Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Thomas Welskopp
In der deutschen Arbeiter- und Arbeiterbewegungsgeschichte ist das Phänomen des "Maschinensturms" lange Zeit randständig behandelt worden. Zum einen sah man im Kampf der Handwerker und Arbeiter des frühen 19. Jahrhunderts gegen die mechanisierte Fertigung lediglich eine atavistische Technikfeindlichkeit ausgedrückt. Hier bäumte sich anscheinend die Vormoderne in ihrer ganzen Irrationalität und Beschränktheit gegen den unwiderstehlichen Siegeszug der Moderne noch einmal auf; ein Sturm gegen Windmühlenflügel gewissermaßen, der unweigerlich und unmittelbar in die historische Sackgasse führte, eine folgenlose Episode im Kapitel der deutschen Industrialisierung. Wie das Ziel eines solchen Aufbegehrens, nämlich durch die Zerstörung von Maschinen den säkularen Prozess der Fabrikindustrialisierung aufhalten zu wollen, erschien auch seine Form als irrationaler Rückfall in mittelalterliche Praktiken: Man zeichnete Bilder von den "Maschinenstürmen", auf denen wild zusammengerottete Massen spontan und chaotisch ihr Vernichtungswerk im Zustand einer kollektiven Unzurechnungsfähigkeit verrichteten. Von den "Maschinenstürmern" führte jedenfalls kein gerader Weg zur frühen Arbeiterbewegung, deren ausgesprochene Aufgeschlossenheit gegenüber der modernen Technik (nicht aber ihrer kapitalistischen Nutzung) man immer wieder unisono betonte. Seither ist der Begriff des "Maschinenstürmers" grundsätzlich negativ konnotiert. Er steht für ängstliche Fortschrittsfeindlichkeit und engstirnige Rückwärtsgewandtheit. Selbst dem bunten Volk der "Globalisierungsgegner" wird heute das Label der "Maschinenstürmerei" angeheftet.
Zum anderen entstand in den 1980er Jahren eine Deutung, die den Protesten und Ausschreitungen gegen Maschinen im historischen Rückblick ein geradezu historisch zukunftsweisendes ökologisches Bewusstsein unterstellte. Danach seien die Handwerker und Arbeiter, die sich gegen die modernen Maschinen stemmten, vorausschauende Vertreter einer zeitgenössischen "Technikkontrolle" gewesen. Hier wird nicht nur eine anachronistische Sichtweise deutlich; man idyllisierte auch eine stabile, in sich ruhende, ganzheitliche handwerkliche Produktionsweise, die im 18. Jahrhundert, wenn es sie überhaupt jemals in dieser Ausprägung gegeben hat, nur noch als Mythos existierte. Im Anschluss an Edward P. Thompsons Konzept einer plebejischen "moralischen Ökonomie" schließlich verlieh man im Rahmen dieser Interpretation den "Maschinenstürmen" eine ideologische und phänomenologische Geschlossenheit, die sie schlicht nicht besaßen.
Michael Spehrs hochwillkommenes, glänzend geschriebenes Buch über Erscheinungen des "Maschinensturms" während der deutschen Frühindustrialisierung, eine Bielefelder Dissertation, räumt mit diesen Mythen gründlich auf. Zunächst einmal weist Spehr den verbreiteten Eindruck zurück, als habe es sich dabei - wie in England - um ein zeitlich komprimiertes aber dennoch massenhaftes Phänomen gehandelt. "Maschinenstürme" waren in Deutschland selten, und sie sind erst angemessen zu erfassen, wenn man sie in den breiteren Kontext einer Protestbewegung stellt, die sich nur in einigen, genau benennbaren Fällen in der Hauptsache gegen mechanische Produktionseinrichtungen wandte. Aus diesem Grunde bevorzugt Spehr zu Recht den Begriff des "Maschinenprotestes" gegenüber dem engeren, auf ungeregelte Gewaltausübung abhebenden Konzept des "Maschinensturms".
Ferner weist Spehr zweifelsfrei nach, dass sich Protest, Aufruhr und Gewalt fast nie gegen die Maschine an sich richteten. Von purer Technikfeindschaft aus dem Geist einer rückwärtsgewandten Mentalität konnte so gut wie nie die Rede sein. Selbst als im Zuge des berühmten schlesischen Weberaufstandes von 1844 Fabrikanlagen in der Tat verwüstet wurden, blieb eine Dampfmaschine unbehelligt, und einige Eindringlinge betrachteten das dampfende und zischende Ungetüm "erstaunt und verwundert, tippten sanft an diese oder jene Schraube und riefen einander zu: Das sei doch sehr schön" (S. 119). Das Maschinenwesen wurde nur in seinem jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Kontext Zielscheibe des Protests. Fast immer ging es dabei um ein Szenario, das vom Eindringen kapitalistischer Marktverhältnisse in ein traditionelles handwerklich-heimgewerbliches Produktionssystem geprägt war. Der Protest richtete sich in der Regel zuallererst gegen die ausländische Konkurrenz aus England, Frankreich und Belgien, die den deutschen Markt überschwemmte und die Preise verdarb. Er wandte sich dann gegen die Verleger-Kaufleute und Unternehmer vor Ort, die daraus Profit zu schlagen suchten und die Löhne senkten, den handwerklichen Produzenten ihre "Nahrung" nahmen und sie außer Arbeit setzten. Erst in diesem Zusammenhang gerieten die Maschinen in den Blickpunkt der Kritik: Sie symbolisierten den moralisch verwerflichen Vorstoß der Unternehmer, sich das Einkommen aus der Produktion allein anzueignen, da nunmehr die Produzenten aus dem Markt gedrängt zu werden drohten und sie den "eisernen Arbeitern" nicht einmal mehr Hungerlöhne zahlen mussten.
Damit bewegte sich der "Maschinenprotest" auf der Schwelle zwischen ständischem Denken und moderner - gewerkschaftlicher oder politischer - Interessenvertretung. Das Konzept der "auskömmlichen Nahrung" stand in vielen Fällen noch ebenso Pate wie das Bild einer ungleichen, hierarchisch gegliederten Gesellschaft, in der gleichwohl für alle "Stände" ein Platz im Gemeinwesen reserviert war. Eine solche ständische Argumentation prägte die vielen Petitionen, die im Untersuchungszeitraum Spehrs zur Hauptartikulationsform des "Maschinenprotests" avancierten. Medium des Kampfes gegen die Maschinen war weitaus häufiger die Eingabe als die Gewalt, und oftmals besaßen auch die "manifesten Aktionen" eine lange Vorgeschichte vergeblicher Suppliken an eine "gerechte Obrigkeit". Im Verlauf der Auseinandersetzungen verschärften sich zudem Ton und Inhalt der Eingaben. Die traditionell devote und formelhafte Sprache der "bis zu den Stufen des Throns" vorgetragenen Ansinnen wich allmählich - und beschleunigt im Vorfeld und während der Revolution von 1848 - einer Rhetorik, die sich auf alte Rechte berief und diese nicht als Untertanen, sondern als "Staatsbürger" einklagte. Auch hielten marktwirtschaftliche Argumente Einzug in die Petitionen; sukzessive ging man ab von der Position des "auskömmlichen Handwerks" und beschwor ein gesellschaftlich nützliches und wirtschaftlich aussichtsreiches selbständiges kleines Produzententum. Das Flehen um die Gnade des "gerechten" Königs schlug schrittweise um in Forderungen an eine "neue" Obrigkeit, gegenüber der man offensiv Rechte geltend machte.
In mehreren Fallstudien untersucht Spehr zum einen Branchen und Regionen, in deren Kontexten "Maschinenproteste" besonders häufig und massiv auftraten. In diesen Analysen der Tuchschererei, des Buchdrucks und des Kattundrucks liefert er eine integrierte Wirtschafts-, Sozial- und Technikgeschichte dieser Produktionsbereiche, die für sich selbst genommen schon eine wichtige Bereicherung des einschlägigen Forschungsstandes darstellt. Ganz deutlich wird hier die große Bandbreite der ökonomischen Bedingungen, sozialen Konsequenzen und Technikfolgen des jeweiligen Übergangs zur Fabrikproduktion, der zudem meistens punktuell erfolgte und häufig in langjähriger prekärer Koexistenz mit der Handfertigung des Heimgewerbes mündete. Präzise herausgearbeitet wird auch, dass die "Maschinenproteste" genau wie andere Formen sozialer Bewegungen dieser Zeit von einer sozialen Infrastruktur getragen waren, die die notwendigen sozialen Bindungen und Ressourcen bereits vor ihrem Entstehen bereit stellte. Proteste waren ein Zeichen der Stärke und eine Handlungsform, die sozial vorstrukturierten, gut organisierten Gruppen von Handwerkern und Arbeitern zur Verfügung stand; sie waren kein Ausdruck schierer Verzweifelung, spontan hervorgebracht von "zusammenrottierenden" Volksmassen.
Dementsprechend lassen sich zum anderen der Verlauf und die Handlungstypologie von "Maschinenprotesten" nicht als irrational, chaotisch und zügellos gewalttätig beschreiben. Sie folgten einer klaren Logik der Eskalation, die Übergriffe erst rechtfertigte, wenn wiederholte Versuche einer friedlichen Regelung durch Eingabe an die Behörden oder Verhandlungen mit den Unternehmern erfolglos geblieben waren. Spehr weist darauf hin, dass in den oben genannten Bereichen Elemente einer politischen oder gewerkschaftlichen Interessenvertretung Protest gegen die Maschinen ausdrücken konnten, ohne in "Maschinensturm" umzuschlagen. Das galt vor allem für die Buchdrucker, die letztlich Profiteure der Einführung von Druckmaschinen im dadurch rapide expandierenden polygraphischen Gewerbe waren. In solchen Bereichen entstanden Streiks als ein Machtmittel gegen die Mechanisierung. In anderen Bereichen und vor allem im Kontext der allgemeinen revolutionären Strömungen wurde der "Maschinensturm" im Sinne einer manifesten Zerstörung von technischen Einrichtungen in den breiteren Zusammenhang von klassischen "Volksunruhen" eingebettet (S. 122 ff.). Diese besaßen Phasen und Bestandteile von hohem Wiedererkennungswert und klarer symbolischer Bedeutung; sie richteten sich auch gegen Obrigkeiten und deren überzogene militärische Gewaltanwendung gegenüber Demonstranten; sie wandten sich gegen "ungerechte" Fabrikanten und Unternehmer, wohingegen kooperationswillige Eigentümer nicht nur unbehelligt blieben, sondern gefeiert wurden; und sie übten Gewalt eben nicht nur gegen Maschinen aus, sondern auch gegen die Häuser und das Mobiliar "privater Profiteure", die gegen das ständische Gleichgewicht der Ordnung oder das "Allgemeinwohl" der "Produzenten" verstoßen hatten. Demonstrativ wurde dabei die Gewalt "gezähmt" und begrenzt; den Behörden trat man mit betonter Ehrerbietung entgegen, und Plünderungen oder Gewalt gegen Personen sollten peinlich vermieden werden.
Spehrs Untersuchung ermöglicht wichtige neue Einsichten in zwei unterschiedliche und doch zusammengehörende "Sattelzeiten": Zum einen beleuchtet sie die vielfältigen Übergänge und Ambivalenzen von einer lange vor der Einführung der Maschinen in Bewegung geratenen und erodierten handwerklichen Produktionsweise zur industriellen Fabrikproduktion. Das Scharnier bildet hier der Markt, der eben neben den neuen kommerziellen Elementen auch noch zahlreiche ältere Züge besaß, die gleichwohl einer auch marktwirtschaftlichen ökonomischen Logik unterlagen. Zum anderen erhellt sie die Übergänge und Ambivalenzen von einer ständischen Sozialwelt mit ihren Deutungsmustern, ihrer Moral und ihren Protestformen zu einem klassengesellschaftlich überformten Gemeinwesen und einer Arbeiterbewegung, die sich in Deutschland zunächst als politische und erst in zweiter Linie als gewerkschaftliche Bewegung konstituierte. Hier spielte die Rolle des Arbeitsplatzes und der Arbeit im materiellen wie im ideologischen Sinne das Scharnier. Dabei kann man anhand der "Maschinenproteste" beobachten, wie sich traditionelles Denken mit neuen Erfahrungen verband und dabei veränderte und wie graduell - fernab aller heute gebräuchlichen dichotomischen Vorstellungen von "Vormoderne" und "Moderne" - sich die ständische Gesellschaft in eine kapitalistische "Bürgergesellschaft" verwandelte. Als im Zuge der Revolution eine "volkstümliche" politische Öffentlichkeit entstand und letztlich nicht mehr beseitigt werden konnte, war ein Forum geschaffen, in dem man sich dann über die partikularen Interessen bedrängter Produzenten im gemeinsamen Rahmen eines universalen Vokabulars verständigen konnte. Insofern gehören die "Maschinenproteste" durchaus zur Geschichte des Kapitalismus in Deutschland und zur Geschichte der Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung dazu.
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Thomas Welskopp, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin, <welskopp@aol.com>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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