Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Spitzer, Giselher
Diese erste Gesamtstudie über die Sportgemeinschaft Dynamo Dresden (SGD) von Ingolf Pleil, Redakteur aus Radeberg, ging aus dem Journalistik-Fernstudium an der Freien Universität hervor und wurde mit dem Fritz-Eberhard-Preis ausgezeichnet. Es geht um den sechsfachen DDR-Meister, der nie den Status eines DTSB-Fußballclubs erlangen durfte. Seit 1978 konnte man nur Platz 2 erreichen, immer hinter dem neuen Seriensieger Berliner Fußballclub Dynamo (BFC). Dem BFC präsidierte der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke.
Die SG Dresden war seinerzeit in einem dramatischen machtpolitischen Akt zur Auslöschung der Erinnerung an die populäre, als bürgerlich denunzierte Mannschaft um Helmut Schön, Richard Hofmann und Hans Kreische künstlich geschaffen worden: Durch Versetzung von Spielern. Fünf ehemals Potsdamer Spieler errangen 1953 die Meisterschaft. Diese Kunstmannschaft bildete nach der erneuten Verpflanzung von 1954 übrigens den Stamm des späteren BFC. Die Berliner wie die Dresdner repräsentierten als Dynamo-Teile zugleich deren sportlichen Eliteanspruch: gegenüber dem Ausland und, vor allem, gegenüber den Clubs des zivilen Sports, der Betriebe und der Armee. [1]
Das Cover zeigt Humor. Hans-Jürgen Dörner, einer der beliebtesten DDR-Sportler überhaupt, ist von oben zu sehen: nackenlanges Haar, ein Goldkettchen schaut aus dem Leibchen. Der Blick geht halb gespannt, halb entspannt nach oben Richtung Ball. Davor wurde die Überschrift montiert. Auch das Emblem der SGD ist zu sehen, das weiße D der Dynamo-Sportvereinigung von Polizei, Staatssicherheit und Zoll auf rotem Grund. Wie dieser Dreiklang um die beliebteste DDR-Sportart und die Verbindung mit dem terroristischen Geheimdienst das Dresdner Team beeinflusst hat, wird in einer lesbaren und mit 271 Quellennachweisen versehenen Fallstudie aufgezeigt. Von 72 Spielern lagen zu 18 von ihnen Unterlagen über Erfassungen als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) vor.
Die Richtlinien des Ministeriums für Staatssicherheit beim Ministerrat der DDR (MfS) wird mit der speziellen Rolle im Hochleistungssport der DDR in Beziehung gesetzt. Hierbei leitet der Autor die Aggressivität der Stasi (so die zeitgenössische Bezeichnung durch Bürgerrechtler) gegen die eigenen Bürger aus dem zu verhindernden Prestigeverlust durch ungesetzliches Verlassen der DDR, sprich Republikflucht ab (S. 4). Nach einem längeren Dokument folgt die exemplarisch angelegte Darstellung, wie sich die Bearbeitung (so die MfS-Terminologie) des Fußballclubs im Licht der Quellen darstellt (S. 54-146).
Hier liegt zweifellos eine Stärke des Buches, denn wichtige Elemente
des sozialhistorisch hochinteressanten wie komplexen Aktionsfeldes einer
Verstrickung mit dem DDR-Geheimdienst erklären sich bei der Lektüre
selbst: Welche Mannschaftsmitglieder sich einer Indienstnahme als
Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und
Sicherung des Verantwortungsbereiches (IMS) verweigert oder wieder
entzogen haben. (S. 172-180).
Wie gut die psychologische Vorbereitung der Stasi war, um jeweils den richtigen
Nerv der IM-Kandidaten zu treffen, auch wenn das
als James-Bond-Spiele bewertet werden (S. 66).
Wo Interessenidentität zwischen IM und Führungsoffizier
bestand und stabile Beziehungen entstanden.
Wer im Sinne der Stasi und /oder eigener Karriereinteressen als IM tätig wurde und wer zur Stasi-Durchherrschung des halbstaatlichen Fußballapparates beitrug. Da Pleil auch die Kommentare von Opfern wie von auskunftsbereiten Tätern solcher Stasi-Aktivitäten einbezieht, ist dieses Kapitel mit großem Gewinn zu lesen, selbst wenn er die Zusammenhänge hauptsächlich im Nachwort bewertet (S. 279-288). Die dann folgenden 130 Seiten setzen sich mit Einzelaspekten auseinander. Im Fall der Spitzenspieler Weber, Kotte und Müller (S. 147-187) konnte die Stasi zwar einer Flucht zuvorkommen, dies aber nur durch Aufgabe des Prinzips der Geheimhaltung.
Nach einer Denunziation durch IM im Oktober 1980 empfahl man zunächst, die drei Spieler verdeckt aus der Nationalmannschaft zu entfernen. Aus Zeitmangel wurden die Spieler jedoch am Abreisetag abgeholt und zwei weitere Männer sowie zwei Frauen verhaftet. Die harten Urteile gegen Weber (die IM-Verstrickung wird von Pleil diskutiert), das Ende der Karriere und weitere Folgen für die freigelassenen Spieler werden eindrücklich geschildert. Auch ist spannend, dass Schüler und Öffentlichkeit Protestformen gegen die Maßregelung der Betroffenen entwickelten. Verband, politisch gesteuerte Presse und Stasi reagierten darauf mit Falschinformation und Druck (S. 161-171).
Der Abschnitt über die örtliche Stasi als Sponsor und Fürsorger (S. 188-215) verweist zugleich auf einen Webfehler des Systems: Anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen hatte das MfS im Leistungssport handfeste Eigeninteressen, die maßgeblich zur Sonderrolle des DDR-Fußballs beitrugen. [2] Es bestand daher ein dynamisches Spannungsverhältnis zwischen den Sicherungsaufgaben und der Begünstigung der eigenen Mannschaft in der nationalen Szene. Auf den Seiten 204-215 wird ein mehrstündiges Zeitzeugengespräch mit einem Stasi-Offizier dokumentiert, der offensichtlich aus der Perspektive des Auslandsdienstes des MfS berichtete. Wieweit sein Zeugnis heute ernst zu nehmen ist, wenn man an die zersetzenden Aufgaben der HVA denkt, bleibt offen. Ist es Desinformation, wenn er wie folgt darauf antwortet, wie man die SED-Bezirksleitung informiert habe: Wir wollten die Wahrheit herausarbeiten. Mielke legte großen Wert darauf, was an die Partei geht, muss stimmen. Lieber noch mit einem anderen inoffiziellen Mitarbeiter gegenrecherchieren lassen, aber es musste stimmen. (S. 208)
Solche Bekundungen decken sich nicht mit den Beobachtungen des Verf. zum Informationsverhalten gegenüber der SED. Passagen, dass der MfS-Bezirkschef Böhm ein bewegter, stürmischer, drangvoller Bürger gewesen sei (S. 209), hätte man die Schilderungen der Opfer solcher diktatorischen Verhaltensweisen entgegensetzen können. Von Doping will dieser Zeuge nichts gewusst haben (S. 210, 212). In seinem eigenen Arbeitsgebiet HVA habe man nach der Flucht in den Westen von Frank L. lediglich dessen freiwillige Rückkehr angestrebt (S. 213). Zum Todesfall des regimekritischen Lutz E. wird geäußert, Mielke sei lediglich aufgebracht gewesen (S. 214) also kein Mordauftrag? [3]
Ein längeres Kapitel über Die anderen Interessengruppen innerhalb des Fußballs verdeutlicht die nationalen Fronten [4] (S. 216-262), denn widerstreitende Interessen in den Bezirken um die Förderung der Teams widersprachen dem Prinzip der zentralen Leitung. Pleil geht dort auch auf Doping ein, das sich in Stasi- wie auch SED-Quellen niederschlägt. Man nutzte laut Arzt-IM WERNER stimulierende Mittel mit kurzfristiger Wirkung. Sie werden 1980 laut Notiz der SED-Bezirksleitung über ein Gespräch mit Mannschaftsarzt Dr. KLEIN als planmäßige Unterstützung bezeichnet, die vor dem Spiel durch den Mund (Mittel) erfolgte. Ein Vitamin B-17-Komplex, der ihm laut IM vom Verbandsarzt Dr. Altmann (recte: Eißmann?) 1978 für das Spiel gegen Belgrad übergeben worden sei, wurde von Pleil mit den weißen Pillen in Verbindung gebracht, die ein geflohener Dresdner Spieler 1989 im Interview mit BILD benannte (S. 234-237). Dies überzeugt nicht, denn B 17 war ein die Hirntätigkeit anregendes Hormon, das als Filmtablette zu Dopingzwecken unter die Zunge gelegt wurde. Die weißen Tabletten dürften Aponeuron gewesen sein, ein Psychopharmakon mit hohen Gesundheitsrisiken für den Gedopten.
Ausgerechnet im Fußball lag als Paradoxon national ein Dopingverbot zur Erhaltung der Chancengleichheit, international aber ein Dopinggebot vor, um der DDR einen Vorteil zu verschaffen. Laut neuester Forschung entzogen sich beide Dynamo-Teams einer Kontrolle durch Versorgung über eigene Apothekennetze. [5] Zeitzeuge Dr. Hans Modrow äußerte sich in einem Brief an Pleil nicht, ob er als Bezirkschef Kenntnis vom konspirativen Zwangsdoping hatte.
Das Problem der parteiischen Unparteiischen, der Schiedsrichter also, hat in der facettenreichen Darstellung ebenfalls Gewicht (S. 253-262). Ein Gespräch zwischen dem DTSB-Präsidenten mit Führungsanspruch und Minister Mielke als Dynamo-Chef verweist auf die Frontstellungen. Zeitzeuge Modrow vermutete, dass man für den BFC pfiff, um die Zustimmung des MfS für den Einsatz bei internationalen Spielen zu erlangen (S. 260). Pleil neigt unausgesprochen dieser These zu. Er benennt nur zwei IM und mit Adolf PROKOP einen (MfS-) Offizier im besonderen Einsatz (OibE OSKAR) unter den Oberliga-Referees. Pleil bezieht in sein Urteil aber nicht ein, dass die Mehrzahl der für BFC-Spiele eingesetzten Hauptspielleiter als IM erfasst waren, wie die Forschung herausgearbeitet hat.
Auch der wegen seiner schiedsrichterlichen Fehlentscheidungen hervorgehobene
Bernd STUMPF gehörte zu dieser Gruppe, die Mielkes BFC offensichtlich
systematisch bevorzugten. Auf 12 Seiten belegt Pleil, dass Dresden aus Sicht
des Trägers Dynamo gar nicht DDR-Meister werden sollte
dies war dem BFC zugedacht.
Der Verfasser ist bemerkenswert unbekümmert, was die Namensnennung von
Opfern angeht. Der Zeithistoriker sollte sicherlich keine Skrupel haben,
die Täter namhaft zu machen, so sie im Dienst oder als Beauftragte oder
Begünstigte des MfS handelten. Doch sollte man die Opfer der Stasi-Eingriffe
ebenfalls benennen (wenn sie es nicht ausdrücklich wünschen)?
Eine gewichtige Quelle aus dem SED-Parteiarchiv Dresden (Seite 32 bis 52) portraitiert zwölf Spieler und Trainer. Deren Namen werden den veröffentlichten Denunziationen in Kursivschrift vorangestellt. Pleil benennt jedoch nicht den Denunzianten und seine Motive. Er war für Haft und Karriereende eines Sechstels der Nationalmannschaft verantwortlich und wird mit dem Decknamen KLAUS IHLE oder als J. oder Michael J. bezeichnet, obwohl IM-Akte und schriftliche Verpflichtung vorliegen (vgl. S. 148, 154, 158 sowie Fußnoten ab Nr. 141, bes. 147). Die damaligen Spieler müssen jedoch heute über sich Herabsetzendes lesen: seelisch zerschlagen sehr kindisch u.a.m. Privat- und Intimsphäre werden im Dokument bis zu dem verschleierten Vorwurf von Homosexualität diskutiert im DDR-Sport meist ein Ausschlusskriterium für ein Verbleiben im System.
Diese Kritikpunkte ändern jedoch nichts an dem Gesamturteil: Es handelt
sich um ein lesens- und bedenkenswertes Buch, das wichtige Erkenntnisse erbringt.
Im Territorium (im Bezirk Dresden) haben weder MfS
noch SED die Sportgemeinschaft Dynamo zugunsten des Konkurrenten BFC
benachteiligt.
Die Stasi wahrte die Interessen der SG auch durch eigenmächtige
Informationspolitik gegenüber der bezirklichen SED.
Das Ministerium für Staatssicherheit nahm in vielfacher Hinsicht Einfluss
auf die Personalpolitik, also auf die Gewinnung von Spielern und auf die
Konstituierung eines Funktionärsstamms.
Die Dresdner SED war an einer erfolgreichen Repräsentation des Bezirkes
interessiert.
Es gab mit Wissen der SED und der Stasi eigenmächtiges Doping
die Funktionäre griffen zum Sportbetrug, um die Position des SGD zu
verbessern.
Die zentrale Rolle des DTSB-Präsidenten und gewählten Mitglieds
des SED-Zentralkomitees Manfred Ewald war herausgehoben. Sie drückte
sich im Vorsitz in der Leistungssportkommission der DDR [6] aus,
der gegenüber sich die SGD nach internationalen Spielen rechtfertigen
musste. Die LSK habe auch das Strafmaß für die drei verhafteten
Nationalspieler festgelegt (S. 285).
Weniger zwingend erscheint die psychoanalytische Deutung der repressiven IM-Mitwirkung der Sportler als einzige Überlebenschance im real existierenden Sozialismus (S. 286). Sie widerspricht dem Befund, dass Verweigerer und Abbrecher selten Nachteile erlitten.
Die Analyse ist eine Fundgrube für alle, die sich über belegbare Aktivitäten und Pläne der Stasi informieren wollen, und in dem sowohl Täter- als auch Opfer-Perspektiven zu finden sind. Es ist ein Buch, das zur Auseinandersetzung mit dem Leistungssport unter den Bedingungen der DDR reizt, einem Berufssport, der einerseits politischer Kontrolle unterlag und andererseits als gesellschaftliches Teilsystem ein erstaunliches Ausmaß an Autonomie erlangt hatte.
1.Vgl. dazu SPITZER, Giselher: Beim Geld setzte das Schweigen ein
- Die Sonderrolle des Fußballsports in der DDR. In: DIEKMANN, Irene
/ TEICHLER, Hans Joachim (Hrsg.): Körper, Kultur und Ideologie. Sport
und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert. [Studien zur Geistesgeschichte,
Bd. 19]. Philo-Verlag : Bodenheim 1996, S. 147-168.
2. Vgl. zuletzt die nicht berücksichtigte Studie: SPITZER, Giselher:
Spitzenfußball in der DDR. Kontinuitäten und Entwicklungsbrüche
zwischen Selbstbestimmung und (innen-) politischer Funktionalisierung, in:
W. Ludwig TEGELBECKERS / Dietrich MILLES (Hrsg.): Quo vadis Fußball?
Vom Spielprozess zum Marktprodukt, Werkstatt-Verlag : Göttingen 2000,
S. 181-228.
3. Siehe auf Basis der Revision der meisten relevanten zentralen und peripheren
Akten SCHWAN,
Heribert: Tod dem Verräter. Der lange Arm der Stasi und der Fall Lutz
Eigendorf. München 2000.
(Verf. fand heraus, dass ein anderer MfS-Offizier in einer
operativen Akte sehr wohl auf die
geplante Entführung eines Trainers hinwies.)
4. Die vollständigen Nachweise der in der zweiten Fußnote genannten
Untersuchungen über
die Sonderrolle des Fußballs in der DDR lauten: SPITZER, Giselher:
Beim Geld setzte das
Schweigen ein - Die Sonderrolle des Fußballsports in der DDR.
In: DIEKMANN, Irene
TEICHLER, Hans Joachim (Hrsg.): Körper, Kultur und Ideologie. Sport
und Zeitgeist im
19. und 20. Jahrhundert. [Studien zur Geistesgeschichte, Bd. 19]. Philo-Verlag
Bodenheim
1996, S. 147-168. Sowie: SPITZER, Giselher / TEICHLER, Hans Joachim / REINARTZ,
Klaus (Hrsg.): Schlüsseldokumente zum DDR-Sport. Ein sporthistorischer
Überblick in
Originalquellen. Meyer & Meyer: Aachen 1998, 338 S.
5. Vgl. dazu SPITZER, Giselher: Doping in der DDR. Ein historischer
Überblick zu einer konspirativen
Praxis. Genese Verantwortung Gefahren. Wissenschaftliche Berichte
und Materialien des
Bundesinstituts für Sportwissenschaft. 1998 Bd. 3. [ISBN 3-89001-315-5]
Köln : Sport und Buch Strauss
1998, 434 S., 2. Auflage 2000, Neudruck September 2001.
6.Vgl. HARTMANN, Grit (Hrsg.): Goldkinder. Die DDR im Spiegel ihres
Spitzensports. Forum
Verlag : Leipzig 1997, 351 S., 2. Aufl. 1998.
Rezensiert für
H-Soz-u-Kult
von:
Spitzer, Giselher,
<spitzer@rz.uni-potsdam.de>
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Michael Lemke <lemkem@geschichte.hu-berlin.de>
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