Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

Offener Brief der Leiter der vier außeruniversitären Zeitgeschichtsinstitute an das BMBF

FORSCHUNGSSTELLE FÜR ZEITGESCHICHTE HAMBURG
HANNAH-ARENDT-INSTITUT FÜR TOTALITARISMUSFORSCHUNG DRESDEN
INSTITUT FÜR ZEITGESCHICHTE MÜNCHEN
ZENTRUM FÜR ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG POTSDAM

Offener Brief

An das
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Heinemannstr. 2
53175 Bonn-Bad Godesberg

Potsdam, 29. Januar 2002

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

das demnächst in Kraft tretende Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes (HRG), das unter anderem auch die Beschäftigungsdauer in befristeten Arbeitsverhältnissen im Bereich der Hochschulen und Forschungseinrichtungen neu ordnet, veranlaßt die unterzeichnenden zeithistorischen Forschungsinstitute, sich mit folgendem Appell an Sie zu wenden.

Die neue Regelung steht in Zusammenhang mit der Einführung der Juniorprofessur an den deutschen Hochschulen. Sie soll das Durchschnittsalter von Professoren bei Erstberufungen senken und akademische Ausweichkarrieren auf Drittmittelbasis unterbinden, und sie befristet die Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlern im akademischen Bereich - mit Ausnahme der Medizin - auf maximal zwölf Jahre bzw. nach der Promotion auf sechs Jahre. Über die Härten, die diese Reform für eine ganze Generation von Privatdozenten mit sich bringt, wird seit einigen Wochen debattiert. Weniger Beachtung findet in der öffentlichen Diskussion, daß mit dieser Reform auch die Existenz außeruniversitärer Forschungseinrichtungen akut bedroht ist, deren Tätigkeit in großem Maße auf drittmittelgestützten Forschungsprojekten beruht.
Nicht nur im Bereich Geschichtswissenschaften, in dem noch auf lange Zeit ein krasses Mißverhältnis zwischen der Zahl ausgeschriebener Professuren und der Zahl habilitierter Anwärter herrschen wird, hat sich in den letzten zwanzig Jahren infolge langjähriger Unterfinanzierung des Hochschulbereiches ein zweiter Arbeitsmarkt aus hochqualifizierten Wissenschaftlern herausgebildet, der flexibler und nachhaltiger auf die sich verändernden Forschungsanforderungen reagieren konnte als das universitäre Laufbahnsystem. Gerade die nach 1989 besonders im Rampenlicht stehende Zeitgeschichtsforschung hätte ohne die Leistungskraft spezialisierter Drittmittelforscher die ihr gestellten Aufgaben einer differenzierten Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit nicht bewältigen können und wäre in der Zukunft nicht in der Lage, den von ihr erwarteten wissenschaftlichen Beitrag für die politische Kultur der Bundesrepublik zu leisten.

Die Befristungsvorschriften des neugefaßten HRG sollen nach unserem derzeitigen Kenntnisstand auch für außeruniversitäre Dienstverträge Anwendung finden.
Seitens des Bundesministeriums wird zwar auf die Möglichkeit einer befristeten Anschlußbeschäftigung nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verwiesen. Aber die Sonderregelung nach §14,1 TzBfG bietet nur scheinbar einen Ausweg, da sie nach Meinung vieler Universitätsverwaltungen und Landesministerialbehörden ein zu hohes Risiko birgt, daß sich auf diese Weise Forscher arbeitsgerichtlich in eine Dauerstelle einklagen können. Den unterzeichnenden Instituten droht das Dilemma, erfolgreich gestartete und positiv evaluierte Forschungsprojekte zur Zeitgeschichtsforschung nicht weiter fortführen zu können, wenn anstehende Vertragsverlängerungen keine Aussicht auf Erfolg haben.
Wir fürchten, daß die Konsequenzen dieser Regelung einen starken Einbruch für die Geisteswissenschaften und insbesondere für die Zeithistorie bedeuten werden.
Sie bedrohen die beruflichen Perspektiven von Kollegen, mit denen wir über viele Jahre erfolgreich zusammengearbeitet haben und die anders als im Bereich der Naturwissenschaften kaum eine Möglichkeit haben, in ein analoges Tätigkeitsfeld in der Privatwirtschaft zu wechseln.

Sie bedrohen das gewachsene institutionelle Potential der außeruniversitären Zeitgeschichtsforschung.
Sie bedrohen nicht zuletzt die wenigen erfolgreichen Bemühungen um eine berufliche Integration der nach 1990 abgewickelten DDR-Historikerschaft, die nach dem Scheitern des universitären Wissenschaftler-Integrationsprogramms ganz den außeruniversitären Forschungseinrichtungen übertragen worden war. Wir bitten Sie, sehr geehrte Frau Bundesministerin, mit Nachdruck nach Wegen zur Abhilfe zu suchen, um Schaden für die geisteswissenschaftliche Forschung in Deutschland abzuwenden - sei es durch eine ministerielle Klarstellung oder durch eine die Arbeitsfähigkeit außeruniversitärer Institute im geisteswissenschaftlichen Bereich sichernde Überarbeitung des HRG.

Mit freundlichen Grüßen

(Prof. Dr. Christoph Kleßmann)

Im Namen der Unterzeichner

Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden
Prof. Dr. Christoph Kleßmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam
Prof. Dr. Horst Möller, Institut für Zeitgeschichte, München
Prof. Dr. Axel Schildt, Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Dr. Hans Hermann Hertle <hertle@zzf-pdm.de>
Subject: HRG-Novellierung
Date: 29.01.2002