Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Ueberschär, Ellen
Beaupains nicht leicht zu rezipierende Studie versucht, eine Nische
christentumsgeschichtlicher DDR-Forschung auszuleuchten. Der Bund Freier
Evangelischer Gemeinden war eine minoritäre, zum Spektrum der Freikirchen
gehörende Gemeinschaft, der bisher kaum historiographische Aufmerksamkeit
zukam.
Nicht leicht zu rezipieren ist die Studie vor allem deshalb, weil Beaupain
der seine Voreingenommenheit als Mitglied konzediert sich weniger
an wissenschaftlichen Standards als an einem
Selbstverständigungsprozeß des Bundes Freier Evangelischer Gemeinden
orientiert. So erschweren einerseits Insider-Begrifflichkeiten die Lektüre,
während andererseits auf einen Anschluß an den gesicherten
Forschungsstand zur DDR-Kirchengeschichte verzichtet wird.
Weil das Forschungsfeld noch nicht bearbeitet ist, holt Beaupain historisch weit aus. Er setzt mit einem Gründermythos um Hermann Heinrich Grafe ein, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts Freie evangelische von reformierten Gemeinden separierte (21-24). Die Frage nach einer Einordnung in das weite Spektrum der Erweckungsbewegung beantwortet Beaupain mit einem als konfessionskundlich bezeichneten Überblick, der - zwischen Information und Missionierung der Leserschaft schwankend - die theologisch aktuellen Grundpositionen der Freien Gemeinden auflistet.
In den Kapiteln 2 und 3 nimmt Beaupain nun eine geographische Eingrenzung auf das Gebiet Mitteldeutschlands vor (41), wobei er Berlin und Thüringen als Schwerpunkte freikirchlicher Gemeindebildung in der Weimarer Republik darstellt. Weil Beaupain die Zeit des Nationalsozialismus bereits im historischen Vorspann anspricht, setzt der Abschnitt über die Besatzungszeit unvermittelt ein. Unter Vernachlässigung wichtiger Forschungsergebnisse zur Besatzungspolitik der Sowjets beschreibt Beaupain die politische Situation mit Sätzen wie: Der Weg Stalins wurde damit letztlich nicht nur zum Weg der SED, sondern auch zum Weg der Sowjetischen Besatzungszone/DDR (59)[1]. Beaupain mutmaßt, daß den Gemeinden die atheistische Intention des sich aufbauenden Kommunismus bekannt war(61). Neben der politischen Situation benennt er ein für die Kirchengeschichte der Nachkriegszeit untypisches Phänomen, für das er jedoch keine Erklärung gibt: die in den Westzonen agierende Leitung des Bundes der Freien Evangelischen Gemeinden hielt sich mit Kontakten in die SBZ äußerst zurück und provozierte dort ein Isolationsempfinden (65). Diesem Empfinden entsprachen bereits 1948 einsetzende Überlegungen zur Gründung eines eigenständigen Bundes der Gemeinden in der SBZ und dem Ostsektor Berlins. Auf Druck des Berliner Magistrats löste die Führung der östlichen Gemeinden die Verbindung zur westlichen Bundesleitung und bildete im Herbst 1950 den Bund der Freien Evangelischen Gemeinden in der DDR. Als Gegenleistung sagten die staatlichen Stellen eine vermeintliche Rechtssicherheit zu. Auf die Anerkennung dieser übereilten Anpassungsleistung durch die westliche Bundesführung und internationale freikirchliche Zusammenschlüsse mußte der Bund mehr als 17 Jahre warten (104 ff).
Den Kern der Untersuchung bildet das Kapitel 4, das statistische Angaben
und Analysen (110) von den 1950er bis zu den 1990er Jahren enthält.
Während sowohl die Zahl der Gemeinden, als auch die der Mitglieder bis
zur Mitte der 1950er Jahre expandierte, kippte diese Entwicklung seit der
zweiten Hälfte der 1950er Jahre in ihr Gegenteil. Naiv erscheint die
Annahme Beaupains, daß die Führung mit der Unterlassung von
Zahlenangaben in den offiziellen Publikationen bewußt ein
Informationsdefizit auf staatlicher Seite verstärkte, um das genehmigte
Papierkontingent und die Druckerlaubnis für Bücher und Broschüren
zu schützen. Eine instruktive Graphik zur Mitgliedschaftsentwicklung
(116) zeigt, daß der Bund Freier Evangelischer Gemeinden im
kirchlich-religiösen Minorisierungsprozeß keine Ausnahme bildete.
Von 1664 Mitgliedern im Jahr 1953 sank die Zahl auf 851 im Jahr 1988. Einige
signifikante Abweichungen ergeben sich aus der besonderen Struktur
freikirchlicher Gemeinden: Den ungewöhnlichen Anstieg der Mitgliederzahlen
in den frühen 1950er Jahren führt Beaupain im wesentlichen darauf
zurück, daß freie Gemeinden oder Stubenversammlungen
Anschluß an eine rechtlich abgesicherte Kirche suchten. Allerdings
ist darin ein Verkirchlichungsphänomen wiederzuerkennen, das sich im
protestantischen Vereinsspektrum für dieselbe Zeit ebenfalls beobachten
läßt. Eine dieser Konzentration gemeindlicher Arbeit entgegenlaufende
Tendenz stellen die zahlreichen Gründungen von
Stationsarbeiten, Dependancen größerer Hauptgemeinden,
dar, die als missionarische Erfolge galten. Die personalintensive Betreuung
dieser äußerst kleinen Einheiten konnten sich die Gemeinden zunehmend
weniger leisten, zumal die Behörden Ende der 1950er Jahre den Zuzug
von vier Pastoren verweigerten (127). Langfristig erwies sich die Verlagerung
gemeindlichen Lebens in Kleinstgemeinschaften als Falle, denn jüngere
Menschen fanden dort kaum Zugang. Im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit
hatte die Freikirchen noch in den 1970er Jahren dramatische Rückgänge
zu verzeichnen (137), eine Zeit, in der sich gerade dieser Bereich in den
evangelischen Landeskirchen stabilisierte.
Neben dem engen Kreis der Mitglieder stellen in freikirchlichen Gemeinden
die Besucher eine wichtige Bezugsgröße dar. Ihr Anteil
überstieg die Zahl der Mitglieder in den 1950er Jahren um mehr als das
doppelte, in den 1980er Jahren sank er auf die Hälfte. Daraus ergeben
sich Fragen nach der Konzeption freikirchlicher Gemeindearbeit in der Diktatur,
auf die Beaupain jedoch schwer Antworten findet. Er begnügt sich mit
Hinweisen darauf, daß das Verhalten freikirchliche
Führung deutlicher als ein Reagieren denn ein Agieren zu
interpretieren sei (147).
Die Erwartung, über organisatorische und konzeptionelle Entwicklungen Detaillierteres zu erfahren, enttäuscht Beaupain damit, daß er in den Kapiteln 5 und 6 mit der Betrachtung der Rahmenbedingungen fortfährt und das Staat-Kirche-Verhältnis der Freikirchen thematisiert. Ohne auf die Entscheidungsebenen und Funktionsweise des Parteistaates einzugehen, erläutert er zunächst die Entwicklung des Staatskirchenrechtes und daran anschließend die Strategie des Staatssekretariates für Kirchenfragen: Neben den Einzelgesprächen, die die Isolierung der schwindenden religiösen Gemeinschaften vorantrieben, führte die staatliche Behörde Gruppengespräche, in denen die sogenannten progressiven Kräfte zu vereinnahmenden Wir-Aussagen (175) bewegt werden sollten. Ohne daß Beaupain darauf verweist, ist deutlich die im Anschluß an das Grundsatzpapier Zur Politik der Partei in Kirchenfragen von 1954 in den zentralen Führungsebenen der Partei erarbeitete Strategie wiederzuerkennen, in der die Differenzierung in progressive und negative Kräfte ein wesentliches taktisches Element bildete [2]. Die für die kirchenpolitische Linie der Partei zentrale Arbeitsgruppe für Kirchenfragen kommt bei Beaupain erst 1977 mit einem Arbeitspapier in den Blick, das eine langfristige Konzeption der politischen Einflußnahme auf die Freikirchen vorstrukturierte (178).
Die Freikirchen selbst hatten 1962, unmittelbar nach dem Mauerbau, die Weichen gestellt: Sie gaben eine Loyalitätserklärung ab, in der sie die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik als eine von Gott gesetzte Obrigkeit anerkannten, der sie Unterordnung und Loyalität schuldig seien (205). Bis zum Ende der DDR löste sich der Bund der Freien Evangelischen Gemeinden kaum aus dieser Position prinzipieller Anpassung. Die Interpretation Beaupains, wonach das Spitzengespräch zwischen den evangelischen Landeskirchen und der Regierung der DDR am 6.3.1978 in den Freikirchen einen Wandlungsprozeß ausgelöst hätte, überzeugt nicht.
Kapitel 7 springt in die organisatorische Entwicklung des Bundes nach dem Ende der DDR: die Vereinigung von Ost und West, hier wären Vergleichsgrößen für ein ausgewogenes Urteil von Vorteil gewesen: einige privatempiristisch erhobene Befunde hätten so eingeordnet werden können.
Nach dieser, im chronologischen Zick-zack-Kurs absolvierten Darstellung folgen in historischer Reihenfolge die Porträts der Bundesvorsteher. Diese Prosopographien stehen in Spannung zu dem in Kapitel 1 betonten kongregationalistischen Ansatz. Überdies häufen sich hier Wiederholungen, während einiges, z.B. der religiöse Hintergrund der Bundesvorsteher in den Vorkapiteln erhellend gewirkt hätte. Kapitel 9, 10 und 11 beleuchten die Arbeitsbereiche Literatur, Ausbildung, Evangelisation und Diakonie, ohne daß ihre Auswahl und Separierung hinreichend begründet wird.
Der Untersuchung Beaupains fehlt prinzipiell eine analytische Ebene. Das entwertet nicht nur die ohne Zweifel fleißig und gewissenhaft zusammengetragenen Quellenfunde, sondern verhindert auch das Erkennen kirchengeschichtlicher Zusammenhänge und Parallelen. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei auch die Tendenz Beaupains, die Freikirchen auf Kosten der sogenannten Großkirchen zu profilieren. Das hält ihn davon ab, die vorliegenden validen Forschungsergebnissen zur Kirchenpolitik der SED zu integrieren. In umgekehrter Richtung ergeben sich allerdings weiterführende Aspekte. Die sich geradezu aufdrängenden Begriffe von Anpassung und Loyalität könnten neue Kriterien für die von Gerhard Besier angestoßene Debatte um die politische Anpassung der Kirchen an das Regime und deren Zeitpunkt liefern [3].
Anmerkungen
[1]
Naimark, Norman M., The Russians in Germany. A history of the Soviet Zone
of Occupation, 1945-1949, Cambridge-Massachusetts-London 1995, deutsch: Die
Russen in Deutschland. Die Sowjetische Besatzungszone 1945-1949, Berlin 1997.
Foitzik, Jan, Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD),
in: Broszat, Martin/ Weber, Hermann (Hgg.), SBZ-Handbuch. Staatliche
Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre
Führungskräfte in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands
1945-1949, München 1993, 7-69.
[2]
Goerner, Martin Georg, Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer
Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945-1958,
Berlin 1997, Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien
Universität Berlin.
Mau, Rudolf, Eingebunden in den Realsozialismus. Die Evangelische Kirche
als Problem der SED, Göttingen 1994.
[3]
Besier, Der SED-Staat und die Kirchen. Der Weg in die Anpassung, München
1993.
Rezensiert für
H-Soz-u-Kult
von:
Ueberschär, Ellen ,
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Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Vera Ziegeldorf <ZiegeldorfV@geschichte.hu-berlin.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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