Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Dominik Waßenhoven
Zur Geschichte Nordeuropas im Mittelalter gibt es nur wenig Literatur in deutscher Sprache. Neuere Werke, die einen Überblick geben wollen, liegen praktisch nicht vor. Diesem Mangel will Martin Kaufhold abhelfen. Er liefert jedoch keinen erschöpfenden Überblick, sondern konzentriert sich bei seiner Darstellung auf einen Schwerpunkt. Der rote Faden, der sich durch den einführenden Essay (S. 7) zieht, ist die Integration, das Hineinwachsen Skandinaviens in das christliche Europa.
Der geschichtliche Überblick ist dabei nicht zu kurz gekommen. Kaufhold schildert die Grundzüge der werdenden und sich etablierenden Königreiche kenntnisreich, ohne sich in Einzelheiten zu verlieren. Er hat immer sein Leitthema im Blick, den Bezug auf Europa. Was er unter Europa versteht, erläutert Kaufhold zu Beginn allerdings nur kurz, ohne wirklich konkret zu werden. Für ihn ist Europa eine Wertegemeinschaft, mit einem ähnlichen Verständnis von politischer, religiöser und rechtlicher Ordnung. Das bleibt etwas diffus und das muß es auch (S. 10). In der Tat ist dieses Europa-Verständnis diffus, aber es ist nicht ersichtlich, warum es das sein muss. Kaufhold umgeht eine weitere Problematisierung und konzentriert sich fortan auf Westeuropa, wodurch die interessanten Verbindungen vor allem der Schweden mit Byzanz, die nicht zu einer Integration führten, außen vor bleiben. Die intensiv genutzten östlichen Handelswege finden ebenso wenig Erwähnung wie die engen Beziehungen zu Kiew-Novgorod und Byzanz, wo etliche Waräger Kriegsdienst leisteten.
Man merkt dem Buch deutlich an, dass es aus einer Einführungsvorlesung
(und anderen Lehrveranstaltungen) hervorgegangen ist, denn viele grundlegende
Erscheinungen, die nicht nur die nordische Geschichte betreffen, werden
erläutert. Dazu zählen um nur einige Beispiele zu nennen
der Investiturstreit, das Eigenkirchenwesen oder die Exkommunikation.
Damit werden auch Studienanfänger und interessierte Laien angesprochen.
Dem anschaulichen Stil Kaufholds ist es zu verdanken, dass solche Passagen
keine Längen erzeugen. Leider hat sich jedoch eine Vielzahl von
Rechtschreibfehlern eingeschlichen.
Im Text verteilt finden sich Blöcke mit längeren Quellenzitaten
in Übersetzung, auf denen die Darstellung fußt. So bekommt der
Leser auch einen ersten Eindruck von der meist spärlichen Quellenlage,
ohne das Altnordische (oder Lateinische) beherrschen zu müssen. Das
Literaturverzeichnis hingegen umfasst nur wenige Titel, da Kaufhold sich
auf neuere Arbeiten in deutscher oder englischer Sprache konzentriert hat.
Die Darstellung beginnt mit den ersten Missionsversuchen durch das
fränkische Reich und den etwa zeitgleich einsetzenden Wikingerzügen.
Kaufhold interpretiert die Quellen meist zurückhaltend und versucht,
keine weitreichenden Schlüsse zu ziehen. Beispielsweise ist er vorsichtig,
Überbevölkerung und ein exklusives Erbrecht als Gründe für
die Wikingerfahrten anzusehen, und hat stattdessen einen interessanten
Erklärungsansatz: Die Verbindung von lohnenden Zielen und der
schnell verbreiteten Kunde von diesen lohnenden Zielen mit einer Haltung,
die solchen Abenteuern gegenüber aufgeschlossen war, bietet eine
mögliche Erklärung für das schwunghafte Einsetzen der
Wikingerfahrten seit den 830er Jahren. (S. 33) Die Neugier ist für
Kaufhold ein wichtiges Movens der Integration.
Kritisch sieht Kaufhold auch die Bemühungen der letzten Jahre, die Wikinger
als friedliebende Händler darzustellen. Im Gegensatz zu den meisten
neueren Arbeiten betont er das Plünderungs- und Beutemotiv, das zumindest
neben den Handelsinteressen bestand.
Im Zusammenhang mit den Wikingerzügen behandelt Kaufhold ausführlich
die Ansiedlung der Nordleute in der späteren Normandie und versucht
trotz schwieriger Quellenlage eine Darstellung der Integration dieser
Bevölkerungsgruppe. Sie führte in jedem Fall zu einer Befriedung
der Normannen, die mit militärischen Mitteln nicht erreicht werden konnte.
Den Abschluss dieses Integrationsvorgangs in der Normandie sieht Kaufhold
zu Beginn des 11. Jahrhunderts und damit in zeitlicher Parallelität
zur Christianisierung der skandinavischen Bevölkerung.
Im nächsten Kapitel wendet sich Kaufhold den (werdenden) skandinavischen
Königreichen zu und schildert ihre Christianisierung im 10. und 11.
Jahrhundert. Die Wikingerzeit endet für ihn bezogen auf die
Integration schon etwa 1030/40, also rund 30 Jahre früher als
in der traditionellen Sichtweise. Er macht diese Datierung an der Hochzeit
der Tochter des dänischen Königs Knut mit Kaiser Konrads II. Sohn
Heinrich fest, auch wenn diese Verbindung nicht von langer Dauer war. Ein
solches Ereignis läßt sich kaum der Wikingerzeit zuordnen
(S. 68).
Dieses Kapitel enthält auch einen Abschnitt über die wikingische
Expansion im Nordatlantik. Das einzige, was die ausführlichen Schilderungen
der Besiedlung Grönlands und der Reisen nach Neufundland zum Thema
beisteuern, ist die Feststellung, dass diese Gebiete zu abgelegen waren,
um dauerhaft in das christliche Europa integriert werden zu können.
Ansonsten hatten die Wikingerfahrten nach Nordwestamerika keinerlei
Folgen, die auf Europa oder auch nur auf den Norden Europas
zurückwirkten (S. 62), wie Kaufhold selbst feststellt. Es ist
also nur vor dem Hintergrund der Überblicksdarstellung, die aber auch
an anderen Stellen nicht vollständig ist, erklärbar, dass Kaufhold
diese Fahrten schildert. Ihre Aufnahme in die Darstellung wirft aber auch
die Frage nach dem Europa-Verständnis erneut auf, denn es ist nicht
ersichtlich, warum Kaufhold von den Grönland- und Amerikafahrten, die
über Europa hinausführten, berichtet, während die Verbindungen
nach Ost- und Südosteuropa, die für den europäischen Handel
von großem Interesse waren, keinerlei Erwähnung finden.
In den folgenden Kapiteln beschreibt Kaufhold die Annäherung der
christlichen Königreiche Skandinaviens an Europa, die sich vor allem
in der Kirchenorganisation, aber auch in Architektur und Literatur widerspiegelt.
Die Orientierung nach Rom, die besonders in Island und Norwegen stark
ausgeprägt war, spielte beim Integrationsvorgang eine entscheidende
Rolle. Die Kontakte hatten aber immer nur punktuellen Charakter und führten
nicht zur Ausbildung von Strukturen.
Kaufhold bewertet die Integration nicht ausschließlich positiv. So
führte sie auch dazu, dass hierarchische Ordnungsgedanken in den Norden
kamen, die dort noch nicht bekannt bzw. bestimmend waren. Die Unterwerfung
Islands unter den norwegischen König zeigte die andere Seite der
europäischen Kultur des dreizehnten Jahrhunderts (S. 154).
Als sichtbaren Ausdruck der Integration bewertet Kaufhold das Angebot Papst
Innozenz IV. an den norwegischen König Håkon, die
Kaiserwürde zu übernehmen. Es läßt sich als die
Erfüllung einer fortschreitenden Integrationsentwicklung interpretieren,
in der sich dieses Land im Norden schließlich soweit in die
europäische Politik eingefügt hatte, daß ihm das höchste
weltliche Amt der Christenheit angetragen wurde. Das war ein sichtbarer Erfolg,
auch wenn das Angebot eine Verlegenheitslösung war und ausgeschlagen
wurde (S. 146). Dennoch blieben die skandinavischen Länder in
einer Randlage. Es wird deutlich dass Kaufhold bei aller Konzentration auf
das Thema der Integration in der Beurteilung realistisch bleibt.
Entscheidend für die Integration war langfristig gesehen die Ausrichtung der Skandinavier nach Europa und der Wille, die christlichen Vorstellungen anzunehmen. Dahinter sieht Kaufhold vor allem eine grundlegende Motivation, die auch ihn selbst zu inspirieren scheint: die Neugier auf das Unbekannte (S. 166).
Insgesamt bietet Kaufholds Buch zweierlei: Einen fundierten Überblick
über die Geschichte der skandinavischen Reiche zwischen 800 und 1300,
der nicht alle Einzelheiten anführt, der aber die Entwicklungslinien
aufzeigt und anhand von ausgewählten Beispielen anschaulich macht. Dabei
nimmt Kaufhold die Unterschiede wahr, die zwischen den nordischen Ländern
bestanden, und ist sich bewusst, dass es den Norden nicht gegeben
hat. Gleichzeitig enthält die Darstellung auch einen thematischen
Schwerpunkt, auf den Kaufhold die vielen Ereignisse dieses langen Zeitraums
hin ordnet und auswählt.
Das große Verdienst Kaufholds ist es, einen Überblick über
die skandinavische Geschichte geliefert zu haben, der nicht nur in
deutscher Sprache seinesgleichen sucht. Deswegen ist sein Buch trotz
der genannten Kritikpunkte empfehlenswert, und zwar sowohl für diejenigen,
die sich erstmals mit dem mittelalterlichen Skandinavien befassen wollen,
als auch für Kenner der nordischen Geschichte.
Rezensiert für
H-Soz-u-Kult
von:
Waßenhoven, Dominik,
<domwass@web.de>
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <MuellerH@GESCHICHTE.HU-Berlin.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
|
Copyright (c) 2001 by H-SOZ-U-KULT (H-NET), all rights reserved. This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and the list. For other permission, please contact H-SOZ-U-KULT@H-NET.MSU.EDU.
·
·