Wolfgang Götz: Beiträge zur Vorgeschichte der Denkmalpflege [= Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege an der ETH Zürich, Bd. 20], 1. Auflage, Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich 1999, CD-ROM in geb. Umschlag, ISBN: 3-7281-2230-0, Preis: SFr 39,00 / DM 49,80 / ÖS 365,00.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Dr. Klaus Graf
Bei diesem als CD-ROM vervielfältigten Buch handelt es sich gleichsam um die durchgesehene und leicht ergänzte Zweitauflage der unter dem gleichen Titel 1956 maschinenschriftlich vorgelegten Leipziger Dissertation von Wolfgang Götz, die damals noch den Untertitel trug: "Die Entwicklung der Denkmalpflege in Deutschland vor 1800".
Inhalt der CD-Rom ist schlicht und einfach die Textdatei des Buchs im PDF-Format (der Acrobate-Reader 3.01 ist beigefügt), das ja (leider) auch im Internet mehr und mehr Anhänger findet. Die technische Ausstattung genügt in keiner Weise den an eine solche CD-ROM zu stellenden Ansprüchen. Zwar darf der Text auszugsweise kopiert und gedruckt werden, doch wurden Seitenverweise, Verweise auf die Endnoten und den umfangreichen Beleganhang sowie auf das Literaturverzeichnis nicht als Verknüpfungen realisiert. Die Benutzung der CD-ROM erfordert also ein ständiges Hin- und Herspringen, was eigentlich unzumutbar ist. Hinzu kommt, daß die Seitenzahlen der PDF-Datei (insgesamt 202 Seiten) nicht identisch mit den Buchseiten (XIII, 189 S.) sind und natürlich auch nicht mit den Seitenzahlen der maschinenschriftlichen Fassung von 1956 (ich zitiere im folgenden die Buchseiten von 1999).
Ein Vorwort von Georg Mörsch erläutert die Vorgeschichte der vorliegenden, von Brigitt Sigel und Frank Neumann redigierten Publikation, mit der die Arbeit in den "Prozess der wissenschaftlichen Diskussion um Denkmal und Denkmalpflege" gestellt werden soll. In diesem Vorwort wären auch einige pietätvolle Sätze über den zuletzt in Saarbrücken Kunstgeschichte lehrenden Autor, Professor Wolfgang Götz (1923-1996), und sein Lebenswerk am Platz gewesen. Götz selbst, der sich im Saarland auch für die praktische Denkmalpflege sehr engagiert hat, steuerte ein 1994 datiertes Vorwort bei, in dem er über die seinerzeitige Entstehung der Arbeit unter erschwerten Bedingungen in der DDR [1] und seine Bedenken angesichts des an ihn herangetragenen Wunsches nach einer Wiederveröffentlichung der nur in schlecht lesbaren Exemplaren kursierenden Arbeit Rechenschaft ablegt. Die beigegebene Bibliographie von Wolfgang Götz bis 1994 dokumentiert, daß er dem in der Dissertation behandelten Thema bis zuletzt treu blieb. Überaus bedauerlich ist, daß die zum Thema vom Autor gesammelten Abbildungen keine Aufnahme in die CD-ROM gefunden haben. Zur Redaktion der Arbeit ist noch anzumerken, daß der Wortlaut der 647 Belege im Anhang offenbar nicht überprüft wurde.
Die Arbeit von Götz gilt zu Recht als material- und gedankenreiches Grundlagenwerk, und ihre "Neuauflage" ist daher nur zu begrüßen. Es ging Götz nicht nur um frühere analoge Beispiele zu moderner Denkmalpflege, deren Entstehung ja gemeinhin in das 19. Jahrhundert verlegt wird, sondern "ganz allgemein um das Verhältnis der historischen Epoche zu ihrem kulturellen Erbe auf Grund der ihnen immanenten historischen Bedingungen" (S. 7). Denkmalpflege definierte er als "die schöpferische Auseinandersetzung mit einem überkommenen Bestand, den es einzugliedern gilt in das jeweils gegenwärtige Leben durch bewußte Erhaltung, Wiederherstellung oder Ergänzung unter Beibehaltung seiner charakteristischen Eigenschaften" (S. 7). Noch heute beeindruckt die Weite des Blickwinkels, der Ägypten und die Antike ebenso erfaßt wie die italienische Renaissance und die Zeit der Französischen Revolution um 1800. Bewundernswert ist die Materialfülle, die überzeugend das gängige Vorurteil, vor 1800 habe es so etwas wie Denkmalpflege nicht gegeben, widerlegt. Indem Götz immer wieder auf den historischen Kontext der Baumaßnahmen verweist, gewinnen seine Studien neue Attraktivität für einen kulturwissenschaftlichen Ansatz, der es unternimmt, ästhetische Phänomene vor dem Horizont einer vormodernen "Erinnerungskultur" zu lesen [2]. Aus Anlaß der bekannten "Echtergotik" formuliert Götz beispielsweise programmatisch: "Stilwiederaufnahme und Historisieren sind auch für das frühe 17. Jahrhundert nicht isolierte kunstgeschichtliche Erscheinungen, sondern sie fügen sich ein in jenen gesamthistorischen Zusammenhang, aus dem auch die Denkmalpflege der Zeit erwächst" (S. 44).
Auf den Schultern von Götz, der seine Überlegungen in methodisch ausgerichteten Aufsätzen zum vormodernen "Historismus" weitergeführt hat, ruhen auch die jüngsten Ausführungen vom Michael Schmidt zur Denkmalpflege im 16. und 17. Jahrhundert im Rahmen seiner kunsthistorischen Eichstätter Dissertation über architektonische "Historizität" [3] - gemeint sind damit historisierende bzw. archaisierende Rückgriffe, für die sich in der Kunstgeschichte der Begriff "retrospektive Tendenzen" quasi etabliert hat [4].
In der Renaissance vollzieht sich nicht nur die Wiederentdeckung der antiken Kunst, es kommt nördlich der Alpen auch zu einer verstärkten Aufmerksamkeit für die Denkmäler des eigenen Altertums. Die Verschränkung der retrospektiven, auf Bewahrung und "Denkmalpflege" abzielenden Dimension der Erinnerung und der prospektiven, am ewigen Nachruhm ("fama") orientierten Dimension, vermag paradigmatisch das "Gedechtnus"-Projekt Kaiser Maximilians I. in den Jahren nach 1500 zu demonstrieren. Dieser ließ sich von der antiken Erinnerungskultur inspirieren, als er Reiterdenkmal, Mausoleum und Triumphbogen revitalisieren wollte [5]. Maximilians nicht zuletzt genealogisch motivierten antiquarischen Interessen ordnen sich ein in die Anfänge und Vorläufer jener breiten Bewegung, die man als "Antiquarianismus" zu bezeichnen pflegt und die wesentliches zur Ausformung der modernen Geschichtswissenschaft beigetragen hat [6]. Um nur noch ein weiteres Beispiel herauszugreifen: Die Kunsthistorikerin Ulrike Götz hat für den Freisinger Fürstbischof Eckher (1696-1727) die Achtung der "antiquitas" als eines der Leitmotive seiner Bautätigkeit herausarbeiten können. Bauliche Traditionspflege und gelehrte Forschung über das 1000jährige Freising griffen dabei Hand in Hand. Eine Beschreibung von 1724 sagt über die Domvorhalle explizit, sie sei "zur Gedechtnus der antiquitet" in ihrem Zustand belassen worden [7]. Es bedarf also in jedem Fall einer interdisziplinären Zusammenschau von Texten, Bildern und Monumenten, will man die zeitgenössischen Bemühungen um Bewahrung und Stiftung von Erinnerung zum Sprechen bringen.
Wer sich für die Geschichte von Denkmalpflege und Denkmalschutz [8] interessiert, kommt um die Lektüre der Götzschen "Beiträge", die nunmehr sehr viel bequemer zugänglich sind, nicht herum. Doch auch die Forschung zur vormodernen Erinnerungskultur und zum Geschichtsverständnis in Mittelalter und früher Neuzeit kann von dem ausgebreiteten Material und den nach wie vor anregenden Überlegungen von Götz nur profitieren.
[1] Wenigstens anmerkungsweise erwähnt sei, daß Götz mit seiner Dissertation (von den Gutachtern als "sehr gut" bewertet) Opfer der stalinistischen Wissenschaftspolitik wurde, wie aus dem Nachruf von Gerald Wiemers (in: Universität Leipzig H. 2/3, April 1996, S. 24-25) hervorgeht (freundlicher Hinweis des Universitätsarchivs Saarbrücken). Nachdem Götz und sein Doktorvater Heinz Ladendorf 1958 die DDR aufgrund der Schikanen der SED verlassen hatten, wurde beiden "Republikflüchtigen" wenig später am 12.3.1958 durch die Philosophische Fakultät der Doktortitel entzogen, ein Beschluß, der erst 1990 aufgehoben wurde.
[2] Vgl. Klaus Graf, Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Kritische Überlegungen aus der Perspektive des Historikers, in: Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner, hrsg. von Andrea Löther u.a., München 1996, S. 389-420.
[3] Michael Schmidt, reverentia und magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutschlands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert, Regensburg 1999.
[4] Eine regelmäßig aktualisierte Online-Bibliographie zu diesem Thema bietet der Rezensent unter: http://www.uni-koblenz.de/~graf/retro.htm
[5] Vgl. jüngst Thomas H. von der Dunk, Das Deutsche Denkmal. Eine Geschichte in Bronze und Stein vom Hochmittelalter bis zum Barock, Köln/Weimar/Wien 1999, S. 239.
[6] Vgl. Wolfgang Weber, Zur Bedeutung des Antiquarianismus für die Entwicklung der modernen Geschichtswissenschaft, in: Geschichtsdiskurs Bd. 2: Anfänge modernen historischen Denkens, Frankfurt a. M. 1994, S. 120-135 und die weiteren Beiträge ebenda von Henning Wrede und Wolfgang Ernst.
[7] Ulrike Götz, Kunst in Freising unter Fürstbischof Johann Franz Eckher 1696-1727. Ausdrucksformen geistlicher Herrschaft, München/Zürich 1992, besonders S. 242-278. Zitat: S. 249.
[8] Hingewiesen sei auf die sorgfältige juristische Arbeit von Felix Hammer, Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, Tübingen 1995.
Rezensiert fuer H-Soz-u-Kult von:
Dr. Klaus Graf, Historisches Seminar der Universität Freiburg i. Br., Email: <graf@uni-koblenz.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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