im Bereich der Konstruktion technischer
Sachsysteme. Der Bereich von Konsumtion und Nutzung von Technik wird in dieser
Perspektive entweder nicht beachtet oder als von der technischen Produktion
getrennter Prozess interpretiert. Damit wird versaeumt, die Einfluesse der
technischen Diffusion, der Nutzung von Technik und die Ansprueche von Kunden
an die Leistungsfaehigkeit technischer Produkte auf den Prozess des Konstruierens
und Entwickelns der Ingenieure zu beachten. Die Entwicklungsarbeit der Ingenieure
zeichnet sich vielmehr durch vielfaeltige, bewusste und unbewusste Interaktionen
mit den Kunden und Nutzern aus, die sich im Design technischer Artefakte
und Systeme zeitspezifisch niederschlugen. Mit der Konstruktion eines technischen
Sachsystems konstruiert der Ingenieur auch den potentiellen Nutzer, von dem
er ein mehr oder weniger klares Bild besitzt. Deshalb fliessen in die Forschungs-
und Entwicklungsarbeit Aspekte der Technikfolgenabschaetzung und -wahrnehmung
ein.
Das Verhaeltnis zwischen Ingenieuren und Techniknutzern, deren Interaktion und Kommunikation sind als wichtige Bestandteile historischer Innovationsforschung zu sehen, ohne die der Prozess der Technikentwicklung nur einseitig erklaerbar ist. Der historische Wandel des Verhaeltnisses zwischen Ingenieuren und Technikanwendern war abhaengig von einer Vielzahl gesellschaftlicher Faktoren. Nicht nur, dass sich Rolle und Status der Ingenieure und der technischen Experten innerhalb der Gesellschaft wandelten, auch die Vorstellungen der Techniknutzer, wie Technik am besten anzuwenden und einzusetzen sei, sowie die von ihnen angewandten Strategien der Technikaneignung unterlagen starken Wandlungen. Die Phase rascher Technikentwicklung seit dem 18. Jahrhundert kann in Bezug auf die vorgeschlagene Thematik besonders beachtet werden. Das Handlungspotential der technischen Experten weitete sich innerhalb des komplexen, dynamischen Prozesses der Technikentwicklung immer weiter aus und fuehrte zu einer zunehmenden Professionalisierung der technischen Berufe bis hin zur Erlangung der "Promotionsfaehigkeit" der Ingenieurwissenschaften im Jahr 1900. Zudem loeste sich die Nachfrage nach technischen Produkten von dem engen Kreis der absolutistischen Fuerstenhoefe. Neben die staatlichen und kommunalen Behoerden, die fuer die Ausweitung von Infrastruktursystemen auf technisches Wissen angewiesen waren, traten z.B. die Fabrikanten mit ihrem Bedarf nach Produktions- und Kraftmaschinen; aber auch Landwirte, Militaers, Kaufleute usw. gehoerten nun dem wachsenden Kreis der Techniknutzer an. Mit dem Aufkommen des Massenkonsums in der zweiten Haelfte des 20. Jahrhunderts konnte im Prinzip jede Gruppe zum potentiellen Abnehmer technischer Produkte werden.
Die Ingenieurtaetigkeit differenzierte sich dabei mit dem Auftauchen immer
neuer gesellschaftlicher Beduerfnisse, die von den verschiedenen Kundengruppen
formuliert wurden. Der Bogen spannt sich dabei vom Beduerfnis des produzierenden
Unternehmers, der das Kosten-Nutzen-Verhaeltnis als zentrales Argument fuer
den Einsatz "massgeschneiderter" Maschinen heranzog, ueber das Beduerfnis
staatlicher Behoerden nach technischer Expertise, um Entscheidungshilfen
in Bereichen zu erlangen, fuer die das Verwaltungswissen nicht ausreichte,
bis hin zu den Beduerfnissen des konkreten Anwenders von technischen Systemen
nach Bedienungsfreundlichkeit, Ergonomie, Sicherheit, Schoenheit, symbolischem
Wert usw. Alle diese Beduerfnisse (und es waeren noch eine Vielzahl anderer
anzufuegen) unterlagen historischen Konjunkturen und haben zu ganz
unterschiedlichen Antworten von Seiten der Ingenieure gefuehrt. Beispiele
dieses Wandels liessen sich unter anderen in den verschiedenen
Organisationsformen von Technikbewertung und -beratung finden. Die Gruendung
von technischen Ueberwachungsvereinen haben hierbei gleichsam exemplarischen
Stellenwert. Heute zeichnet sich der Trend des "outsourcing" von technischem
Wissen immer mehr ab, sei es in den privaten Analyselabors zur Durchfuehrung
der gesetzlich vorgeschriebenen Nahrungsmittelkontrolle oder den "think tanks"
fuer die Politikberatung, die v.a. in den USA anzutreffen sind (die RAND
Corporation, die nach dem zweiten Weltkrieg gegruendet wurde, sei hier als
ein Beispiel erwaehnt). Es waere auch zu klaeren, ob sich branchenspezifische
Interaktionsmuster herausbildeten und ob diese vom jeweiligen technischen
Wissen und Koennen sowie den Spezifika der technischen Artefakte einer Branche
abhaengig waren. Es ist schwerlich anzunehmen, dass z.B. die Konstrukteure
von Automobilen ihre Kunden in gleicher Weise ins Kalkuel ihrer Ueberlegungen
zogen wie Elektroingenieure, die Energieversorgungssysteme konzipierten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Tagung wird die Frage sein, inwiefern die
Schnittstellen zwischen Angebots- und Nutzersphaere geschlechtsspezifisch
konstituiert waren. Die parallel verlaufenden und voneinander abhaengigen
Veraenderungen von Ingenieurberuf und Nutzerprofil fuehrten zur Herausbildung
vielfaeltiger Interaktionsmuster und Kommunikationswege. Gerade Letztgenanntes
harrt noch einer systematischen historischen Analyse, in der die
Kommunikationskanaele (Werbung, Kundenstatistiken, ergonomische Untersuchungen,
Ergebnisse von Produkttests, Vertreter als neue Berufsgruppe, technische
Populaerliteratur, Ausstellungen, Bedienungsanleitungen usw.) zwischen
Produktions- und Nutzungssphaere zu untersuchen waeren. Zentrale Fragen sind
hier: Wie treten Ingenieure und Anwender in Kontakt? Wie erhaelt der Ingenieur
Informationen ueber die Beduerfnisse und Wuensche der Kunde? Welche Medien
und Vermittlungstechniken werden im Kommunikationsprozess benutzt?
Das hier vorgeschlagene Thema laesst weiten Raum fuer die verschiedensten
methodischen und inhaltlichen Untersuchungen zu. Zwar ist daran gedacht,
einen zeitlichen Schwerpunkt auf das 19. und 20. Jahrhundert zu setzen; Analysen
zum Verhaeltnis von technischen Experten und Anwendern in der vorindustriellen
Zeit sind aber ausdruecklich erwuenscht.
> Abstracts (ca. 100 Woerter) Schicken Sie bitte bis zum 31.12.2001 an
Lars Bluma M.A. - lars.bluma@ruhr-uni-bochum.de - oder Dr. Dietmar Bleidick
- dietmar.bleidick@ruhr-uni-bochum.de. Postalisch: Ruhr-Universitaet Bochum,
Lehrstuhl fuer Wirtschafts- und Technikgeschichte, 44780 Bochum.
Lars Bluma
Ruhr-Universitaet Bochum
Lehrstuhl fuer Wirtschafts- und Technikgeschichte
44780 Bochum
Tel.: 0234-3224079
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