inventARISIERT

Enteignung von Möbeln aus jüdischem Besitz

(7. September bis 19. November 2000)

Information englisch/deutsch: www.iff.ac.at/inventarisiert

Historischer Hintergrund der Ausstellung

"Arisierung" bezeichnet die zunächst "wilde" (d. h. gesetzlich ungeregelte), später vom Staat betriebene rassistisch begründete Enteignung jüdischen Vermögens in der NS-Zeit. Nach dem "Anschluß" Österreichs an Nazi-Deutschland im März 1938 wurden auch die österreichischen Juden Opfer der auf Leib und Gut dieser Menschen zielenden NS-Verfolgungspolitik.

In der öffentlichen Diskussion fanden sich diese Vorgänge bisher vor allem im Zusammenhang mit spektakulären Kunstraubfällen und anderen hohen Vermögenswerten (Firmen, Geschäfte, rund 40.000 Wohnungen in Wien etc.). Die staatlichen Beutezüge machten jedoch auch vor den alltäglichen Gegenständen jüdischer Haushalte in Wien nicht halt: Vom Besteck in der Lade bis zu den Erinnerungsfotografien an den Wänden wurde nichts ausgespart.

Mit dieser Raub- und Verfolgungspolitik, die noch den letzten Winkel des Alltags ihrer Opfer erfasste, beschäftigt sich die Ausstellung "inventARISIERT". Sie thematisiert die "Arisierung" von acht Wiener jüdischen Haushalten, deren beschlagnahmte Einrichtungen (aus bis heute nicht geklärten Gründen) im staatlichen Mobiliendepot eingelagert wurden, sowie den Umgang der Institution mit diesen Objekten bis in die Gegenwart.

Enteignung, Verwertung und Restitution

Das Mobiliendepot wurde im 18. Jahrhundert unter Kaiserin Maria Theresia gegründet. Es erfüllte eine Depot- und Werkstättenfunktion für die Einrichtung und Ausstattung der kaiserlichen Schlösser und Ämter. Nach 1918 und bis in die Gegenwart erfüllt es diese Funktion für die Amtsräume der Republik Österreich. Der Aufbau einer musealen Schausammlung innerhalb dieser Institution begann im frühen 20. Jahrhundert.

1938 wurden unter Beteiligung des Mobiliendepots über 5.000 "arisierte" Objekte in Listen aufgenommen. Sie stammten aus acht von der Gestapo beschlagnahmten Wiener Haushalten: Hugo Breitner, Viktor Ephrussi, Wilhelm Goldenberg, Moritz König, Oskar Pöller, Hedwig Schwarz, Emil Stiaßny und Paul Weiß. 570 dieser Objekte wurden vom Mobiliendepot übernommen und inventARISIERT, d.h. in staatlichen Besitz überführt; rund 1000 Objekte (großteils Wäsche, Haushalts- und Gebrauchsgegenstände) wurden als "wertlos" eingestuft und unmittelbar weitergegeben (z. B. an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt); weiters 343 Bücher an die Österreichische Nationalbibliothek sowie 179 Bilder und Kunstgegenstände an andere Museen abgegeben. Ca. 1.300 Gegenstände (Geschirrservice, Gläser, Bestecke und Tischwäsche) wurden 1969 im Dorotheum "zugunsten der politisch oder rassisch Verfolgten" versteigert. Soweit einige kursorische Angaben zu Verbleib und Nutzung dieser Objekte.

Während der NS-Zeit und bis 1998 wurden Möbel aus diesem Bestand - entsprechend der eigentlichen Funktion des Mobiliendepots - auch an staatliche Dienststellen verliehen. So fanden sich 44 "arisierte" Möbel bis in jüngste Zeit und ohne Wissen der neuen Nutzer in einfachen Amtsstuben, Ministerien, österreichischen Botschaften im Ausland, Bundestheatern, Vereinen etc.

In den letzten Jahren wuchs das Bewußtsein für die Täterschaft von Österreichern in der NS-Verfolgungspolitik und die Kritik am mangelnden Verständnis des staatlichen Österreich für die Opfer dieser Politik nach 1945; das ließ auch die bis dahin unbeachteten, in die Sammlung und Ausstattungspraxis integrierten Möbel und Einrichtungsgegenstände in einem anderen, nicht mehr unschuldigen, Licht erscheinen. Nur das "Wissen" macht diese Möbel zu besonderen Gegenständen. Die Entdeckung ihrer "anderen" Geschichte ist Teil eines sich in den letzten Jahren intensivierenden Erinnerungsprozesses, der die für Jahrzehnte außerhalb des Blickfelds der großen Mehrheit gelegene und verschwiegene "andere" Geschichte dieser Zweiten Republik aufsteigen ließ.

"Arisierung" in der öffentlichen Debatte Österreichs

Nach 1945 wurde die Restitution dieser Gegenstände von Seiten des staatlichen Mobiliendepots nur mangelhaft betrieben. So unterließ die Institution z. B. die gesetzlich angeordnete Anmeldepflicht "arisierter" Güter. Seit 1993 wird in der Institution zu den "arisierten" Beständen geforscht. Bereits in der Neuaufstellung des Museums 1998 wurden sie berücksichtigt.

Die Mauerbach-Aktion 1996, insbesondere aber die Beschlagnahme von zwei Schiele-Gemälden aus der Sammlung Leopold im Jänner 1998 in New York ließen Österreich ins Zentrum einer NS-Kunstraub-Debatte geraten. Konkrete Resultate dieser Debatte waren der ministerielle Auftrag an die Museen, ihre Bestände auf Sammlungsstücke dieser Provenienz zu erforschen, und das "Kunstrückgabegesetz" vom Dezember 1998, das der Republik ermöglichte, diese Objekte an ehemalige Besitzer und ihre Erben zurückzugeben. Das Mobiliendepot reklamierte sich in die Zuständigkeit dieses Gesetzes hinein; seit 1998 werden die Erben der früheren Eigentümer gesucht und die 152 noch vorhandenen "arisierten" Gegenstände zurückgegeben.

Die Ausstellung thematisiert

- "Arisierung" als Bestandteil der umfassenden auf Leib und Gut ihrer Opfer gerichteten NS-Politik,

- die Transformation von Raub und rassistisch begründeter Enteignung in einen bürokratischen Aktenlauf, sowie

- beispielhaft den Umgang Österreichs mit seiner NS-Geschichte nach 1945.

Die wissenschaftlichen Kuratoren der Ausstellung sind Ilsebill Barta-Fliedl (Museen des Mobiliendepots) und Herbert Posch (AG Museologie/IFF). Im Zentrum der Präsentation steht eine Fotoinstallation des Fotografen Arno Gisinger. Sie visualisiert den Umgang des Mobiliendepots als Sammlungs- und Verwertungsinstitution mit diesen Beständen. Eine Computerinstallation erschließt die umfangreiche historische Information, die im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte dieser Objekte im Mobiliendepot zusammengetragen wurde. Der Katalog zur Ausstellung umfaßt einen umfangreichen Bildteil von Arno Gisinger, Texte der wissenschaftlichen Kuratoren Ilsebill Barta-Fliedl und Herbert Posch sowie einen Essay zu Gisingers fotografischer Arbeit von Monika Schwärzler. Er erscheint im Verlag Turia + Kant. (Katalogbestellung: herbert.posch@univie.ac.at)


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Eva Grabherr" <eva.grabherr@univie.ac.at>
Subject: Ausstellung: "inventARISIERT" in Wien 09-11/2000
Date: 08.09.2000


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