Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Müller, Harald
Pankraz Fried ist der historischen Landschaft Schwaben durch zahlreiche eigene Arbeiten und durch mannigfache von ihm angeregte Forschungsprojekte aufs Engste verbunden. Dem emeritierten Landeshistoriker und langjährigen Vorsitzenden der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft ein Kolloquium zur sogenannten Suevia sacra zu widmen, ist daher sicherlich eine treffliche Wahl. Am Ende des Alten Reiches umfasste das Geistliche Schwaben 30 Klöster, Stifte und Konvente zwischen Iller und Lech. Deren Bemühungen um den Ausbau ihrer Landeshoheit und die damit einhergehende Positionierung gegenüber dem Reich und den territorialen Nachbarn bilden den von Wilhelm Liebhart einleitend umrissenen Frageansatz, der in weiteren 13 Beiträgen aus der landesgeschichtlichen Perspektive vergleichend behandelt werden soll. Der Band versucht sich der Thematik aus drei Richtungen, der territorialen, der reichsrechtlichen und der geistig-kulturellen, zu nähern, widmet sich zunächst jedoch den allgemeinen Grundlagen.
Ein Forschungsüberblick zur Geschichte der ostschwäbischen Reichsklöster aus der Feder von Armgard von Reden-Dohna steckt sorgfältig den inhaltlichen Horizont ab und weist darauf hin, dass neben der differenzierten Betrachtung der Territorialisierungsprozesse und des Verhältnisses dieser Gebilde zum Reich die nachbarschaftliche Verwobenheit der Klosterstaaten und deren kollegiale Interaktion nicht aus dem Blick verloren werden sollten. Zu den unmittelbaren Bedingungen solcher Forschungsvorhaben gehört die Überlieferungslage. Reinhard H. Seitz erinnert daran, dass mit der Einrichtung des Bayerischen Staatsarchivs in Augsburg 1989 eine Provenienzbereinigung des Archivguts in Bayern einherging, als deren Resultat sich Augsburg nun gleichsam als Archiv einer historischen Landschaft präsentiert. Die Titelgestaltung erfährt hieraus eine über die regionsbezogene Emotionalität hinausgreifende Legitimierung. Am Beispiel der Archivalien des Fürstbistums Kempten verdeutlicht Setz grundlegende Ordnungsprinzipien und benennt für das Tagungsthema wichtige Bestände und Erschließungsprojekte. Eine Erörterung, ob der Erwerb weltlicher Besitztümer und Rechte mit den Normen monastischen Lebens in Einklang zu bringen sei, sollte die thematische Grundlegung abrunden. Erwartungsgemäß kommt der Beitrag von Anton Schneider in der erneuten Zusammenschau sattsam bekannter Phänomene (Armutsgebot der Regula Benedicti, Ungestörtheit klösterlicher Existenz sichernde Vorrechte wie Immunität und Königsschutz, aktiver Ausbau der Besitztümer zu geschlossenen Territorien) jedoch nicht über das Fazit hinaus, die Ideale der Klöster seien infolge einer in Jahrhunderten eingeübten Anbindung an die weltliche Herrschaft kontaminiert worden. Die Gelegenheit zu einer Aktualisierung dieser immergrünen Frage wird hier durch sachliche Fehler im Detail, etwa bei der Definition der Exemtion, und eine nicht immer tragfähige Literaturbasis leider vertan.
Mehr als zwei Drittel des Bandes ist besitz- und verfassungsgeschichtlichen Fragen gewidmet. Ein erster Block, zusammengefasst unter dem Leitmotiv Aspekte und Probleme von Herrschaft und Landeshoheit fragt vorrangig nach den rechtlichen Elementen, welche die Entwicklung zu einer geschlossenen Landeshoheit begünstigen. Hierbei tritt die Vogtei in den Vordergrund. Erst die Ausschaltung der Vogtei bzw. die eigene Verfügungsgewalt darüber öffneten den geistlichen Instituten den Weg von der Besitzakkumulation zur umfassenden Herrschaftsarrondierung. Georg Kreuzer zeigt für das Prämonstratenserstift Ursberg wie wertvoll das Recht war, den Stiftsvogt nach Gutdünken zu bestimmen, und wie andererseits ein starker Vogt die Ausbildung des Territoriums hemmen konnte. Einen Idealfall bietet Kempten (Franz Rasso Böck) wo schon im 13. Jahrhundert auf der Basis von Vogtei und Grafschaft, der Ausbau der Landeshoheit mittels Grund- und Leibherrschaft vorangetrieben werden konnte. Martina Spies stellt mit den Waisen- und Landschaftskassen schließlich Einrichtungen vor, die sich aus der Fürsorgepflicht der Klöster zu Mitteln obrigkeitlicher Durchdringung des Territoriums entwickelten.
Die Grundmotive territorialer Festigung werden auch im folgenden Teil durchgehalten, der das Augenmerk auf die Positionierung der Klosterstaaten zum Reich richtet. Vergleiche mehrerer Institute legen die Wege zur Verbesserung des eigenen Status offen. Während Wettenhausen sein Streben nach Reichsunmittelbarkeit mithilfe von Gerichtsrechten zu dokumentieren suchte, speiste sich die Landeshoheit Kaisheims aus einer Privilegierung Karls IV., was die propagandistische Namensvariante Kaisersheim erklärt. Wolfgang Wüst kann hier zugleich ein um Legitimation der eigenen Rechtsposition ringendes Räsonnieren der klösterlichen Chronistik über Staatlichkeit nachweisen. Wilhelm Liebhart stellt die aktiv betriebene Emanzipation von St. Ulrich und Afra in Augsburg gegen das bischöfliche Vogteirecht dem Abwehrkampf des Klosters Irsee gegenüber. Irsee war bereits Reichsstand und verfügte über ein weitgehend geschlossenes Territorium, hatte sich aber seit 1611 verstärkter Versuche des Fürstbistums Kempten zu erwehren, das dem Kloster die Landeshoheit zu entreißen suchte. Ottobeuren war dagegen de iure reichsunmittelbar, de facto aber ein bischöfliches Eigenkloster. Die Augsburger Bischöfe, die ihre Rechte aus der Schirmvogtei ableiteten und dazu eine Urkunde aus salischer Zeit ins Feld führten, mussten im 17. Jahrhundert einen herben Rückschlag hinnehmen, als nach einer Archivrecherche diese Urkunde als nicht auf Ottobeuren, sondern auf Benediktbeuren bezogen erwiesen wurde [1]. Ottobeuren erlangte vor dem Reichskammergericht infolgedessen Reichsunmittelbarkeit, nicht aber die Reichsstandschaft. Es ist eine interessante Pikanterie am Rande, dass in dem vorliegenden Band die Kontroverse um das Diplom Heinrichs V. wieder auflebt. Denn während Pater Ulrich Faust mit der Forschung seit damaligen Tagen übereinstimmt (S. 143), bezieht Wolfgang Wüst in seinem Beitrag über Impetrantische Hausklöster das Stück nun wieder auf Ottobeuren freilich ohne jeglichen Nachweis, dass die in der Urkunde auftretende Namensform Buron Ottobeuren meinen könnte; der Leser bekommt nun dieselbe Geschichte genau andersherum erzählt (S. 159).
Das Streben nach Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft brachte nicht nur Solitäre wie die einzige Reichskartause Buxheim hervor, es sah auch manch gescheiterten Versuch. Hier setzt Wüsts sperriger, aus den Quellen geschöpfter Begriff vom impetrantischen Kloster an, der das Streben nach Unabhängigkeit ebenso wie die Geringschätzung solch aus der Sicht der Kontrahenten impertinenter oder penetranter Bemühungen ausdrücken soll. Es geht dabei um die methodisch wichtige Erweiterung des Blickfeldes auf die unvollkommenen Ausbaustufen, um all jene Institute, die es nicht schafften, wie St. Ulrich und Afra in Augsburg Reichsunmittelbarkeit und Reichsstandschaft zu vereinen.
Als Gegenpol zum politisch und verfassungsgeschichtlich motivierten Blickwinkel
dient der letzte Abschnitt des Bandes, in dem nach Klosterstaatlichkeit
und Bildung gefragt wird. Der unübersehbare Aufschwung der
Bildungsbemühungen im Barock steht dem Betrachter heute noch in Gestalt
zahlreicher prunkvoll ausgestatteter Bibliotheksräume aus dieser Zeit
mit ihrer geballten repräsentativen Wirkung vor Augen. In einem
Überblick über die vornehmlich aus der Zeit der
Säkularisation stammenden Bestandsangaben skizziert Helmut Gier
die klösterliche Bibliothekslandschaft des Untersuchungsraumes. Er hebt
dabei mit Recht die Problematik der rückblickenden Interpretation solcher
Katalogwerke hervor und betont die Bedeutung des Kulturwillens
(S. 178) führender Persönlichkeiten im Kloster für den
Bibliotheksausbau. Wie Gier macht auch Peter Rummel in seinem Beitrag über
die Universität Dillingen den jesuitischen Impuls für manche Erneuerung
des klösterlichen Lebens in Ostschwaben verantwortlich. Für die
Religiosen dieses Raumes war Dillingen zumindest bis zum 30-jährigen
Krieg als Ausbildungsstätte wichtiger als Ingolstadt.
Abschließend führt Franz Quarthal durch die vielfältige
klösterliche Wissenschaftslandschaft des Untersuchungsraumes, erneut
durch Bibliothekssäle, durch Naturalien- und Münz kabinette sowie
nicht zuletzt durch die historiographischen Sammlungsbemühungen der
Benediktiner; immerhin darf der Abt von St. Blasien, Martin Gerbert, als
geistiger Vater der Germania sacra gelten.
Der Band betrachtet das Phänomen der klösterlichen Territorien vornehmlich aus der rückblickenden Perspektive der Säkularisation und stellt dem Leser eine Fülle an Detailinformationen zur Geschichte einiger ostschwäbischer Reichsstifte vornehmlich im 17. und 18. Jahrhundert zur Verfügung. Trotz nicht weniger Überschneidungen und Wiederholungen bleibt hervorzuheben, dass hier eindeutig Forschungen des Jubilars weiter geführt werden [2]. Dies ist kein schlechtes Ergebnis für ein Exemplar der oft geringgeschätzten Gattung Festschrift.
[1] Vgl. auch Chronicon Benedictoburanum (!), MGH SS 9, ed. G.H. Pertz, Hannover
1851 S. 235: ... nosque statim sub testamento in proprietatem Augustensi
ecclesia tradidit.
[2] Nicht von ungefähr zieht sich wie ein imaginärer roter Faden
durch den Band: Pankraz Fried, Zur Ausbildung der reichsunmittelbaren
Klosterstaatlichkeit in Schwaben, in: Zeitschrift für württembergische
Landesgeschichte 40 (1981) S. 418-435.
Rezensiert für
H-Soz-u-Kult
von:
Müller, Harald,
<MuellerH@GESCHICHTE.HU-Berlin.de>
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
Harald Müller <MuellerH@GESCHICHTE.HU-Berlin.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
|
Copyright (c) 2001 by H-SOZ-U-KULT (H-NET), all rights reserved. This work may be copied for non-profit educational use if proper credit is given to the author and the list. For other permission, please contact H-SOZ-U-KULT@H-NET.MSU.EDU.
·
·