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Der Driburger Kreis findet in diesem Jahr vom 20. bis 22. September in Duesseldorf statt. Er ist offen fuer alle Student/inn/en, Doktorand/inn/en und Assistent/inn/en und versteht sich als informelles Forum, in dem neben Beitraegen zum Rahmenthema auch Probleme und Ergebnisse der eigenen Arbeit vorgestellt und diskutiert werden koennen.

Das diesjaehrige Rahmenthema lautet:

"Westwaerts und nicht vergessen!" Medizin, Technik und Naturwissenschaften in der Deutschen Demokratischen Republik.

Ein Jahrzehnt nach ihrem Ende als Staat erscheint das einstige Wissenschaftssystem der DDR durch bundesdeutsche Strukturen vollstaendig abgeloest. Noch im Juli 1990 empfahl der Wissenschaftsrat: "Insgesamt kann es nicht einfach darum gehen, das bundesdeutsche Wissenschaftssystem auf die DDR zu uebertragen. Vielmehr bietet der Prozess der Vereinigung auch der Bundesrepublik Deutschland die Chance, selbstkritisch zu pruefen, inwieweit Teile ihres Bildungs- und Forschungssystems der Neuordnung beduerfen". Zehn Jahre spaeter ist nachzufragen, was von diesem hehren Ziel der Selbstkritik uebrigblieb. Hat es einen Aufbruch von WissenschaftshistorikerInnen der DDR in Richtung Westen gegeben? Inwieweit sind Themen und spezifische Forschungsansaetze der historischen Wissenschaften der DDR in unseren Fachgebieten relevant? Ist es nicht vielmehr so, dass der Blick auf vierzig Jahre "deutsch-demokratische" Wissenschaftsgeschichte durch Siegermentalitaet, Abrechnung und Rechtfertigungsversuche getruebt wird? Waren doch Analyse, Aufarbeitung und Auseinandersetzung haeufig begleitet vom Stellenverlust bis dato taetiger DDR-Wissenschaftler/innen.

Ersetzte die Abwicklung von Institutionen und Personen als bequeme Loesung vielleicht eine historisch-kritische Aufarbeitung und geriet sie nicht fuer die bundesdeutsche Öffentlichkeit zu einer spaeten Ersatzhandlung fuer die unterbliebenen Anstrengungen um eine Entnazifizierung entsprechender bundesdeutscher Bereiche nach Ende des Zweiten Weltkriegs? Einem Dialog zwischen Wessis und Ossis und einem daraufhin wachsenden gegenseitigen Verstaendnis standen diese Ablaeufe in besonderem Masse entgegen. Kommunikationsstrukturen, die noch aus Vorwendezeiten stammten, blieben weitgehend unangetastet und behinderten gleichzeitig eine Neubelebung des wissenschaftshistorischen Arbeitens.

Neben diesen genuin die Wissenschaftsgeschichtsschreibung betreffenden Aspekten sollte aber auch ein Blick auf die Entwicklungen der "Objektdisziplinen" Medizin, Naturwissenschaften und Technik in der DDRgerichtet werden. Obgleich in den vergangenen zehn Jahren diesem Bereich bereits erste Arbeiten und Sammelbaende gewidmet wurden, ist ein Zugang oftmals noch mit Schlagworten oder sozialistischen Losungen behaftet. So praegt "Überholen ohne einzuholen" als Motto die Ulbricht-Zeit. Stand damals nach der Chemiekonferenz in Leuna im November 1958 vor allem die Chemisierung der Wirtschaft begleitet von entsprechenden wissenschaftlichen Anstrengungen weit oben auf der Agenda, so wurden die Bereiche der Systemtheorie, der Kybernetik und der Mikroelektronik in der Honecker-Ära in Wirtschaft und Gesellschaft wichtig. Der geplante Umbau zum sozialistisch gepraegten Hochschul- und Akademiewesen schlug sich in mehreren Reformen nieder. Vor allem die sogenannte 3. Hochschulreform von 1968-1972, die mit einer Umstrukturierung der wissenschaftlichen Institutionen effektivere Strukturen fuer die wissenschaftlich- industrielle Revolution schaffen sollte, erbrachte einschneidende Änderungen etwa durch Aufloesung der Institute und Einfuehrung wissenschaftlicher Sektionen.

Neben dem ueblichen Potpourri wissenschaftshistorischer Fragestellungen sind Vortraege zu den Themen Umbau zu sozialistischen Hochschulen, Sowjetisierung des Hochschulwesens, Praxisorientierung der Wissenschaften, staatliche Lenkung und Auftragsforschung, zur Rolle von Reisekader und Spionage sowie zur Bedeutung von ABF und Frauenstudium denkbar und erwuenscht. Die vielfaeltigen Moeglichkeiten staatlicher Institutionen, den Werdegang von Wissenschaftler/inne/n positiv wie negativ zu beeinflussen, laesst zudem fuer biographische Arbeiten breiten Raum. In diesem Zusammenhang (aber nicht unbedingt nur in diesem) liesse sich auch das Verhaeltnis von Wissenschaft und Wahrhaftigkeit diskutieren, vielleicht auch unter dem Aspekt einer Äusserung von Juergen Kuczynski: "Die Wahrheit ist immer von Nutzen fuer die Gesellschaft im Sozialismus, ihre Verbreitung nicht unbedingt."

Mit den Ergebnissen aus Vortraegen und Diskussionen koennen wir dann moeglicherweise auch praezisieren, was wir denn eigentlich nicht vergessen wollen und was denn des gemeinsamen Erinnerns wert ist.

Rudi Seising (Muenchen), Norman Fuchsloch (Freiberg)

Beitragsanmeldungen bitte bis 31. Juli 2000 an Dr. Beate Ceranski, Universitaet Stuttgart, Historisches Institut, Abt. GNT, Keplerstrasse 17, 70174 Stuttgart, Beate.Ceranski@po.hi.uni-stuttgart.de.

Rueckfragen zum Rahmenthema an Dr. Norman Fuchsloch, TU Bergakademie Freiberg, Institut fuer Wissenschafts- und Technikgeschichte, Nonnengasse 22, 09596 Freiberg, fuchslo@iwtg.tu-freiberg.de.

Auf die Notwendigkeit, rechtzeitig preisguenstige Übernachtungsmoeglichkeiten zu reservieren, wird dringend hingewiesen! Wer sowohl am Driburger Kreis als auch an der Tagung der DGGMNT teilnimmt und als Student/in oder Doktorand/in ueber kein eigenes Einkommen verfuegt, kann eine kleine finanzielle Unterstuetzung erhalten.

Der Reisekostenzuschuss ist unter Angabe eines betreuenden Hochschullehrers bis zum 14. Juli 2000 zu beantragen beim Vorsitzenden der DGGMNT, Herrn Professor Dr. med. Dr. phil. Alfons Labisch, Institut fuer Geschichte der Medizin, Postfach 10 10 07, 40001 Duesseldorf.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Martina Blum" <owner-infogtg@lists.lrz-muenchen.de>
Subject: CFP: Driburger Kreis 2000
Date: 23.06.2000


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