Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von Johannes Raschka
Petra Weber, ausgewiesen u.a. durch ihre Biographie Carlo Schmids, legt mit einer Studie zur Justizverwaltung und politischen Strafgerichtsbarkeit in Thüringen eine ausführliche und tiefgehende Analyse der politischen Indienstnahme der Justiz in der SBZ und frühen DDR vor. Die Justizgeschichte fasst sie mit gutem Grund als Teil der Herrschaftsgeschichte der SBZ/DDR auf. Daher konzentriert sie sich auf strukturelle Fragen, also den Umbau des Jus-tizapparats bzw. die Auswechselung des Personals und befasst sich im Bereich der Rechtspre-chung neben der politischen Strafjustiz vor allem mit Wirtschaftsverfahren, die der Absiche-rung der sozialen und ökonomischen Umwälzung dienen sollten. Den Schwerpunkt der Unter-suchung machen die Jahre zwischen 1945 und 1953 aus, also die Besatzungszeit und die An-fänge der DDR-Justiz bis zum Arbeiteraufstand am 17. Juni.
Dabei setzt sich Weber mit Fragen auseinander, die nach wie vor kontrovers diskutiert werden. Am Beispiel der Justiz prüft sie, ob die Jahre 1947/48 eine Zäsur zur forcierten Stali-nisierung der SBZ bildeten oder ob die entscheidenden Weichen bereits am Anfang der Besat-zungsherrschaft 1945/46 gestellt wurden. Beide Thesen werden durch gute Argumente ge-stützt: Nach der Verkündung des Marshall-Plans im Juni 1947 und der sich abzeichnenden Teilung Deutschlands stellte die UdSSR deutschlandpolitische Rücksichtnahmen gegenüber den Alliierten mehr und mehr hinten an und setzte ihre Politik in "ihrer" Zone zunehmend rücksichtsloser durch. Mit dem sowjetisch-jugoslawischen Schisma verschärfte sich der Kurs in der Sowjetunion und damit auch im Ostblock erheblich. Auf der anderen Seite favorisierte die SMAD die Kommunisten in der SBZ von Anfang an und ermöglichte es ihnen vor allem, die Polizei frühzeitig zu ihrem Instrument auszubauen. Weber folgt letzterer Argumentation: Die "wichtigen politischen Machtentscheidungen" seien bereits in den ersten beiden Jahren der Besatzungsherrschaft gefallen, obwohl die SMA eine "rechtsstaatliche Fassade aus deutschlandpolitischen Erwägungen noch gewahrt wissen wollte" (S. 512).
Als fruchtbar erweist sich die von Weber gewählte regionalhistorische Perspektive zur Un-tersuchung der Sowjetisierung der ostdeutschen Justiz. Um die Entstehung eines machtvollen Zentralstaats auszuschließen, hatten sich die Alliierten darauf verständigt, das besetzte Deutschland nach föderalen Prinzipien zu strukturieren und in Länder zu gliedern. Verwal-tungszuständigkeiten der Länder könnten Eigenentwicklungen in den Regionen der SBZ e-benso gefördert haben wie der Wirrwarr von Kompetenzen bei der Besatzungsmacht. Die Un-tersuchung von Regionen liefert also dort Erkenntnisgewinne, wo eine zonale Perspektive an Grenzen stoßen muss. Unter Umständen würde ein interregionaler Vergleich noch weiter füh-ren, wie ihn Helga Welsh bereits 1989 für Thüringen und Sachsen auch mit Blick auf die Jus-tiz vorgelegt hat. Weber kommt zu dem Ergebnis, die Länderregierungschefs hätten noch zu Beginn der Besatzungsherrschaft über relativ große Spielräume verfügt, beschränkt allerdings durch die "starke Machtposition" des - kommunistischen - ersten Vizepräsidenten. 1948 setz-te die forcierte Zentralisierung in der SBZ ein. Zentralisierend wirkte das Befehlssystem der SMAD ebenso wie die Struktur der SED.
Weber weist darauf hin, dass 1948 eine erste große Entlassungswelle über den Justizdienst hinwegrollte. Nach Gründung der DDR begann im Frühjahr 1950 die "radikale Entprofessio-nalisierung" der thüringischen Justiz durch einen nahezu vollständigen Personalaustausch. Volksrichter ersetzten bis zum Sommer 1951 die akademisch ausgebildeten Juristen in der Staatsanwaltschaft und bis zur Auflösung der Länder 1952 auch fast alle Richter mit Hoch-schulabschluss. Seit 1948 musste sich das Justizministerium in Thüringen den Direktiven der Deutschen Justizverwaltung (DJV) in Berlin bzw. ihrer Nachfolgeorganisation, dem Justizmi-nisterium der DDR, beugen und fungierte "spätestens" seit 1950 nur noch als "Justizverwal-tungsstelle" der Zentralbehörden des SED-Staats.
Die noch in jüngster Zeit vertretene These, Thüringen sei eine "Oase der Verwaltungsge-richtsbarkeit" in der SBZ gewesen, vermag Weber überzeugend zu entkräften. Anordnungen der Besatzungsmacht unterlagen ohnehin nicht dem Urteil des am 22. Juni 1946 in Jena eröff-neten Oberverwaltungsgerichts. "Maßnahmen revolutionärer Art", Enteignungen und Sequest-rierungen wurden ebenfalls alsbald der Entscheidung der Verwaltungsgerichte entzogen. Für die deutsche Polizei, die oft im Auftrag der sowjetischen Sicherheitsdienste operierte, schuf das NKVD/MGB "einen rechtsfreien Raum". Der Einfluss der Verwaltungsgerichte auf die Rechtswirklichkeit, so Weber, sei "denkbar gering" geblieben. Das von der SED-Fraktion eingebrachte und am 7. Oktober 1948 gegen die Stimmen der bürgerlichen Parteien verab-schiedete Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit habe "in Wirklichkeit deren Ende be-siegelt" (S. 77). Die Etablierung der Justiz als dritter Gewalt kam an ihr Ende, bevor sie recht begonnen hatte: "Der Normenstaat war noch nicht aufgebaut, als er durch den Maßnahmen-staat verdrängt wurde" (S. 79).
In ihrer detaillierten Studie gibt Petra Weber dem Leser eine Fülle von Informationen zur Sowjetisierung und politischen Instrumentalisierung der Gerichtsbarkeit in der SBZ/DDR an die Hand. Beeindruckend ist die Dichte der Quellen, die sie aus deutschen Archiven zusam-mengetragen hat. Allerdings verwundert es, dass sie selbst bei der Untersuchung "der sowjeti-schen Einflussnahme auf die deutsche Justiz und deren Stalinisierung" (S. 3) keine sowjeti-schen Akten zur Kenntnis genommen hat. Diese stehen mittlerweile in Moskau in beträchtli-chem Umfang zur Verfügung. Eine Studie zur amerikanischen Besatzungszone ohne Rezepti-on der OMGUS-Akten wäre heute wohl kaum denkbar.
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Johannes Raschka, Dresden
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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