CALL FOR PAPERS

Beitraege fuer ein Heft der Prokla - Zeitschrift fuer kritische Sozialwissenschaft - zum Thema "Ethnische Oekonomie"

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"Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen ist, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhaeltnisse zerstoert. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natuerlichen Vorgesetzten knuepften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch uebriggelassen als das nackte Interesse, als die gefuehllose ´bare Zahlung´." Diese frueher oft zitierten Worte von Marx und Engels aus dem Kommunistischen Manifest weisen darauf hin, dass Wirtschaft im Kapitalismus aus dem bisherigen gesellschaftlichen Zusammenhang herausgeloest und als eigene Sphaere konstituiert wurde, jenseits von Religion und Politik, von lokaler Verwurzelung und regionaler Zugehoerigkeit, von Verpflichtung und Unterwerfung, von Verwandtschaft und Familie. Auch spaetere buergerliche Theoretiker sahen im Anschluss an Max Weber die Durchsetzung der Moderne als einen Prozess zunehmender funktionaler Differenzierung, bei dem wirtschaftliche Beziehungen mehr und mehr durch Vertraege geregelt wurden, waehrend persoenliche Bindungen und Loyalitaetsverhaeltnisse nur noch fuer den Bereich des Privaten von Bedeutung sein sollten. Demnach folgten etwa Unternehmen und Familien unterschiedlichen Logiken und Werten: diese solchen von Vertrauen, Gefuehl, und Diffusitaet), jene solchen von Kalkuel, Rationalitaet und Spezifizitaet. Und doch hat die Verflechtung von wirtschaftlichen Aktivitaeten und persoenlichen Beziehungen bis heute vielfach ueberlebt - als Paradefall dafuer kann die Vielfalt der Formen ethnischer Oekonomie gelten, die nicht nur als Kleinhandel oder Kleingewerbe vom Typ "Chinatown" in amerikanischen Metropolen und als neuer tuerkischer Mittelstand in deutschen Grossstaedten existiert. Chinesische Minderheiten dominieren etwa auch das Wirtschaftsleben von Singapur, Thailand, Malaysia, Indonesien oder den Philippinen und nehmen haeufig im Finanzsektor Schluesselpositionen ein. Aehnlich herausragend ist die traditionell starke Stellung von Indern und Juden im Antwerpener Diamanthandel, bei dem Geschaefte nach wie vor per Handschlag abgeschlossen werden. Indes stellt ethnische Oekonomie keineswegs nur ein Relikt aus vorkapitalistischen Zeiten dar, sondern derartige Strukturen etablieren sich im Zusammenhang mit der weltweiten Zunahme von Migration derzeit vielfach ganz neu. Grund genug also zu fragen, wie ethnische Oekonomie im einzelnen entsteht, und wie sie funktioniert.

Die theoretische Debatte ist bislang im wesentlichen US-amerikanisch gepraegt, wobei sich verschiedene Ansaetze herausgeschaelt haben. Einige davon stellen die Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft in den Mittelpunkt: demnach waeren allgemeine Benachteiligungen von Einwanderern oder ihre Ausgrenzung aus spezifischen Sektoren und Betaetigungen ursaechlich fuer die Entstehung ethnischer Nischenoekonomien. Andere gehen von den Kompetenzen und dem Verhalten der Einwanderer aus: demnach wuerden diese bestimmte kulturelle Muster mitbringen oder aber in der Fremde eine "reaktive Ethnizitaet", also eine Mobilisierung von bis dahin inexistenter Solidaritaet entwickeln. Empirische Studien haben in erster Linie nach der Bedeutung der wirtschaftlichen Aktivitaeten von Migranten fuer ihre soziale und politische Integration sowie fuer die Stadtentwicklung gefragt. Demgegenueber sollen diese Ansaetze hier vor dem Hintergrund historischer und aktueller Erfahrungen insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Licht- und Schattenseiten ethnischer Netzwerke fuer die daran Beteiligten wie fuer die Oekonomie, in die sie eingebettet sind, untersucht werden. Denn ethnische Netzwerke umfassen ein breites Spektrum hoechst unterschiedlicher Arten. In ihnen kann sich familiaere oder regionale Solidaritaet manifestieren, die das UEberleben in der Fremde erlaubt, wobei diese im Rahmen von Arbeitsverhaeltnissen haeufig mit einem mehr oder weniger ausbeuterischen Paternalismus einhergeht. Sie koennen aber auch gewaltfoermige und kriminelle Organisationen darstellen, die sich etwa ueber Schutzgeldzahlungen schonungslos auf Kosten anderer durchsetzen und bereichern.

Erwuenscht waeren insbesondere noch Artikel zu folgenden Themenbereichen:

* Juedisches Unternehmertum in der Neuzeit
* Hugenotten in deutschen Staedten
* Chinesische Familienkonglomerate in Suedostasien
* Mafiose Strukturen
* Tuerkischer Mittelstand in Deutschland
* Der "ethnische Markt" im internationalen Musikgeschaeft

Exposés sollten spaetestens bis Ende Maerz geschickt werden an

Prof. Dr. Dorothea Schmidt
Fachhochschule f. Wirtschaft
Badensche Str. 50-51
10825 Berlin
T: 030/ 857 89 158
Doschmid@fhw-berlin.de

Abgabe der Artikel bis Ende Juni


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Dorothea Schmidt <doschmid@fhw-berlin.de>
Subject: Call- for-papers
Date: 08.02.2000


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