Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Ulrike Haerendel
Morten Reitmayers Untersuchung der Bankiers im deutschen Kaiserreich rueckt
eine Personengruppe ins Blickfeld, der der zeitgenoessische buergerliche
Wertekanon eher eine Randposition zuwies. Gerade die konstitutive Bedeutung
des Geldes fuer den Beruf des Bankiers setzte diesen leicht dem Ruf aus,
die Welt der nicht-kommerziellen Werte, Traditionen und Autoritaeten durch
eine materialistische, "unmoralische" Gegenwelt ersetzen zu wollen. Die relative
Randstaendigkeit der Bankiers spiegelte sich auch im Interessenhorizont der
Buergertumsforschung, die sich lange viel staerker den typischen Vertretern
des Bildungs- und Stadtbuergertums zugewandt hat als den Exponenten des
kapitalistischen Wirtschaftssystems. So standen aehnlich wie die Bankiers
die Industrieunternehmer gleichfalls nicht im Zentrum der wissenschaftlichen
Beschaeftigung mit dem Buergertum.[1] Zu wenig schienen
auch sie die staedtische Politik und Gesellschaft, den typisch buergerlichen
Lebensstil und den kulturellen Hegemonieanspruch des Buergertums gepraegt
zu haben.
Dagegen macht Reitmayers Untersuchung deutlich, wie spannend die Auseinandersetzung mit einer solchen Untersuchungsgruppe ist, gerade weil sie nicht zum Kern des Buergertums gehoerte. Es ist eine der zentralen Fragestellungen der Arbeit, wie sich die Bankiers in ihr zeitgenoessisches Umfeld in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einfuegten, wie sie sich einerseits selbst in der buergerlichen Welt begriffen und andererseits von ihr gesehen wurden. Die Arbeit sieht diesen Zusammenhang jedoch nicht statisch, der Untersuchungszeitraum zwischen Reichsgruendung und Erstem Weltkrieg ist nicht nur lange genug, sondern auch von zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Veraenderungen gepraegt, die deutlich zu machen, dass die Bankiers ihre Position veraenderten, aber genauso ihr Umfeld eine wandelnde Groesse war. Ein gutes Beispiel dafuer ist das Verhaeltnis der Hochfinanz zur Politik, das Reitmayer im letzten Teil seiner Studie analysiert. Waehrend "der grosse legislatorische Regelungsbedarf und nicht zuletzt das nationale Hochgefuehl" (S. 293) der Zeit unmittelbar nach der Reichsgruendung auch einige Bankiers in den Reichstag brachte, ging das direkte politische Engagement seit 1880 deutlich zurueck. Politische Abstinenz und Unparteilichkeit war dabei offenbar die Haltung, die von einem grossen Teil der Bankkundschaft erwartet wurde, wie auch umgekehrt viele Bankiers meinten, dass die Parteipolitik bzw. der in ihren Augen von sachlicher Inkompetenz im Bank- und Boersenwesen gepraegte Reichstag ein ungeeignetes Forum boeten, waehrend sie eher hofften, ueber informelle Kontakte etwa zur Ministerialbuerokratie ihren Einfluss durchzusetzen. Allerdings lehrten vor allem schlechte Erfahrungen mit dem Boersengesetz von 1896, dass es unklug war, die politische Auseinandersetzung so weitgehend zu scheuen. Seit der Jahrhundertwende kam es daher zu einer neuen politischen Mobilisierung der Bankwelt, die sich nicht nur im Aufbau von Interessenverbaenden manifestierte, sondern insgesamt in einem Heranruecken der Hochfinanz an die politische Sphaere. Das stand etwa seit 1907 auch im Zeichen der Diskussionen ueber die finanzielle Kriegsbereitschaft Deutschlands, die auf beiden Seiten die Ueberzeugung naehrten, dass ein leistungsfaehiges Bankwesen im nationalen Interesse unentbehrlich sei.
Die Hinwendung der Bankiers zur Politik seit der Jahrhundertwende sieht Reitmayer auch als Folge eines Generationenwechsels innerhalb der Hochfinanz. Dieser langfristig wirksame Umbruch setzte an die Stelle des Privatbankiers als Leiter eines Familienunternehmens, das vor allem auf persoenliche Kontakte, Tradition und Integritaet gebaut war, zunehmend den Manager-Bankier, der als Vorstandsmitglied einer der neuen Aktienbanken ein komplexeres Netz von geschaeftlichen und sozialen Beziehungen knuepfte. Dazu gehoerte etwa die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in anderen Banken und vor allem auch Wirtschaftsunternehmen. Der Manager-Bankier musste - anders als der Privatbankier - durchaus nicht einer alten Bankiersfamilie entstammen, sondern hatte haeufig seine Wurzeln in anderen Gruppen des gehobenen, seltener allerdings des Klein-Buergertums. Waehrend des Untersuchungszeitraums existierte freilich der aeltere Typus des Privat-Bankiers noch neben dem neuen Manager-Bankier und trat erst allmaehlich in der sich wandelnden Welt des Bankengeschaefts immer mehr in den Hintergrund. Dabei spielten die Schwierigkeiten von Familienunternehmen, die Inhaberposition stets adaequat weiterzuvererben, eine erhebliche Rolle, wie Reitmayer zeigt. Auch die Aktienbanken und die durch Aufkaeufe und die Ausbildung eines Filialnetzes entstehenden Bankenkonzerne verdraengten die Privatbanken in einem laenger andauernden Prozess, der Uebergangserscheinungen wie die "Kommanditgesellschaften auf Aktien" kannte.
Diese Wandlungsprozesse durchdringt Reitmayer mit Hilfe eines differenzierten Instrumentariums, das ihm eine hohe Aussagegenauigkeit sowohl hinsichtlich der zeitlichen wie auch der sozialgeschichtlichen Dimensionen erlaubt. Grundlage der Untersuchung ist ein Sample, das aus den Leitern und Inhabern der im sogenannten "Preussenkonsortium" zusammengeschlossenen 39 Banken konstituiert wird. 376 Personen werden auf diese Weise untersucht, die als Inhaber, Gesellschafter oder Vorstandsmitglieder einer Berliner oder einer "Provinz"-Bank, als Aufsteiger, Erben oder Quereinsteiger, als Juden oder Nichtjuden, als Juristen oder Kaufleute zahlreiche Ansatzpunkte fuer die Analyse der inneren und aeusseren Beziehungen der Untersuchungseinheit bieten. Die Kategorien Pierre Bourdieus helfen Reitmayer, ein analytisches Netz ueber dieses weitgefaecherte Sample zu breiten und das Handeln der Bankiers in Relation zu ihrem sozialen und geschaeftlichen Umfeld, aber auch zu ihrer Herkunft und Sozialisation zu untersuchen. Er greift dabei unter anderem auf Bourdieus Kapitalbegriff und insbesondere seine Unterscheidung des oekonomischen, sozialen und kulturellen Kapitals zurueck. Mit Hilfe dieser Differenzierung vermag er auch zu erklaeren, warum die traditionelle Form der Privatbank sich noch relativ lange neben den Banken neueren Typs zu halten vermochte. Die Privatbanken hatten den Vorteil eines hohen "sozialen Alters" oftmals fuer sich, das auch ihr geringere oekonomische Potenz auszugleichen vermochte. Ausserdem konnten die Privatbankiers zumindest anfangs ihr ausgepraegtes kulturelles Kapital noch nutzen, um die Gruendung und den Aufbau von Aktienbanken erheblich mitzubestimmen. Spaeter mussten sie allerdings die Macht zumeist an die Manager-Bankiers in den Vorstaenden abgeben, die die zunehmend komplexe Organisation der Geschaeftswelt besser zu beherrschen lernten.
Reitmayers Arbeit, mit der er 1996 in Hannover im Fach Geschichte promovierte,
ist eine vorwiegend sozialgeschichtliche Studie, die sich auf ein breites
Quellenmaterial aus oeffentlichen und privaten Archiven bzw. der gedruckten
Ueberlieferung der Banken stuetzt und sich soziologischer Methoden bedient.
Der Blickwinkel ist fruchtbringend gewaehlt, wie die Fuelle der interessanten
Ergebnisse zeigt, von denen hier nur auf einige hingewiesen werden konnte.
Statt einiger Redundanzen und etwas zu ausfuehrlicher sozialgeschichtlicher
Details - "Orden und Titel" (Kap. 2b) und "Nobilitierungen" (Kap. 3e) haetten
etwa getrost zusammengefasst werden koennen -, haette man sich eine etwas
weitere Oeffnung hin zu wirtschafts- und spezieller bankhistorischen
Fragestellungen vorstellen koennen. Nur relativ unscharf zeichnet sich ab,
mit welchen Geschaeften sich Bankiers im Kaiserreich zu befassen hatten,
welchen ordnungspolitischen Vorgaben sie unterlagen, welche bankgeschichtlichen
Entwicklungen sich in diesem Zeitraum abspielten. Noch weniger als die
geschaeftliche Taetigkeit wird die Ausbildung der Hochfinanz, abgesehen von
einigen quantifizierenden Daten zur Unterscheidung von juristischen und
kaufmaennischen Bildungswegen, thematisiert. So haette die Frage gestellt
werden koennen, inwiefern etwa die beginnende Akademisierung der kaufmaennischen
Ausbildung auch mit der zunehmenden Komplexitaet des Bankengeschaefts in
Zusammenhang stand.[2] Es ist die Aufgabe von Rezensenten
solche Luecken festzustellen, die Aufgabe von Autoren ist es, gute Buecher
zu schreiben. Das hat Reitmayer zweifelsohne geleistet: Er hat eine empirisch
gesaettigte, analytisch gewitzte und sich selbst tragende Darstellung vorgelegt
- und darauf kommt es an.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Jonathan Sperber, Buerger, Buergertum, Buergerlichkeit,
Buergerliche Gesellschaft: Studies of the German (Upper) Middle Class and
Its Sociocultural World, in: The Journal of Modern History 69 (June 1997),
S. 271-297, bes. S. 280 f.
[2] Vgl. Heike Franz, Betriebswirte in Deutschland 1900-1930:
"Buerger" oder "Professionals"?, in: Klaus Tenfelde/Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.),
Wege zur Geschichte des Buergertums, Goettingen 1994, S. 249-272.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Ulrike Haerendel <ulrike.haerendel@sme.de>, Muenchen
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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