Call for Papers


Band 7 der „Beitraege zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland“

Themenschwerpunkt:
Die Gewalt der Tat. Praxis, Praesentation und Wahrnehmung von
Taeterinnen und Taetern im Nationalsozialismus

Die „Beitraege zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland“ werden von der KZ-Gedenkstaette Neuengamme herausgegeben. Der Redaktion gehoeren Vertreter/innen norddeutscher Gedenkstaetten (Bergen-Belsen, Emslandlager, Mittelbau-Dora, Neuengamme und Ravensbrueck) sowie Wissenschaftler mit entsprechendem Themenschwerpunkt an. Die „Beitraege“ erscheinen seit 1994 jaehrlich als Themenausgaben, bisher u.a. zu fruehen Nachkriegsprozessen, zu Funktionshaeftlingen und zur Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus. Der sechste Band zur medialen und musealen Praesentation in Gedenkstaetten erscheint Anfang naechsten Jahres (Edition Temmen, Bremen.

Die Taeter und Taeterinnen der NS-Zeit sind seit einigen Jahren in ihrer ganzen Breite im Rahmen oeffentlicher und wissenschaftlicher Kontroversen aktuell (Goldhagen-Kontroverse, Ausstellung „Vernichtungskrieg“). Dabei befreit sich die (deutsche) Geschichtswissenschaft erst jetzt von der jahrelang vorherrschenden Engfuehrung des „Taeter“-Begriffes auf NS-Groessen und SS. Verbunden mit einem „System“- und „Institutionen“-Blick auf die KZ- und Verbrechensgeschichte der NS-Zeit hat diese Engfuehrung Taeter/innen in der Regel nur am Rande behandeln lassen. Den systematischen Vertiefungen (u.a. Einzel- und Kollektivstudien zu Lagerpersonal und SS-Fuehrungspersonen) und thematischen Erweiterungen (u.a. Polizei) der Taeter/innen/forschung in den letzten Jahren korrespondiert eine Aufloesung der starren Grenze zwischen „Taeter/inne/n“ und „Gesellschaft“ anhand von Forschungen und Kontroversen unter anderem zu den „Verbrechen der Wehrmacht“, zur „Realitaet“ der Gestapo oder zur Denunziation. Damit sind andere Gruppen (u.a. Polizisten, Juristen, Denunzianten) in den Blick gerueckt, aber auch andere Taetertypen (u.a. „Durchschnittstaeter“) ausgemacht worden.

Die „Beitraege“ wollen diese Diskussion aufnehmen und fortfuehren. Die Aufsaetze sollten - die Dimension der physischen Gewalt in den Mittelpunkt stellen (sowohl in Lagern und anderen „totalen Institutionen“ als auch auf „freiem Feld“, etwa die „kleine Gewalt“ antisemitischer Uebergriffe) und entsprechende Taeter/innen/gruppen behandeln, koennen dabei aber auch die „Administration“ dieser Gewalt in den Blick nehmen; - im Falle empirischer Studien zur Gewalt der Tat selbst einen lokalen oder regionalen Bezug aufweisen und die spezifische Oertlichkeit und Zeitlichkeit der jeweiligen Taeter/innen/gruppe beachten, ohne dass die Beitraege auf Norddeutschland beschraenkt sein muessen.

Es werden drei Schwerpunkte gesetzt:

1. Mikrogeschichte der physischen Gewalt
Auffaellig ist bei den neueren Ansaetzen das Defizit an „nahen Blicken“. Biographische Zugaenge oder systemische Perspektiven heben die betrachteten Taeter/inne/n nicht selten aus ihrem konkreten Handlungsfeld heraus. Dies ist auch durch einen Mangel an Lokalstudien gerade hinsichtlich der Naehe zwischen Tat und Gesellschaft bedingt. Im Sinne einer „Mikrogeschichte von Machtverhaeltnissen“ sollten deshalb thematisiert werden:
- „Binnenbeziehungen“ von Wachleuten, Wachmannschaften, Kommandeuren in (norddeutschen) Lagern; - „Taeter/inne/nalltag“ zwischen Gewalt, Repraesentation und Rekreation;
- physische Gewalt zwischen Exzess, Ritualisierung und Delegation in der Interaktion mit Haeftlingen;
- Oeffentlichkeit und „kleine Gewalt“ ausserhalb der „totalen Institutionen“.

2. Die deutsche Gesellschaft und die Taeter/innen
Die Taeter/inne/n kamen aus der Gesellschaft und kehrten groesstenteils wieder in sie zurueck. Der zeitliche Rahmen geht dabei ueber 1933 und 1945 hinaus: Die Zugehoerigkeit zur SA vor der Machtuebernahme und die politische wie erinnerungskulturelle Integration in die deutschen Nachkriegsstaaten setzen andere Zaesuren. Entsprechende Beitraege sollten deshalb thematisieren:
- Herkunft und lokaler Bezug von Taeter/innen/gruppen, u.a. am Beispiel der Integrationsversuche von Wachleuten in die lokale Gesellschaft;
- Prozess und Auswirkungen der fortschreitenden Durchdringung der deutschen Gesellschaft mit Mitwisser/inne/n (u.a. Wehrmachtsoldaten), Mittaeter/inne/n und Taeter/inne/n;
- Integrations-/Desintegrationsmuster von „Taeter/inne/n“ (Stigmatisierung/Anerkennung) in lokalen Raeumen u.a. Wohnlage, Nachbarschaftsverhalten, lokale Repraesentation).

3. Selbst- und Fremdwahrnehmungen von Taeter/inne/n
Gerade das ephemere, fluechtige, wenn auch in seinen Wirkungen traumatisierend-nachwirkende Phaenomen der physischen Gewalt erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit den Repraesentationen von Tat, Taeter/inne/n und deren Selbst- und Fremdwahrnehmungen. Hierbei sind Strategien der Verdeckung, des Ausblendens, aber auch der Dramatisierung und medialen Ueberformung vor dem Hintergrund der „Grenzen des Sagbaren“ in den Blick zu nehmen, etwa am Beispiel von:
- Selbstbildern und NS-Vorstellungen von Wach- und Aufsichtspersonal in offiziellen Dokumenten und Selbstzeugnissen;
- Repraesentationen von physischer Gewalt der Taeter/inne/n in Erinnerungsberichten ehemaliger Verfolgter;
- Darstellungen von Taeter/inne/n in Presse und Publizistik nach 1945.

Herausgeber und Redaktion bitten um die Zusendung von zweiseitigen Exposés oder bereits vorhandenen Textentwuerfen/Manuskripten bis zum 10. Dezember 2000

an Habbo Knoch, Seminar fuer Mittlere und Neuere Geschichte,
Georg-August-Universitaet Goettingen, Platz der Goettinger Sieben 5,
37073 Goettingen (hknoch@freenet.de).


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Habbo Knoch <hknoch@01019freenet.de>
Subject: CfP "Taeter/inn/en und physische Gewalt im NS" - Beitraege Heft 7
Date: 24.11.2000


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