Rezensiert für H-Soz-u-Kult von Martina Hartmann
Innerhalb der florierenden "Gestalten"-Reihe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft ist die hier vorgelegte Biographie Gregors VII. besonders zu begruessen, denn erstaunlicherweise wurde ueber diesen bedeutenden mittelalterlichen Papst fast 100 Jahre keine groessere deutschsprachige Monographie mehr verfasst, obwohl der grosse Kongress, der 1985 an Gregors Sterbeort Salerno veranstaltet wurde, die Notwendigkeit eines solchen Werkes auf dem aktuellen Stand der Forschung einmal mehr gezeigt hat [1]. 1998 legte dann H.E.J. Cowdrey eine umfangreiche, 743 Seiten umfassende Biographie in englischer Sprache vor, der Uta-Renate Blumenthal, die nach eigener Angabe mit Cowdrey in Kontakt stand, nun ihr wesentlich konziseres Buch entgegenstellt. Sie ist eine exzellente Kennerin der Epoche, da sie sowohl durch ihre kanonistischen Forschungen mit Gregor und seiner Epoche seit langem vertraut ist als auch durch ihre Synthesen ueber den Investiturstreit ausgewiesen [3].
Mit grosser Quellen- und Literaturkenntnis und in einer klaren, schnoerkellosen Sprache behandelt Frau Blumenthal in ihrer straffen Darstellung den bedeutenden Papst Gregor VII., wobei sie immer bis zu den zeitnaechsten Quellen zurueckgeht, sie kritisch analysiert und wiederholt alteingewurzelte Vorurteile und Fehleinschaetzungen ausraeumt. Auch haelt sie mit ihrer Meinung zu den einzelnen Problemen nicht hinter dem Berg. Besonders praegnante Quellenstellen werden in deutscher Uebersetzung im Text zitiert. Schon die Einleitung (S. 1-15) macht deutlich, welche Fuelle an Spezialuntersuchungen zu diesem fuer die Entwicklung der Kirche zentralen Papat in den letzten Jahren erschienen ist. Das Buch ist in insgesamt neun Grosskapitel eingeteilt, wobei sich das erste Kapitel unter dem Titel "Herkunft und Familie" (S. 16-63) mit der viel diskutierten Frage nach Hildebrands Herkunft (aus Sovana?) und Abstammung (aus der Adelsfamilie der Aldobrandeschi?) und seinem Aufenthalt in den fruehen Lebensjahren (in Rom?) befasst. Waehrend sie die beiden ersten Fragen mit einem klaren "Nein" beantworten kann, bleibt Frau Blumenthal nach Sichtung der Quellen und Zerstreuung alter, immer weiter tradierter Fehlinterpretationen in der dritten Frage bei einem non liquet. Dezidiert vertritt sie ihre Auffassung, dass der spaetere Papst streng reformierter Kanoniker und nicht Moench war, womit sie die von Wilhelm Martens 1891 gestellte und von Paul Scheffer-Boichorst in scharfem Ton zurueckgewiesene Frage nach ueber 100 Jahren erneut zur Diskussion stellt. Im 2. Kapitel "Der Subdiakon" (S. 64-83) schildert die Autorin die Zeit von 1049, d.h. Hildebrands Rueckkehr mit Leo IX. nach Rom, bis zum Jahr 1059, der Wahl Nikolaus II. Dass Hildebrand bei dieser Papsterhebung eine entscheidende Rolle spielte, wird aus seinen Aktivitaeten und seinem Werdegang in Rom nach 1049 verstaendlich. Kapitel 3 (S. 94-138) behandelt seine Taetigkeit und seine Auffassungen, etwa zur vita apostolica, die ihn mit Petrus Damiani einte, oder zu den milites Christi. So macht diese Biographie klar, wie es fast selbstverstaendlich zur Wahl Hildebrands zum Papst im Jahre 1073 kommen musste.
Die folgenden Grosskapitel (4. Die Konzilien Gregors VII. S. 139-201; 5. Legaten S. 202-220; 6. Gregor und die kirchliche Hierarchie und 7. Klosterpolitik S. 249-281) profitieren besonders davon, dass die Autorin ihren Forschungsschwerpunkt in der Kanonistik hat, und so bietet sie dem Leser viel an Hintergrundwissen, das ueber die eigentliche Biographie hinausgeht, so etwa zum Legatenwesen, fuer deren weitere Entwicklung sie Gregors Pontifikat als besonders wichtig erachtet, auch wenn vor allem in Deutschland den Legaten nicht immer Erfolg beschieden war. Was den Jurisdiktionsprimat anbelangt, so zeigt sie eindruecklich, "wie unabhaengig von der kanonistischen Ueberlieferung Gregor gegebenenfalls handelte" (S. 233). In der viel diskutierten Frage eines Investiturverbotes von 1075 nimmt Frau Blumenthal den vorsichtigen Standpunkt ein, dass "Gewissheit nicht zu erlangen (sei), aber ein bedingtes Investiturverbot, das nicht nur von der Trennung von den exkommunizierten Ratgebern Heinrichs abhaengig war, sondern auch von Verhandlungen ueber die Investitur, wohl nicht voellig ausgeschlossen werden sollte" (S. 178), d.h. sie neigt gegen Rudolf Schieffer wieder eher der Auffassung der "aelteren" Forschung zu. Im Kapitel 8 "Kaiser, Fuersten und andere Laien" (S. 282-326) fuehrt sie dann gewissermassen die Ereignisgeschichte des Pontifikats fort bis zu Gregors Scheitern in Rom und seiner Flucht mit den Normannen nach Salerno.
Im letzten Kapitel "Gregors Tod und Heiligsprechung" (S. 327-338) zeigt Frau Blumenthal zunaechst, wie sich nach seinem Tod seine Ideen durchsetzen, auch wenn es 1085 in Salerno zunaechst aussah, als sei er gescheitert. Sie zeigt dann, dass spaeter zwar ueber Gregor geschrieben wurde bis hin zur Vita Pauls von Bernried am Anfang des 12. Jahrhundert, dass es aber keinerlei Hinweise etwa auf Wunderberichte in Salerno oder eine besondere Gregor-Verehrung gibt. Ein liturgischer Kult Gregors existierte weder in Rom noch in Salerno, er entstand interessanterweise erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts, als naemlich nach der Publikation antigregorianischer Quellen wie dem Liber de unitate ecclesiae conservanda, der Vita Heinrici IV und der Libri VII Benzos von Alba durch die protestantischen Humanisten wie Ulrich von Hutten von der katholischen Seite die Heiligsprechung Gregors VII. betrieben wurde, die schliesslich 1609 erfolgte. Gregors (angebliches?) Grab im Dom von Salerno war einige Jahre zuvor, naemlich 1578 aufgefunden und geoeffnet worden. Und hier kommt Frau Blumenthal wieder zum Anfang ihrer Biographie zurueck, denn die medizinischen Befunde der Gebeine, die 1578 als die Gregors VII. geborgen und 1985 im Rahmen des grossen Gregor-Kongresses in Salerno untersucht wurden, decken sich nicht mit den zeitgenoessischen Beschreibungen Gregors durch Hugo von Cluny und Petrus Damiani, die ihn als klein, zierlich und von niedriger Herkunft zeichneten.
Das Buch endet mit der vorsichtigen Feststellung, dass es manchmal immer noch schwer faellt, "in Gregor mehr zu sehen als den Papst von Canossa, der Koenige und Kaiser absetzte und den Staat der monarchischen Gewalt der Kirche unterordnete". Jedenfalls hat Frau Blumenthal mit ihrer umfassenden Biographie sicher viel dazu beigetragen, Gregors Bild Nuancen zu geben. Auch in manchen Detailfragen, die hier gar nicht einzeln referiert werden koennen, wird man sich mit diesem gut lesbaren Buch, das trotz seines massvollen Umfanges (etwa auch im Vergleich mit Cowdrey) viel mehr an Hintergrundinformation liefert als man es von einer Biographie erwartet, kuenftig auseinandersetzen muessen und den abwaegenden Argumentationen und Urteilen sicher oft folgen koennen.
Anmerkungen:
[1] Die Kongressbeitraege wurden publiziert in den Studi Gregoriani 13 und 14 (1989 und 1991).
[2] H.E.J. Cowdrey, Pope Gregory VII, 1073-1085 (1998); vgl. auch die aeusserst kritische Besprechung von Horst Fuhrmann, in: Deutsches Archiv fuer Erforschung des Mittelalters 56 (2000) S. 708f.
[3] Uta-Renate Blumenthal, Der Investiturstreit (Urban-Taschenbuecher 335, 1982) und dies., The Investiture Controversy (1988).
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
PD Dr. Martina Hartmann, Universität Heidelberg, <Martina.Hartmann@uni-tuebingen.de>
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
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