Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Annette Vowinckel
Viele sind es, die sich am Werk Hannah Arendts akademisch zu waermen versuchen. Die Rezensentin ist durchaus empfaenglich fuer die merkwuerdigen Konsequenzen dieser Konstellation. Das belegt ihr (auch selbstkritisch interpretierbarer) Verweis auf Agnes Hellers huebsche und treffende Bemerkung ueber die wissenschaftlichen 'Termiten' und intellektuellen 'Wanderheuschrecken', die sich auf tagespolitisch aktuelle Werke stuerzen, um sie so lange zu zernagen, bis davon nur noch ein "Diskurs" uebrig ist. Die Arendt-Philologie bietet weiss Gott reichlich Stoff fuer folgenlose Rechthabereien. - Und doch scheint diese sympathische Selbstrelativierung vergessen, sobald Annette Vowinckel die gestrenge Rezensentenhaltung eingenommen hat: Wenn zu viele sich um einen Futternapf draengen, dann wird der Impuls, die laestige Konkurrenz wegzubeissen, offenbar unwiderstehlich. Denn wirklich sicher ist nur eines: dass nicht alle satt werden koennen am Leben und Werk Hannah Arendts.
Einigermassen befremdend ist eine gewisse Widerspruechlichkeit in der Argumentation der Rezensentin: Einerseits notiert sie vorab die begruendete Abstinenz von Claudia Althaus gegenueber geistesgeschichtlichen Herleitungen, andererseits moniert sie in der Hauptsache die Fehlerhaftigkeit just dieser Herleitungen. Man moechte da vermuten, dass die Rezensentin einfach durch eine geistesgeschichtliche Brille in die Welt schaut und dass es ihr schwer faellt, diese Brille notfalls auch einmal abzunehmen. Regelrecht skurril wirkt in diesem Zusammenhang der Vorwurf des "juedischen Essenzialismus" auf jeden, der die rezensierte Arbeit gelesen hat. Claudia Althaus wird nicht muede, auf den zugeschriebenen Charakter der "juedischen" Identitaet Hannah Arendts hinzuweisen: "Wenn man als Jude angegriffen ist, muss man sich als Jude verteidigen", so lautet der oft zitierte Satz aus dem Gaus-Interview (S. 21). Der Hinweis der Rezensentin, im Elternhaus Hannah Arendts seien nicht Talmud und Thora, sondern Schiller und Goethe zitiert worden, rennt darum mit viel Getoese eine weit geoeffnete Tuere ein.
Von diesem und aehnlichem Charakter sind denn auch die Monita en detail: "offensichtlich von Heidegger inspirierte Feinheiten", die uebersehen werden, Vernachlaessigung geistesgeschichtlicher Kontexte. All das laeuft auf die einigermassen merkwuerdige, aber akademisch ebenso verbreitete wie naheliegende Ansicht hinaus, ein origineller Kopf sei grundsaetzlich und ausschliesslich das Produkt seiner - Lektueren! Es ist dies eine Ansicht, mit der man nicht einmal in der eigentlichen Theoriegeschichte weit kommt, weil es immer die Resonanz im Erfahrungs- und Erwartungsraum des Publikums ist, die einer Theorie Leben einhaucht (oder eben nicht), und nicht die Theorie selbst. Davon, von den Wechselwirkungen zwischen Zeitgeschichte und Geistesgeschichte, handelt der rezensierte Text, und davon spricht die Rezensentin mit keinem Wort.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Aufregung darueber, ob die gemeinsame Heldin staerker gepraegt sei durch die Traditionen der deutschen Geistes- und Bildungskultur oder durch die Traditionen der juedischen Intellektualitaet, doch recht seltsam. Gegen einen jeden derartigen "Disput" ist zu erinnern, dass es doch wohl die Originalitaet von Hannah Arendt ist, die es rechtfertigt, dass man sich mit ihr beschaeftigt. Und da wirkt es merkwuerdig, wenn man darueber streitet, welcher "historische" Faktor diese Originalitaet am wirkungsvollsten einschraenkt! Natuerlich ist Arendt ein Spaetprodukt des deutschen Bildungsbuergertums, dessen Traditionen sie bis zum gewaltsamen Traditionsbruch in sich aufgesogen hatte. Aber wer interessierte sich heute noch fuer sie, wenn sie nur das waere. Und ganz Analoges laesst sich auch fuer die intellektuellen und geistigen Traditionen des Judentums behaupten. Wirklich interessant ist auch bei Hannah Arendt der Sprung, der Traditionsbruch, das, was ihr Denken und ihr Werk radikal von beiden Traditionen absetzt. Gleich, von wo sie gesprungen ist, interessant ist, wo sie gelandet ist. Und dieser Ort ist von den Traditionen des deutschen Bildungsbuergertums sicherlich ebenso weit entfernt wie von den Traditionen der juedischen Intellektualitaet.
Lebenslang hat Hannah Arendt angeschrieben gegen die Versuche einer geistesgeschichtlichen "Herleitung" des Nationalsozialismus aus dem Irrationalismus der nachhegelschen deutschen Philosophie oder aus sonstigen "Quellen" der Geistesgeschichte. Immer mitgemeint, aber selten genannt ist da Georg Lukacs' "Zerstoerung der Vernunft". Die Freiheit, von der Arendt so viel gehalten hat, besteht immer darin, auch etwas tun zu koennen, was durch die "geistige" Tradition nicht wirklich gedeckt ist. Das sollte man auch insofern fuer eine Selbstbeschreibung nehmen, als Hannah Arendts Raeteenthusiasmus mit der "apolitischen Politik" der deutschen Spaetmandarine ebenso radikal bricht wie mit der etatistischen Juedischen Tradition, die kurzsichtigerweise im (vor-massendemokratischen) Staat eine Art Rueckversicherung gegen den gesellschaftlichen Antisemitismus zu erkennen glaubte. Wie ja auch die deutschen Mandarine mehrheitlich auf den Staat gesetzt haben, als es um ihre bedrohten Vorrechte und Positionen ging. Man koennte sogar argumentieren - und das waere ein Typus von "Geistesgeschichte", zu dem ich mich auch verstehen koennte -, dass der naive Etatismus so etwas gewesen ist wie der semantisch kleinste gemeinsame Nenner zwischen der geistigen oder "mentalen" Tradition der deutschen Mandarine und der juedischen Intellektualitaet - weshalb Hannah Arendt gleich mehrere Motive gehabt haette, mit ihm zu brechen. Und dann wuerde restlos klar, dass nicht nur der Nationalsozialismus "geistesgeschichtlich" vollkommen unerklaerbar ist und bleibt, sondern auch Hannah Arendts originelles Verstaendnis dieser historischen Epoche.
Die Art und Weise freilich, wie die Rezensentin Claudia Althaus Vertrautheit selbst mit dem kleinen Einmaleins der Hannah-Arendt-Kunde abzusprechen versucht, legt eben doch einen anderen Schluss nahe: Hier wildert jemand in einem Jagdrevier, das die Rezensentin fuer sich selbst abgesteckt hat. Und gibt es nicht ein untruegliches Erkennungszeichen fuer die wissenschaftlichen 'Termiten' und intellektuellen 'Wanderheuschrecken', von denen Agnes Heller mit weiser Selbstironie spricht? Man erkennt sie daran, dass ihr Interesse am "Objekt" regelmaessig die Form der Frage annimmt, was Hannah Arendt "eigentlich" gedacht und was sie "eigentlich" gepraegt habe. Weil man nur auf diesem Feld so herrlich rechthaben kann. Interessant ist aber nicht, was man im Werk von Hannah Arendt suchen und womoeglich auch finden kann, sondern was man vermittels dieses Werks in unserer politischen Wirklichkeit wahrzunehmen vermag, das sonst verborgen bliebe. Als politische Theorie gehoert Hannah Arendts Werk in den Werkzeugkasten einer jeden Betrachtung unserer massendemokratischen Verhaeltnisse. Handelte es sich dagegen bloss noch um einen Fall fuer das sezierende Geschaeft der Archivare, dann waere auch diesen eine Warnung vor der "Geistesgeschichte" mit auf den Weg zu geben, und zwar am besten mit Hannah Arendts eigenen Worten: Das eigentlich Neue und Unerhoerte politischer Umbrueche hat die fatale Gewohnheit, sich hinter vertrauten Terminologien und uralten "geistigen" Traditionen zu verbergen.
Clemens Knobloch, Universitaet Siegen, <knobloch@germanistik.uni-siegen.d400.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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