Pasternack, Peer: Demokratische Erneuerung. Eine universitätsgeschichtliche Untersuchung des ostdeutschen Hochschulumbaus 1989-1995. Mit zwei Fallstudien: Universität Leipzig und Humboldt-Universität zu Berlin (= Wittenberger Hochschulforschung. Studien des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hrsg. v. Jan-Hendrik Olbertz), Weinheim: Deutscher Studien Verlag GmbH 1999, ISBN: 3-89271-894-6, 427 S., 4 Abb., 3 Tab.; DM 68,00.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Thomas Scholze

Die 1998 vom Fachbereich Pädagogik der Universität Oldenburg angenommene Dissertation von Peer Pasternack macht einerseits vom Titel her neugierig: Wie ist die „demokratische Wende“ an den beiden größten ostdeutschen Universitäten Berlin und Leipzig realisiert worden, und wie ist sie ausgegangen? Was lässt sich jenseits von politischen Interessenlagen und emotionalen Ansichten zehn Jahre später von Seiten der Wissenschaften selber zum universitären Vereinigungsprozess sagen? Andererseits stellt sich sofort die warnende Frage, wo eine solche Ausarbeitung zum Allgemeinplatz „demokratische Erneuerung“ eigentlich ansetzen sollte, welches Akten- und Gesprächsmaterial man aus dem Wust der Verwaltungsangelegenheiten und sonstigem Universitätsbetrieb bevorzugen und welchen Zeitrahmen man am besten wählen sollte usw. Peer Pasternack hat sich entschieden, und in Teilen ist ihm die Darstellung auch gelungen. Dies trifft besonders dort zu, wo sich die Erörterungen um interessante Personen der Zeitgeschichte drehen, wo zivile und auch eher fragwürdige Mechanismen einer „friedlichen Revolution“ im Hochschulbereich durchschaubar werden oder dort, wo die westdeutschen Demokratisierungsversuche eines anders gearteten (staatlichen und) Hochschul-Systems ein Schlaglicht auf aktuelle Ideologisierungen der demokratischen Gesellschaft werfen. Allerdings wirkt der verschwommene „hochschultheoretische“ Ansatz als Zugriffsprinzip für die Masse des Materials recht unbeholfen, woran auch die Präzisierung „transformationsanalytischer Rahmen“ wenig ändert. Die beiden Universitäten sollen danach in ihrem „hybriden Charakter“, als „Institutionen wie Organisationen, als Vermittlungsräume staatlicher und gesellschaftlicher Ansprüche“, in denen „kooperative Verdichtungen wie konfliktorische Zuspitzungen“ bestehen, begriffen werden. (S. 13) Man spürt sofort, hier soll historische Datenmasse in einen herbei theoretisierten Rahmen gepresst werden, um wissenschaftliches Arbeitsvermögen nachzuweisen.

Nach der Feststellung, dass der Umbau Ostdeutschlands zu einem Teil des neuen Gesamtdeutschlands einerseits verfassungsrechtlich legitimiert und andererseits doch aus grundrechtlicher Sicht zu evaluieren ist, stellt der Autor die beiden Hauptfragen: Wodurch wurde die „gegebenenfalls erfolgreiche Einführung der Demokratie mit demokratischen Methoden bewirkt“? Und „wo lagen die Ursachen für gegebenenfalls demokratische Defizite“ bei diesem Prozess? (S. 14) – Beides löst der Autor, und dies sei hier vorweggenommen, im Verlauf der Arbeit in einer Fülle von Detailantworten auf. – Abgearbeitet werden soll der Riesenanspruch eben im Feld der Universitäten, also in einem speziellen „Sektor prozessualen Handelns“, der auf Grund seiner organisatorischen Struktur eine besondere „Reflexionsintensität“ sowie spezifische „Legitimationsanforderungen“ besitzt. Wohltuend dabei ist der Verweis Pasternacks, dass es ihm damit jenseits politischer Strukturen auch um die „lebensweltliche Konkretheit“ demokratischer Willensbildung geht, was sich dann freilich mit der gewählten Arbeitsmethodik nur schwer einlösen lässt. (S. 15)

Wie geht Pasternack nun vor? Er will sich seinem weiten Untersuchungsfeld prozessual nähern, es geht ihm dabei um die „demokratische Initiation der Akteure“ an den ostdeutschen Hochschulen, um deren Personalumbau. Dies wird am Beispiel der beiden genannten Hochschulen institutionell eingegrenzt, wobei die Situation abschließend vergleichend bewertet werden soll. (S. 19) Nach einem Problemaufriss und dem Literaturüberblick zum Forschungs- und Diskussionsstand an den ostdeutschen Hochschulen beschreibt der Autor sein Vorgehen methodisch näher: Er nennt es empirisch-analytisch, was er insofern vertieft, als er von einer anvisierten Mikroebene des Geschehens spricht, die eine Detailgenauigkeit historischer Fakten ermöglichen soll. All dies freilich hat keinen Bezug etwa zum Methodenverständnis in der Europäischen Ethnologie, denn es geht Pasternack um eine rein historische Dokumentenanalyse, wobei die Fakten in „theoretisch anschlussfähige Begriffe“ gefasst und anschließend verglichen werden sollen. (S. 45ff.) Als Quellen im engeren Sinne fungieren offizielle Universitäts- und Studierenden-Zeitungen, graue „Wende“-Literatur aller Art, weitere Fachzeitschriften und Presseveröffentlichungen sowie auch die Sitzungsprotokolle akademischer Selbstverwaltung. Der Verfasser erläutert, wieso er die tatsächlichen Akteure gar nicht erst als „sprechende“ Quellen berücksichtigt, und verweist dabei auf – vor dem Hintergrund des Diskussionsstands in der qualitativen Sozialforschung – antiquiert wirkende Vorstellungen wie etwa „Schwierigkeit ausgewogener Interviewpartner-Mischungen“, höheres „Maß an kritischer Überprüfbarkeit“ usw. (S. 49)

Entsprechend hölzern gerät die Darstellung. Vorab bemüht sich Pasternack um eine Topographie des theoretischen Feldes, in das er sein Material verorten will. Begriffe wie „Transformation“, „Demokratie“ und „Hochschule“ werden miteinander vermittelt und auf ihren theoretischen Gehalt hin abgeklopft (Kap. II). Danach folgen die beiden Exempel Leipzig und Berlin mit ihren jeweiligen personellen Erneuerungen (Kap. III und IV), die in ihrer ganzen Detailfülle breit dargestellt werden. Ist es bereits für den Autor schwierig, Zäsuren zu setzen und institutionelle Umschichtungen zumindest in hierarchisch geordneten Zwischenüberschriften kenntlich zu machen. Doch, wer Daten und Abläufe zusammengefasst sucht und dazu längere Zitate aus Protokollen und Pressemitteilungen kombiniert sehen will, der kommt auf seine Kosten. Allerdings lenken die umfangreichen Beschreibungen des Personalumbaus und dergleichen wesentlich vom Kern der Sache ab: wie nämlich eine demokratisch verfasste Gesellschaft den historisch einmaligen Prozess der Umbildung und Umbesetzung von Institutionen bewältigte. Dies dann auf der Folie eines Vergleichs mit den westdeutschen Hochschulverhältnissen zu tun, wäre wohl interessanter geworden als vorliegende Versuch.

Sein Fazit fasst Pasternack in Kap. V zusammen, wo er die demokratische Qualität des ostdeutschen Hochschulumbaus vergleichend bewertet. Zuvor bietet er eine Periodisierung der Veränderungen an: 1989/90 als romantische Aufbruchsphase, 1991-1995 als strukturierte Umgestaltung und die Zeit ab 1996 als gesamtdeutsche Phase des Hochschulumbaus (S. 309ff.) Diese durchaus plausible Einteilung wird über mehrere Seiten institutionell und personalpolitisch untermauert, wobei es unübersichtlich zwischen Personalisierungs- und Institutionalisierungs-Vergleichen hin und her geht. In einer Zusammenfassung schließlich wird die „demokratische Qualität“ der untersuchten Vorgänge bewertet nach den Kriterien Demokratieverträglichkeit, Beteiligungsformen, Ämterbesetzungen, Verantwortlichkeiten, Transparenz und individuellen Emanzipationswirkungen. (S. 357) Es kommt irgendwie zu keinen präzisen Ergebnissen, doch diese sollten ja gerade durch das Vermeiden lebensnaher Interviews erzielt werden. Vielleicht liegt es an den Definitionsversuchen von Pasternack, beispielsweise von „demokratischer Qualität“ des ostdeutschen Hochschulumbaus, die schwer auf der Zunge zergehen: selbige nämlich „bezeichnet diejenige materielle und formelle Güte der Neustrukturierung der ostdeutschen Hochschulen, welche die Legitimität der in ihr erzeugten und umgesetzten Entscheidungen über die Möglichkeit individuell- wie kollektiv-autonomer Verantwortungsbeteiligung der Hochschulangehörigen und individuell- wie kollektiv-autonomer Verantwortungsdelegierung durch die Hochschulangehörigen in Korrespondenz mit grundrechtsgebundenen Außeninterventionen von Staat und Öffentlichkeit bestimmt; die demokratische Qualität des ostdeutschen Hochschulumbaus findet ihr Maß in den grundgesetzlich kodifizierten Anforderungen an demokratische Prozesse wie in den vorangegangenen Herrschafts- und Beteiligungserfahrungen und demokratiebezogenen Zieldefinitionen der Akteure“ usw. usf. (S. 83)

Insgesamt eine Qualifikationsarbeit, der Maßhaltung und Auftauchen aus Faktologie und Terminologie einer offenbar verselbständigten Hochschulforschung ohne Bezug zu einzelnen Fächern nicht gerade geschadet hätte. Im Schlusssatz fasst Pasternack dann das zusammen, was als allgemein interessierende Ausgangshypothese dieser Studie hätte fungieren können, und was mancher direkt Beteiligte vielleicht hätte auch bestätigen wollen: „Eine ausgeprägte demokratische Kultur hatte der ostdeutsche Hochschulumbau derart nicht hervorzubringen vermocht. Fester als diese fanden sich am Ende Institutionen- und Verfahrensskepsis verankert.“ (S. 382) Mir stellt sich eher die Frage, ob es wirklich Institutionenskepsis ist, was hervorgebracht wurde, oder nicht vielmehr Institutionengläubigkeit und -bindung auf der Basis der bekannten Versorgungspraxis.

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Thomas Scholze
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Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Beate Binder <Beate.Binder@rz.hu-berlin.de>


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Thomas Scholze
Date: 29.11.2001
Subject: Rez. EE: Pasternack, P.: Demokratische Erneuerung


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