Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Friederike Herklotz
Die Ptolemäerzeit gehört leider immer noch zu den Randgebieten der Alten Geschichte bzw. der Ägyptologie. Dies mag damit zusammenhängen, daß für viele Forscher die Bedeutung dieser Periode hinter der sogenannter "klassischer" Zeiten zurücktritt. Andererseits müssen für die Beschäftigung mit der Ptolemäerzeit umfangreiche Sprachkenntnisse vorausgesetzt werden, um mit den vorhandenen Quellen arbeiten zu können. Daraus läßt sich erklären, daß es zwar viele Einzeluntersuchungen, jedoch keine neueren zusammenfassenden Synthesen gibt. Eine Ausnahme bildet das 1994 erschienene Werk von Günther Hölbl "Geschichte des Ptolemäerreiches", welches sowohl aus althistorischer als auch aus ägyptologischer Sicht "die gegenseitige Durchdringung von Politik, Ideologie und religiöser Kultur in der Entwicklung des Ptolemäerreiches vorführt." [1]
Das vorliegende Handbuch bildet eine Ergänzung zu Hölbls Werk. Der Bamberger Althistoriker Werner Huß unternimmt den Versuch, die Geschichte des genannten Raums und der genannten Zeit in einem "Längsschnitt" darzubieten, um somit die Strukturen herauszuarbeiten, "die das Leben des einzelnen, der Gruppen und der Gesellschaft geprägt haben" (S. 9). Äußerst positiv zu beurteilen ist das Bemühen, sowohl griechische als auch ägyptische Quellen in die Darstellung einzubringen, diese zu dokumentieren und zu analysieren. Damit bildet das vorliegende Werk eine umfassende Sammlung der Quellen und der Forschungsliteratur, das für jeden, der sich mit der Ptolemäerzeit auseinandersetzen will, ein hervorragendes Nachschlagewerk bildet. Leider kann Werner Huß wiederum nur einen Teilbereich der Ptolemäerzeit vorstellen, denn, wie er selbst im Vorwort sagt, müßte seine Arbeit durch einen "Querschnitt" ergänzt werden. Fragen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte konnten daher nur am Rande behandelt werden.
Huß bezieht in seine Darstellung die Vorgeschichte mit ein, denn das "vorhellenistische Ägypten lebte in vielfacher Gestalt im hellenistischen Ägypten" (S. 15) fort. Es ist schade, daß das Werk genau mit der Eroberung Ägyptens durch Octavian endet, denn es wäre für das Verständnis dieser Epoche hilfreich gewesen, in einem Epilog einen kurzen Ausblick auf die Nachwirkungen in der römischen Kaiserzeit zu geben.
Wichtig ist zu erwähnen, daß Werner Huß in seiner Arbeit eine neue Zählung der Ptolemäerkönige gebraucht, da er konsequent die Forschungsergebnisse von M. Chauveau berücksichtigt, der nachgewiesen hatte, daß die Gestalt Ptolemaios VII. Neos Philopators historisch nicht belegt werden kann. [2] Zudem führt er Kleopatra Berenike III. (Tochter des Ptolemaios IX. Soter II.) als Kleopatra VI. Allerdings sollte die traditionelle Numerierung unter Auslassung des Ptolemaios VII. beibehalten werden, denn die dynastischen Verwicklungen in der späten Ptolemäerzeit sind ohnehin schwer nachvollziehbar. [3]
Nach einer kurzen Einführung in die Forschungsgeschichte folgen sieben chronologisch aufeinanderfolgende Kapitel, wobei für jeden Herrscher ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis erarbeitet wurde. In jedem dieser Kapitel behandelt Huß unter Einbeziehung aller Quellen vornehmlich die Außenpolitik der einzelnen Herrscher. Ergänzt werden diese Ausführungen durch Hinweise auf die Persönlichkeit des jeweiligen Königs, die Innenpolitik, die Verwaltung, die Wirtschaft, die Kultur, die Religion und die Königsideologie. Die einzelnen Kapitel sollen nun vorgestellt werden.
II. Die "Vorgeschichte" (S. 15-54)
Huß läßt die Vorgeschichte mit der 26. Dynastie beginnen, einer Blütezeit Ägyptens, und schildert auf den Seiten zuvor überblicksmäßig die Ereignisse von der 20. bis zur 26. Dynastie. Die Entwicklung Ägyptens wurde durch die Zeit der Perserherrschaft unterbrochen. Noch einmal gelang es in der 29. und 30. Dynastie, einen von einheimischen ägyptischen Herrschern geleiteten Staat zu errichten. Schon bald eroberten die Perser unter Artaxerxes III. erneut Ägypten.
III. Ägypten als Provinz des Reichs des Alexandros (332-323) (S. 55-78)
Alexander d. Gr. wandte sich nach der Schlacht bei Issos Ägypten zu, eroberte es ohne wesentliche Schwierigkeiten und wurde in Memphis zum Pharao gekrönt. Huß analysiert die Details des Aufenthalts Alexanders d. Gr. in Ägypten und die Neustrukturierung des Landes.
IV. Von der Provinz des Weltreiches zur Großmacht des östlichen Mittelmeerraums (323-282) (S. 79-250)
Nach dem plötzlichen Tod des Alexander im Jahre 323 stellte sich die Frage nach der Weiterexistenz des Riesenreiches. Nach einer kurzen Beschreibung der Person des Ptolemaios beschäftigen sich der gesamte dritte und vierte Abschnitt ausführlich mit den sogenannten Diadochenkriegen, welche Huß als Koalitionskriege bezeichnet und die er detailliert schildert. Es gelang nicht, die Einheit des Reiches beizubehalten. Im Jahre 306 nahmen zunächst Antigonos, dann Demetrios, schließlich auch Ptolemaios und die anderen Generäle Alexanders den Königstitel und das Diadem an.
Innerhalb des Landes "bemühte sich Ptolemaios, die Rolle des neuen Landesherren nicht im Geiste der Konfrontation, sondern der Kooperation zu spielen" (S. 213). Er stützte seine Herrschaft vornehmlich auf das makedonische Militär und in zunehmendem Maße auf die makedonisch-griechische Verwaltung. Einige Überlegungen widmet Huß der Religion. Ptolemaios förderte die ägyptische Religion und führte den Sarapis-Kult ein. Er wendet sich gegen die weitverbreitete Ansicht, daß dieser Kult Ägypter und Griechen zusammenführen sollte. Er vermutet, daß dieser Kult ausschließlich den im Lande wohnenden Griechen galt, weil er deren religiöse Bedürfnisse befriedigte und eine gewisse einheitsstiftende Funktion hatte (S. 246).
V. Die Blütezeit des Reichs (285/84 bzw. 282-204) (S. 251-473)
Werner Huß betrachtet chronologisch die Regierungszeit der Könige Ptolemaios II. bis IV. Er bezieht hier auch Ptolemaios IV. ein, obwohl unter diesem Herrscher nach der Meinung vieler Forscher [4] bereits die Periode des Niedergangs eingeleitet wurde. Huß demonstriert jedoch überzeugend, wie Ptolemaios IV. die Eroberungen seiner Vorgänger durch Mut, Tatkraft und Verhandlungsgeschick weitestgehend sichern konnte, wobei er allerdings durch kluge "Mitarbeiter" in seinen Entscheidungen beraten wurde. Nicht ganz so erfolgreich war seine Innenpolitik, denn er schenkte diesen Fragen nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit. Huß schildert zudem die Entwicklung des Dynastiekultes, der von Ptolemaios II. eingeführt und zu einem wesentlichen Charakteristikum der ptolemäischen Dynastie wurde.
VI. Die Krise des Reichs zur Zeit Ptolemaios' V. (204-180) (S. 473-536)
Die Krise deutete sich am Ende der Regierungszeit des Ptolemaios IV. schon an, denn dieser starb, ohne daß er massiv gegen einheimische Aufstände vorgegangen wäre. Auch hinterließ er einen minderjährigen Nachfolger. Für diesen regierten bis zu dessen Krönung im Jahre 196 seine Vormünder, wodurch fast alle Außenbesitzungen bis auf Zypern und die Kyrenaika verloren gingen. Dies führte im Land zu einer ökonomischen Krise, welche die Entstehung einer ägyptischen Revolte begünstigte. Erst nach zähem Kampf gelang es, im Jahre 186 den Widerstand zu brechen und die ptolemäische Herrschaft auch in Oberägypten wieder herzustellen. Auch Ptolemaios V. und seine Frau Kleopatra I. wurden in den Dynastiekult miteinbezogen. Ganz besonders eng wurden die Beziehungen zur Priesterschaft des Ptah in Memphis gestaltet, wovon eine Anzahl von Psephismata, darunter das berühmte Memphisdekret, zeugen.
VII. Der Niedergang des Reiches (180-80) (S. 537-670)
Unter den Herrschern Ptolemaios VI. Philometor bis Ptolemaios XI. Alexander II. (Huß: Ptolemaios X.) geriet das Land endgültig in eine tiefe Krise und in die Abhängigkeit des römischen Reiches, denn Rom war nach dem 3. Makedonischen Krieg und dem 6. Syrischen Krieg im Bereich des östlichen Mittelmeeres die dominierende Macht geworden.
In Ägypten herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den rivalisierenden Herrschern Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII. Euergetes II. (Huß: Ptolemaios VII.) bzw. zwischen Ptolemaios IX Soter II. (Huß: Ptolemaios VIII.) und Ptolemaios X. Alexander I. (Huß: Ptolemaios IX.). Eine herausragende Rolle spielten dabei die mitregierenden Königinnen, vor allem Kleopatra II. und deren Tochter Kleopatra III. Der Dynastiekult nahm übersteigerte Formen an und diente den einzelnen Familienmitgliedern zur Demonstration ihrer politischen Ziele. Im Landesinneren bemühten sich die Herrscher um eine Verständigung mit der ägyptischen Bevölkerung, wovon mehrere Psephismata zeugen. Es gelang immer mehr Ägyptern, in hohe Verwaltungsämter vorzudringen. Die Herrscher kümmerten sich zudem um die ägyptischen Götterkulte und wurden ihrer Rolle als Tempelbauherren gerecht.
VIII. Der Untergang des Reichs (80-30) (S. 671-760)
Der endgültige Untergang wurde mit der Regierung des Ptolemaios XII. Neos Dionysos eingeleitet, unter dem Ägypten zu einem wichtigen Machtfaktor im Konzept der römischen Machthaber wurde. Caesar bestätigte Ptolemaios XII. Neos Dionysos (Huß: Ptolemaios XI.) in Rom als König und ließ ihn als amicus et socius populi Romani anerkennen.
Seine Tochter Kleopatra VII. (Huß: Kleopatra VIII.) versuchte, zunächst Cäsar, dann Marcus Antonius für den Bestand der Dynastie und des Reiches zu gewinnen. Sie bemühte sich, den gemeinsamen Sohn mit Cäsar, Ptolemaios XV. Kaisarion (Huß: Ptolemaios XIV.), zum Begründer einer neuen ptolemäisch-römischen Dynastie zu etablieren. Dieses Konzept scheiterte jedoch. Nach der Schlacht bei Actium im Jahre 31 v. Chr. und der Einnahme Alexandrias am 1. August 30 v. Chr. durch Octavian wurde Ägypten zur römischen Provinz.
Huß bemüht sich zu zeigen, daß die Regentschaft Kleopatras für das Land nicht unbedingt zum Schaden gereichte. Zahlreiche Dokumente zeigen ihr Bemühen, trotz Hungersnot und Seuchen eine funktionierende Verwaltung aufzubauen. Gute Beziehungen knüpfte Kleopatra VII. zur memphitischen Priesterschaft.
Der Anhang (S. 761-863) besteht aus einem ausführlichen Literaturverzeichnis, einer Stammtafel der Ptolemäer, Karten des gesamten Mittelmeerraumes, Ägyptens, der Balkan-Halbinsel und Vorderasiens sowie einem Register.
Anmerkungen:
[1] Hölbl, G., Geschichte des Ptolemäerreiches. Politik, Ideologie und religiöse Kultur von Alexander dem Großen bis zur römischen Eroberung, Darmstadt 1994, S. XIIIf.
[2] Chauveau, M., Un été 145, in: BIFAO 90, 1990, S. 135-168; BIFAO 91, 1991, S. 129-134. ders., Encore Ptolemée VII et le dieu Néos Philopator, in: RdE 51, 2000, S. 257-261.
[3] Ich benutze die alte Zählung.
[4] So u.a. Hölbl, Geschichte des Ptolemäerreiches.
Diese Rezension wurde redaktionell betreut von Udo Hartmann
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Friederike Herklotz, Lepsius-Institut und Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin, <f.herklotz@rz.hu-berlin.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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