Liebe Listen-Mitglieder,

vom 4. bis zum 25. Maerz wird die Ausstellung "Juden im Widerstand" auf Initiative der Stiftung Mitwelt (Heinrich Boell-Stiftung) im Foyer des Thalia-Theaters, in Halle (Saale) gezeigt.(Puschkinstrasse 6, Mo bis Fr: 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr)

Anlaesslich der Eroeffnung spricht am 4. Maerz um 16 Uhr der Berliner Soziologe Michael Kreutzer ueber: "Juedischer Widerstand? Eine Betrachtung am Beispiel der Baum-Gruppe."

Am 14. Maerz steht der Zeitzeuge Walter Sack (Gruppen um Herbert Baum) um 19.30 Uhr in der Ausstellung fuer ein Gespraech zur Verfuegung.

Die Ausstellung wird von der Informationsstelle "Jugend unterm Hakenkreuz" e.V. betreut. Sie wandert seit 1993 und war bislang in elf verschiedenen Staedten zu sehen.

Wir suchen weitere Interessenten, die bereit sind, eine Praesentation in ihrer Stadt zu organisieren. Bitte besuchen Sie die Website (http://userpage.fu-berlin.de/~bodomr/) oder wenden Sie sich an: bodomr@zedat.fu-berlin.de

Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch erschienen:

Juden im Widerstand. Drei Gruppen zwischen Überlebenskampf und politischer Aktion, Berlin 1939-1945. Hrsg. v. Wilfried Loehken und Werner Vathke, Berlin: Edition Hentrich 1993 (=Reihe Deutsche Vergangenheit 87). 208 Seiten, DM 22,-. ISBN3-89468-068-7.

(Mit Beitraegen von: Karsten Borgmann, Eric Brothers, Simone Erpel, Eike Geisel, Michael Kreutzer, Bodo Mrozek, Arnold Pauker, Barbara Schieb-Samizadeh, Christine Zahn.)

Anbei eine Kurzdarstellung zu den in der Ausstellung praesentierten Widerstandsgruppen:

1. Die Gruppen um Herbert Baum

Von den drei dargestellten Gruppen ist die sog. "Baum-Gruppe" die bekannteste. Korrekt ist es allerdings, von Gruppen um Herbert Baum zu sprechen, denn es sind tatsaechlich mehrere verschiedene Freundeskreise und politische Gruppen gewesen, die sich um Herbert Baum und andere bildeten. Die Gruppe erscheint als Vernetzung mehrerer politisch organisierter Freundeskreise, deren Wurzeln in den Buenden der juedischen Jugendbewegung und im kommunistischen Jugendverband (KJVD) lagen. Die meisten der jungen Maenner und Frauen waren Mitglieder der 1938 zerschlagenen juedischen Jugendbuende, deren vorwiegend sozialistisch oder zionistisch orientierte Gruppen schon frueh zu Sozialisationsinstanzen einer politisch motivierten Gegnerschaft zum Nationalsozialismus wurden. Die Gruppe leistete Schulungsarbeit, erstellte Flugschriften und suchte Kontakt zu anderen Widerstandskreisen. Letzte Aktion wurde ein 1942 veruebter Brandanschlag auf eine antisemitisch-antisowjetische Propagandaausstellung der Reichspropagandaleitung der NSDAP. Der rasche Zugriff der Verfolger auf die Akteure konnte bis heute nicht eindeutig erklaert werden. Als Reaktion fuehrte die Gestapo eine beispiellose Massenverhaftung unbeteiligter Berliner Juden durch. Die verhafteten Jugendlichen der Baum-Gruppe wurden wegen "Hochverrats" angeklagt. Einige wurden in Berlin-Ploetzensee hingerichtet, andere in Konzentrationslagern ermordet.

2. Die Gemeinschaft fuer Frieden und Aufbau

Weniger bekannt als zum Beispiel die "Baum-Gruppe" ist die Widerstandsgruppe "Gemeinschaft fuer Frieden und Aufbau", eine in Luckenwalde operierende Gruppe, deren Mitglieder vorwiegend aus mittelstaendischen Verhaeltnissen stammten. Sie bildete sich im September 1943 und wurde durch aktive Beteiligung untergetauchter Juden mitgetragen. Sie ist politisch schwer einzuordnen, die Handlungsmotivationen der Gruppenmitglieder lassen keine gemeinsame Zielvorstellung erkennen. Somit erscheint die "Gemeinschaft" als individuelles Gebilde, das stark durch die charismatischen Initiatoren Werner Scharff und Hans Winkler gepraegt wurde. Werner Scharff war als rassisch Verfolgter aus dem KZ Theresienstadt entkommen, bevor er die Widerstandsgruppe gruendete. Widerstandsaktivitaeten waren das Verstecken und die Unterstuetzung illegal lebender Juden, Beschaffung falscher Papiere und das Versenden von Kettenbriefen mit dem Aufruf zu "passivem und aktivem Widerstand". Weiterhin nahm die Gruppe Kontakt zu organisierten Kriegsgefangenen auf. Juedischen Spitzeln, sogenannten "Greifern" mit der Aufgabe versteckte Juden aufzuspueren, wurden fingierte Todesurteile zugestellt. Die Vollstreckung wurde zwar erwogen, jedoch nicht ausgefuehrt. Noch 1944 erschienen drei Flugschriften mit vergleichsweise hohen Auflagen. Dagegen ueberraschen die teilweise dilettantisch anmutenden Organisationsformen, so das Verfassen von Mitgliederlisten und Ausstellen von Mitgliedsausweisen - ein Leichtsinn, der alle Gebote der konspirativen Arbeit verletzte. Auch die Gemeinschaft fuer Frieden und Aufbau konnte von der Gestapo gefasst werden, durch das Kriegsende kam es jedoch nicht mehr zu Verurteilungen. Dennoch wurden sechs Mitglieder der "Gemeinschaft" in Lagern ermordet.

3. Gruppe "Chug Chaluzi" (Pionierkreis)

Im Februar 1943, als mit der so genannten "Fabrikaktion" die letzten noch in Berlin lebenden Juden deportiert werden sollten, gruendete der bereits versteckt lebende Lehrer Jizchak Schwersenz eine illegale Gruppe. In der Tradition der zionistischen (chaluzischen) Jugendbewegung nannte sie sich "Chug Chaluzi" (Pionierkreis). Ziel der Jugendgruppe war es, Fluchtwege ins Ausland zu suchen oder die Befreiung durch die alliierten Armeen in der Illegalitaet zu erwarten. Hier liegt der Unterschied zu den anderen Gruppen - den Juden von Chug Caluzi lag vor allem daran, durch Tarnung im Berliner Untergrund das Leben der Kinder und Jugendlichen zu retten. Nach der gelungenen Flucht von Jizchak Schwersenz in die Schweiz wurde die Gruppe von Gad Beck fortgefuehrt. In die Wirksamkeit eigener Widerstandsaktionen im "klassischen" Verstaendnis, also mit dem Ziel der gewaltsamen Bekaempfung des nationalsozialistischen Systems, wurden keine Hoffnungen gesetzt. Hier laesst sich der gebraeuchliche, durch die Historiographie des 20. Juli 1944 gepraegte Widerstandbegriff problematisieren: "Widerstand" hiess hier "widerstehen" im Sinne einer Überlebensstrategie. Tatsaechlich gelang der ueberwiegenden Mehrheit der Mitglieder dieser Gruppe das Überleben durch die Hilfe von Nichtjuden, einzelne wurden jedoch auch in dieser Gruppe Opfer der Vernichtung.

Bodo Mrozek
e-mail: bodo.mrozek@online.de
Besuchen Sie auch die Website des Projekts "Juden im Widerstand": http://userpage.fu-berlin.de/~bodomr/


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Bodo Mrozek <bodo.mrozek@online.de>
Subject: Ausstellung "Juedischer Widerstand" in Halle
Date: 29.02.2000


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