Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Manuel Schramm
Was veranlasst einen bekannten Technikhistoriker, eine breit angelegte Überblicksdarstellung über die Geschichte des Konsums im 20. Jahrhundert in Deutschland und den USA zu schreiben? Es sind weniger die eigenen Forschungsleistungen auf diesem Gebiet, wie König freimütig bekennt. Vielmehr reizten ihn neben der aktuellen Konjunktur der Konsumgeschichte wohl die Bezüge zur Technikgeschichte. Die Technik habe nicht nur Produktionssteigerungen ermöglicht und dadurch die Voraussetzungen für die moderne Konsumgesellschaft geschaffen, sondern auch den Konsum selbst überformt, was König als Technisierung des Konsums bezeichnet.
Herausgekommen ist ein umfangreiches Werk, das auf ca. 450 eng bedruckten Textseiten über 1.000 Titel vorwiegend der Sekundärliteratur auswertet. Indes muss sich eine Überblicksdarstellung an ihrer Gesamtkonzeption messen lassen. König versteht unter einer Konsumgesellschaft eine Gesellschaft, in der die Mehrheit der Bevölkerung an neuartigen Formen des Konsums teilhatte, wie industriell hergestellten Lebensmitteln, modischer Massenkonfektion, Haushaltstechnik, dem Automobil, Radio und Plattenspielern (S. 8). Das entscheidende Kriterium ist also die Verfügbarkeit von Gütern der industriellen Massenproduktion. Dementsprechend sieht König die Konsumgesellschaft in Abgrenzung von McKendrick u. a. [1] erst im 20. Jahrhundert verwirklicht, nämlich in den USA seit der Zwischenkriegszeit und in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1960er Jahren.
Die Untersuchung beschränkt sich weitgehend auf das 20. Jahrhundert und die Realgeschichte (S. 8) des Konsums, d. h. auf die Verbreitung von Konsumgütern und die zugrunde liegenden technischen Voraussetzungen. Das Ziel ist ein Vergleich zwischen den USA und Deutschland unter Ausklammerung der Entwicklung in der SBZ/ DDR. Letzteres mag aus arbeitsökonomischen Gründen verständlich sein, ist aber auch bedauerlich, da es an systematischen Vergleichen über die Systemgrenzen hinweg immer noch mangelt. Konsum oder Konsumtion ist für König das Gegenstück zur Produktion. Er kritisiert die explizite oder implizite Dominanz der Produktion über die Konsumtion in wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Theorien und in der entsprechenden Forschungspraxis. Ein Gegenmodell entwirft er jedoch nicht, sondern betont die komplexen Wechselbeziehungen, die es nicht erlaubten, der einen oder anderen Sphäre generell ein Primat zuzusprechen (S. 15).
Der Aufbau des Buches gliedert sich in drei große Teile. Der erste Teil widmet sich den Voraussetzungen der Konsumgesellschaft, nämlich technische Rationalisierung, Massenproduktion, Massendistribution, die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und Deutschland, Zeit, Geld und Bedürfnisse. Der Einteilung in Grundbedürfnisse und Kulturbedürfnisse entsprechend schildert König im Hauptteil seiner Arbeit die quantitative Entwicklung des Konsums und seiner technischen Voraussetzungen in verschiedenen Bedürfnisbereichen.
Zu den Grundbedürfnissen zählt er Ernährung, Bekleidung, Wohnen und Sexualität, zu den Kulturbedürfnissen Mobilität und Massentourismus sowie Unterhaltung und Vergnügen. Diese Orientierung an Bedürfnissen führt dazu, dass König mit der Sexualität ein Thema einschließt, das gewöhnlich nicht oder nur teilweise unter Konsum subsumiert wird. Der Hauptteil enthält eine Fülle von Informationen mit einem Schwerpunkt auf der Technisierung des Konsums wie z. B. Fast Food, synthetische Textilfasern, Wasserversorgung, Entwicklung der Verkehrsmittel oder der Massenmedien.
Zeitlich hält sich König häufig nicht an seine Beschränkung auf das 20. Jahrhundert, sondern geht bis in das frühe 19. Jahrhundert und teilweise noch weiter zurück. Störend wirken immer wieder auftauchende kursorische Verweise auf weit zurückliegende Zeiträume wie Antike oder Mittelalter, die in dieser Überblicksdarstellung gar nicht ausgeführt werden können. Bisweilen leistet sich König etwas überraschende Exkurse, z. B. wenn er in dem Abschnitt über die Kühltechnik zwischendurch den amerikanischen Fleischkonsum abhandelt (S. 145f.). Insgesamt ist die Darstellung aber sprachlich durchaus gelungen und gut lesbar, wozu der auf das Notwendigste beschränkte Anmerkungsapparat beiträgt.
Die Stärke Königs liegt besonders darin, dass er komplexe technische Entwicklungen allgemeinverständlich darlegen kann. Die empirischen Beispiele beschränken sich nicht auf die USA und Deutschland, sondern beziehen häufig andere europäische Länder mit ein, wie Großbritannien (für die Entwicklung der Textilindustrie) oder die Schweiz (für den alpinen Tourismus). Das wäre an sich nicht problematisch, wenn darüber nicht der systematische Vergleich vernachlässigt würde. Meist hat der Leser den Eindruck, es gäbe nur eine, trotz mancher Sackgassen weitgehend lineare, Entwicklung, die zu der modernen Konsumgesellschaft (und nicht zu verschiedenen Konsumgesellschaften) führt. Unterschiede zwischen den USA und Deutschland erscheinen dann als bloße Zeitdifferenzen. Der in der Einleitung durchaus konzedierte eigenständige Charakter der bundesdeutschen Konsumgesellschaft (bei allerdings gleichen Grundstrukturen, S. 8) ist im empirischen Hauptteil kaum auszumachen.
Der dritte Teil schließlich befasst sich mit verschiedenen Merkmalen der Konsumgesellschaft, die König unter dem etwas unglücklichen Oberbegriff Konsumverstärker zusammenfasst. Dazu gehören Mode, Werbung, Kredit, Verpackungen und Gebrauchshilfen, Substitute und Imitate sowie Wegwerfprodukte. Im Unterschied zu den im vorhergehenden Abschnitt behandelten Entwicklungen kommen hier manche Sachverhalte etwas zu kurz. So werden der Geschichte des Kredits gerade 2 Seiten eingeräumt, und die Geschichte der Mode ist nicht mehr als eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Modetheorien.
Problematischer als die Länge dieses Abschnitts ist jedoch seine Platzierung außerhalb des Hauptteils. So entsteht beim Leser leicht der Eindruck, dass die im Hauptteil ausführlich behandelten technischen Entwicklungen für die Durchsetzung der Konsumgesellschaft entscheidend waren, während soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen nur sekundär als Konsumverstärker wirkten. Genau dies wäre aber eine Form der Technik- und Produktionsdominanz, die König in der Einleitung zurecht kritisiert.
Den Abschluss bilden Überlegungen zur Globalisierung und Individualisierung des Konsums, sowie zu Kritik und Grenzen der Konsumgesellschaft. Das Kapitel über Globalisierung behandelt die Ausdehnung des Welthandels und der Kommunikationsnetze, vernachlässigt aber die Globalisierung als Wahrnehmungsphänomen. Am Ende gelangt König zu dem Fazit, dass die moderne Konsumgesellschaft aufgrund der globalen ökologischen Krise an ihre Grenzen gelangt sei und sich grundlegend verändern müsse, um Bestand zu haben (S. 450, 456). Ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein kurzes Personen- und Sachregister beschließen den Band. Trotz aller Kritik ist das Buch durchaus zu empfehlen als Überblick über die Geschichte der Verbreitung wichtiger Konsumgüter und die technischen Voraussetzungen der modernen Konsumgesellschaft. Es zeigt die Möglichkeiten und Grenzen einer Realgeschichte des Konsums. Ob das allerdings schon die ganze Geschichte der Konsumgesellschaft ist, kann man bezweifeln.
[1] Neil McKendrick/ John Brewer/ J. H. Plumb, The birth of a consumer society.
The commercialization of Eighteenth-century England, London 1982.
Rezensiert für
H-Soz-u-Kult
von:
Schramm, Manuel,
<mschramm@sfb417.uni-leipzig.de>
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Michael Lemke <lemkem@geschichte.hu-berlin.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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