Diskussionsbeitrag aus dem so genannten "Mittelbau"
Dr. Martin Zürn, Historisches Seminar der Universität Freiburg i.Br.
Der Neuentwurf des Hochschulrahmengesetzes fand am 20. Dezember 2001 die erforderliche Zustimmung des Bundesrates. Die Novelle sieht u.a. eine flexiblere Besoldung der Professuren vor. Neben einem Mindestgehalt von 3.724 DM (W 2) bzw. 4.522 Euro (W 3), gültig sowohl für Fachhochschulen als auch für Universitäten, soll eine zwischen den WissenschaftlerInnen und ihrer Hochschule auszuhandelnde variable Gehaltskomponente treten, die die Studierendenbetreuung und Leistungen in Lehre und Forschung honoriert. Die Einrichtung von 3.000 Junior-Professuren wird vom Bund mit 180 Euro gefördert. Sie erhalten in den ersten drei Jahren 3.260 Euro, danach 3.526 Euro, ggf. mit einem Zuschlag von 326 Euro. Diese auf sechs Jahre angelegte Junior-Professur soll künftig "die Regelvoraussetzung für eine Universitätsprofessur sein"; alternative Tätigkeiten in der Industrie oder an einer ausländischen Hochschule werden aber ggf. akzeptiert. Die Habilitation wird "im Berufungsverfahren keine Rolle mehr spielen"; doch besteht für gegenwärtig Habilitierende eine Übergangsfrist bis 1. Januar 2010, ihre Arbeiten abzuschließen. Für die Ministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, ist "damit ... der Weg frei für eine neue Hochschule der Zukunft" [1].
Zu der mittlerweile vom Bundespräsidenten unterzeichneten Novelle stellt der Verfasser, derzeit in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projekt Integration ethnischer und konfessioneller Minderheiten in der Frühen Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Freiburg i.Br. mit einer Habilitation zur Zuwanderung aus Savoyen beschäftigt, einige Thesen zur Diskussion [2]. Er bittet über h-soz-kult um konstruktive Kritik. Sie soll ggf. zu späterer Zeit in den Text aufgenommen oder über die mailing list verbreitet werden.
1. Hochschule und Gesellschaft
Entscheidungen im Hochschulbereich wirken auf die Gesellschaft zurück und umgekehrt. Zugangsvoraussetzungen an Bildung und Vermögen strukturieren die Wahl der Studienfächer und damit den Arbeitsmarkt von morgen. Hochschulabsolventen haben, statistisch gesehen, immer noch weit bessere Chancen auf ein überdurchschnittliches Einkommen, auf Führungspositionen in der Industrie und im tertiären Sektor einschließlich staatlicher Verwaltung und Politik als der akademisch nicht ausgebildete Teil der Bevölkerung. Akademisch vorgebildete Arbeitnehmer von morgen zahlen potentiell hohe Steuern, schaffen und sichern Arbeitsplätze. Der Staat muss also ein elementares Interesse daran haben, erstens eine optimale Ausbildung zu ermöglichen und zweitens die Ausgebildeten vor dem Hintergrund eines international gewordenen Arbeitsmarkts auch im Land zu halten.
2. Bildung und Bildungsetat
Der Zwang zum Sparen verbietet freilich eine erhebliche Ausdehnung des Bildungsetats - wobei jedoch nicht gesagt ist, dass mehr Geld automatisch Forschung und Lehre verbessert. Primäres Ziel der Hochschulreform muss also sein, die vorhandenen Mittel so effektiv wie möglich einzusetzen und zukunftsträchtige Projekte mit zusätzlichen Mitteln zu fördern.
3. Zugang zur Bildung, Teil 1: Universitäre Aufnahmeprüfungen?
Historiker, die keinen fehlerfreien Satz schreiben, Studierende, die bei der Besprechung englischer, erst recht französischer Fachliteratur das Seminar schwänzen und den Energie-Erhaltungssatz mit Müsli-Riegeln in Verbindung bringen - die Mängelliste gymnasialer Versäumnisse scheint endlos zu sein. Das Verfahren, geeignete und ungeeignete StudienanfängerInnen zentralistisch mehr oder weniger nach dem Zufallsprinzip an die Universitäten zu verteilen, sollte ausgedient haben, nicht zuletzt auch weil es mit der vertraglich abgesicherten persönlichen Freizügigkeit innerhalb der EU kollidiert [3]. Problematisch ist es allerdings, mit Aufnahmeprüfungen ein zweites Abitur einzuführen, auf das eventuell noch in kostenträchtigen Privatkursen gepaukt werden muss. Aufnahmeprüfungen müssen deshalb mit einem Maximum an öffentlicher Information vorbereitet werden. Den Schulen müssen konkrete Anforderungsprofile vorliegen, damit sie ihre SchülerInnen rechtzeitig vorbereiten können.
Die Universitäten müssen öffentlich darüber Rechenschaft ablegen, warum sie bestimmte Profile bevorzugen. Dies ist sowohl eine ethische als auch eine wissenschaftspragmatische Frage. So kann es negative Auswirkungen haben, z.B. für das Medizinstudium BewerberInnen nur nach naturwissenschaftlicher Begabung auszuwählen und die Frage nach deren sozialen Kompetenzen zu vernachlässigen. Hochschulen sollten sich bewusst in ihren Aufnahmeverfahren voneinander absetzen, aber die Verschiedenheit der Standards miteinander koordinieren.
Interessant ist auch das Plädoyer des Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Klaus Landfried, zur Einführung eines Probejahrs, zumindest in Fächern ohne numerus clausus - eine Alternative zum "Fallbeil von punktuellen Eingangsprüfungen" [4], die zu regelmäßigen Statusbestimmungen durch Tests und Gespräche zwingen würde.
4. Zugang zur Bildung, Teil 2: Studiengebühren - warum nicht?
Studiengebühren fördern weder die Intelligenz noch andere Studienvoraussetzungen, höchstens den Fleiß. Mit Sicherheit aber prämieren sie wohlhabende Eltern. Der bereits in der letzten Dekade festzustellende Ausstieg potentieller Studierender aus den Mittel- und Unterschichten würde durch Studiengebühren forciert. Als nach dem Ende der großen Koalition in Österreich Studiengebühren durch die neue Regierung eingeführt wurden, gingen Zahlen der Immatrikulierten teilweise um 30 und mehr Prozent zurück; der Rückgang war in den juristischen und volkswirtschaftlichen Fakultäten am geringsten ausgeprägt. Da die Jahrgangsstärken abnehmen werden und durch Zuwanderung kein Ausgleich erfolgen wird, profitiert ein Staat wie Deutschland nur kurzfristig zu Gunsten seines Etats. Volkswirtschaftlich gesehen schöpfen derlei Steuern und Gebühren jedoch massiv Kaufkraft ab und reduzieren die Bereitschaft zum Studiem. Langfristig gesehen sind Studiengebühren möglicherweise die Axt an den Wurzeln der Zukunftsfähigkeit eines Landes.
Und: Rechtfertigen es die derzeitigen Studienbedingungen an deutschen Hochschulen überhaupt, derlei Gebühren zu erheben? Wolfgang Jäger, Rektor der Universität Freiburg i.Br. und Vorsitzender der Landesrektoren-Konferenz Baden-Württemberg, will Studiengebühren nur zustimmen, wenn sie "ohne Abzüge den Universitäten zugute kommen", d.h. auch, ohne dass mit ihnen die Reduktion staatlicher Finanzierung begründet wird. Die Studiengebühren sollten zur Förderung hoch talentierter, aber materiell schlecht gestellter Studierender verwendet werden [5]. Dienen Studiengebühren der realen Verbesserung der Studienbedingungen - Ausstattung mit Lehrmitteln, materielle Absicherung - könnten sie vielleicht allgemein akzeptabel werden. Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass die Studierenden erwarten, dass sich die Investition "Studiengebühr" lohnen wird. Es ist zu folgern, dass Studiengebühren zu massiven Umschichtungen bei der Wahl der Studienfachs führen. Vermutlich werden wie in Österreich Jura, BWL und VWL, in Grenzen Informatik und Medizin auf Kosten der Geistes- und Sozialwissenschaften profitieren.
Dass Studiengebühren ansonsten per se ausbildungsfeindlich sind, zeigen aktuelle Beispiele: AbsolventInnen der Fachschulen des nichttechnischen Verwaltungsdienstes (gehobener Dienst), die ihre Berufstätigkeit reduzieren oder unterbrechen, um ein Hochschulstudium aufzunehmen, werden in Bayern mit drakonischen Studiengebühren von ca. 500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten. Für die Hochschulbürokratie belegen sie ein "Zweitstudium". Diese Ansicht ist zwar in juristischen Fachkreisen wegen der gesetzlichen Problematik der direkten Rückwirkung strittig. Es ist aber ein Armutszeugnis für ein Land, das stolz auf seine Bildungstradition ist, dass die finanziell in der Regel klammen Fortbildungswilligen anwaltliche Beratung benötigen, um ohne Schuldenlast zu einem Diplom zu kommen, das für den höheren Dienst qualifiziert.
Der Hinweis auf die USA kann Studiengebühren nur bedingt legitimieren. An vielen Instituten wird internationale Spitzenforschung und -lehre betrieben. Man fragt sich jedoch, ob sich ein Land wie Deutschland auch die Strategie erlauben kann, zugunsten einer qualitativen Spitzenausbildung für eine kleine, finanzkräftige Schicht die Bildung breiter Bevölkerungsschichten zu vernachlässigen. Die europäischen Staaten werden sich immer bemühen müssen, ihr "Humankapital" optimal auszuschöpfen.
5. Zugang zur Bildung, Teil 3: Studiengebühren - warum doch?
Die Lenkungsfunktionen so gestalteter Studiengebühren müssen also zunächst als überwiegend negativ eingeschätzt werden. Allerdings zwingen Studiengebühren zu zügigem Studium. Hier kann angesetzt werden. Es wäre durchaus denkbar, alle Studierenden mit - beispielsweise - 500 Euro monatlich [!] zu belasten; "Teilzeit-Studierende" mit anderen Verpflichtungen in Beruf und Kindererziehung und entsprechend längerer Studiendauer zahlen entsprechend weniger. Dieses Geld wird den Studierenden etwa vom Bafög-Amt (vielleicht auch vom Finanzamt) wieder zu einem Großteil wieder erstattet, wenn die EmpfängerInnen nachweisen, dass sie ihre Studien konsequent betreiben. Volle Erstattungen, vielleicht sogar Prämien, werden bei guten bis hervorragenden Abschlüssen ausgezahlt. Staat, Studierende und Universitäten stehen in einem Vertragsverhältnis zueinander, das alle Seiten zu Leistungen verpflichtet.
Ausländische Studierende sollten nach dem Reziprozitätsprinzip mit Studiengebühren belegt werden. Sind in einem bestimmten Land für deutsche Studierende Studiengebühren die Regel, sollte man sich nicht scheuen, entsprechend zu verfahren. Doch wird das deutsche Bildungsangebot auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sein?
6. Gute Lehre muss prämiert werden
Das Geld für die Refinanzierung der Studiengebühren soll aus einem Fördertopf stammen, in den Bund und Länder einzahlen. Bund und Länder wiederum zweigen diese Mittel aus den Etats ab, die bisher direkt an die Hochschulen flossen. Diese Form der Studiengebühren ist kostenneutral für den Staat und konsequent Studierende, hat aber einen wesentlichen Lenkungseffekt: Eine Hochschule, die für Studierende nicht mehr attraktiv ist, verliert auf diese Weise erheblich an Finanzkraft und wird im Extremfall geschlossen. In der Konkurrenz um Studierende ist die Hochschule gezwungen, die Studenten als Dienstleister zu "umsorgen" [6]. Auswahlverfahren und Lehrangebote sind den Erfordernissen der Zeit anzupassen, die dafür geeigneten pädagogischen Konzepte müssen entwickelt werden, es gilt den Service (Bibliotheken, Labors, EDV, Sozialdienstleistungen) zu optimieren und sich mit Stadt und Umland über die Infrastruktur abzustimmen.
Die universitäre Selbstverwaltung erhält eine neue Dimension - internes Controling und Vernetzung nach außen werden überlebensnotwendig. Nicht nachgefragte Studiengänge werden geschlossen oder mit anderen zu kreativen neuen zusammengelegt. Denkbar ist auch die Kooperation benachbarter Hochschulen in bestimmten Disziplinen und Lehrinhalten, insbesondere in den so genannten "Orchideenfächern". Bereits jetzt können Bundesländer Forschungs- und Lehrschwerpunkte bilden und auch nach § 50 Abs. 2 HRG verbeamtetes Lehrpersonal entsprechend versetzen; diese Rechtsgrundlage wäre zu erweitern.
7. Die Laufbahn-Falle, Teil 1
Der Chemiker schließt sein Studium mit dem Diplom ab, die Juristin mit dem Ersten Staatsexamen, der Germanist und die Volkskundlerin mit dem magister artium. Die derzeitigen Reformbemühungen zielen durch Einführung der baccalor- und master-Abschlüsse auf internationale Akzeptanz und Vergleichbarkeit ab.
Damit ist jedoch nur ein Teil des Problems angepackt. Unser Chemiker benötigt im Berufsleben vielleicht Kenntnisse in Verwaltungs- und Patentrecht, die Juristin in Betriebswirtschaft, die Volkskundlerin in Museumspädagogik. Auch dem Germanisten bleibt ohne Zusatzausbildung meist nur das Arbeitsamt. Hätte er eine fundierte Ausbildung in Kulturmanagement erhalten, hätte er sowohl als Lehrer als auch als Kulturamtsleiter oder Kino-Betreiber wesentlich verbesserte Startbedingungen.
Die weltweit anerkannte Universität St. Gallen, der der Verfasser angehörte, fordert von den Studierenden der Rechte, der Volks- und Betriebswirtschaft obligatorisch ein kulturwissenschaftliches Begleitstudium. Die Ergebnisse sind abschlussrelevant - wer in der gewählten Fremdsprache über "mangelhaft" nicht hinauskommt, erhält auch als Betriebswirt kein Diplom.
Die Universität Konstanz offeriert seit Jahren den Studiengang "Verwaltungswissenschaften". Dieser kombiniert juristische mit wirtschaftswissenschaftlichen bis hin zu soziologischen und psychologischen Lehrangeboten; die AbsolventInnen haben auf dem Arbeitsmarkt oft bessere Chancen als VolljuristInnen. (Nebeneffekt: Wer juristische Schlüsselexamina nicht besteht, hat dort die Möglichkeit, unter Anrechnung juristischer Scheine "umzusatteln" und doch noch einen qualifizierten Abschluss zu erhalten.)
In einer Zeit, in der sich
a) Interdisziplinarität der Wissenschaften als Paradigma durchgesetzt hat
b) die Anforderungsprofile von Wirtschaft und Gesellschaft rasch ändern,
c) "lebenslanges Lernen" mehr sein muss als ein wohlfeiles Schlagwort,
kann und darf das Studium keine streng fachspezifische Qualifikation mehr bieten, die mit anderen fachspezifischen Qualifikationen nicht mehr kommunikabel ist. Das Studium muss eine solide Plattform sein, von dem in verschiedene Richtungen Wege ins lebenslange Lernen ausgehen [7]. Ein Altphilologe sollte sich sowohl in die Materie "Deutsch als Fremdsprache" als auch z.B. in bestimmte EDV-Probleme der Spracherkennung einarbeiten können, ein Chemiker in der Lage sein, mit Wirtschaftsingenieuren, Verfahrenstechnikern, Ökologen und Personalplanern zu kooperieren. Die vermehrte Einbindung von Praxis-Komponenten ins Studium und die Beschränkung der Prüfungsmaterie auf wenige Kernfächer ist zwar zu begrüßen, sie bleibt aber halbherzig, so lange die Eckpunkte der Ausbildung unverrückt bleiben und keine deutlichen Anknüpfungspunkte an Nachbardisziplinen erkennbar sind [8].
Existenzgründungs-Lehrstühle, bislang v.a. durch WirtschaftswissenschaftlerInnen und JuristInnen besetzt [9], sollten auch mit den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern vernetzt werden. So könnte man bereits im Studium den PsychologInnen eine qualifizierte Arbeit in der Unternehmensberatung und dem wissenschaftlichen Nachwuchs know-how in Management-Methoden zu vermitteln. Die Schärfe in der Debatte um die arbeitsrechtlichen Folgen der HRG-Novelle resultiert u.a. daher, dass man jahrzehntelang ein Spezialistentum gezüchtet hat, das auf dem freien Arbeitsmarkt kaum mehr vermittelbar ist.
Berufsverbände und Standesorganisationen werden sich die Frage gefallen lassen müssen, inwieweit sie unter den Bannern "Laufbahn" und "Formalqualifikation" Klientel- und Pfründenpolitik betreiben, die abschottet statt zu vernetzen.
8. Die Laufbahn-Falle, Teil 2
Bund und Länder schieben seit Jahren ein Personalproblem vor sich her - u.a. ein Überangebot an Habilitierten, gemessen an den angebotenen akademischen Spitzenämtern. Die Nachfrageseite des akademischen Arbeitsmarkts wird in absehbarer Zeit nicht wachsen, vielmehr zwingt der so genannte "Solidarpakt" in Baden-Württemberg nach der Zerschlagung des herkömmlichen "Mittelbaus" auch zur Abwicklung vieler Lehrstühle.
Für diejenigen, die bislang erfolgreich die Hochschullaufbahn absolviert haben, ohne einen Ruf erhalten zu haben, sind deshalb schwere Turbulenzen in der Lebensplanung zu erwarten. Das bisherige akademische curriculum begünstigte ab dem Diplom, spätestens ab der Promotion massiv Spezialisierung; die Gelegenheit zur Aus- bzw. Weiterbildung, die programmatisch an andere Disziplinen anknüpfte und sich mit ihnen verband, dürfte die große Ausnahme dargestellt haben.
Nun kann sich ein promovierter Physiker oder Jurist, eine habilitierte Biologin - entsprechende Arbeitsschwerpunkte vorausgesetzt - möglicherweise noch Chancen auf dem nichtstaatlichen Arbeitsmarkt ausrechnen. In den meisten kulturwissenschaftlichen und künstlerischen Fächern hingegen tritt der Arbeitgeber Staat als Quasi-Monopolist auf.
Nach der viel zitierten PISA-Studie hat auch "der Staat" hat Hausaufgaben zu machen. So hemmt es die individuelle Initiative, dass sich der Bildungssektor insgesamt notorisch im Würgegriff des Berufsbeamtentums einerseits und der Sparzwänge andererseits befindet. Als sich beispielsweise der Verfasser dieser Zeilen, der als wissenschaftlicher Angestellter mehrere Jahre lang angehende Lehrer im Grundstudium ausgebildet hat und mittlerweile die Habilitation vorbereitet, sich jüngst bei einem Oberschulamt nach den Möglichkeiten zum Übertritt in den Schuldienst erkundigte, bekam er zu hören: Das Erste Staatsexamen liege zu lange zurück, da müsse er im Rahmen eines Kolloquiums erst nachweisen, dass er wissenschaftlich noch auf der Höhe der Zeit sei ... (Einmal verbeamtet, wurde der Auskunftgeber sicher nicht mehr gefragt, ob er mit seinem Wissen auf der Höhe der Zeit sei).
Sowohl aus arbeitsmarkt- wie auch aus bildungspolitischen Gründen müssen für die Lehrenden an Hochschulen die Möglichkeit zur Fluktuation innerhalb der staatlichen sowie zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen verbessert werden. Einem Astrophysiker, der einige Zeit z.B. an Industrieprojekten zur mobilen Kommunikation mitgearbeitet hat, sollte die Hochschullaufbahn ebenso offen stehen wie einem Germanisten, der eine gewisse Zeit Gebrauchsanweisungen redigiert hat und an der Konzeption von PR-Kampagnen beteiligt war. Voraussetzung bleibt selbstverständlich, dass die Betreffenden die wissenschaftliche Reflexion über ihr Tun in geeigneter Weise nachweisen. Es ist widersinnig, dass der Staat als Arbeitgeber - mit Recht! - diese Fluktuation und damit vom wissenschaftlichen Nachwuchs Flexibilität verlangt [10], diese Flexibilität im eigenen Bereich aber durch starre Laufbahnrichtlinien selbst behindert. Eine Hochschulreform kommt also nicht ohne Dienstrechtreform im gesamten staatlichen Bereich aus, insbesondere dort nicht, wo der Staat als Arbeitgeber eine Monopolstellung einnimmt. Auch Habilitierte, die mit dem Wechsel in den Schuldienst liebäugeln, müssen bei kärglichster Besoldung das Referendariat über sich ergehen lassen. Training on the job? Für Laufbahnbürokraten ist dies in der Tat ein Fremdwort, wahrscheinlich Chinesisch.
Wieder lohnt sich ein Blick in die Schweiz: Dort besteht die Möglichkeit, dass ein Physiker von der Universität Schulunterricht erteilt; ein Sozialkundelehrer, der sich im Umgang mit schwierigen Jugendlichen bewährt hat, kann ins Drogendezernat der Polizei wechseln u.s.w. Flexiblere Einstellungsbedingungen wie auch die weiter reichenden Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden im Bildungsbereich sind dem Austausch zwischen verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Sektoren förderlich.
Der Qualitätsverlust, den hartgesottene VerfechterInnen klarer Laufbahnmuster durch die QuereinsteigerInnen befürchten, braucht nicht einzutreten. In der Privatwirtschaft ist Controling zur Qualitätssicherung und Kostenadäquatheit seit langem üblich. Dagegen sind an Schule und Hochschule derlei Instrumentarien erst ansatzweise vorhanden. Kompetenzdefizite des Personals sind ggf. durch Fortbildungsmaßnahmen, letztlich auch durch Versetzung oder Entlassung auszugleichen. Es dürfte klar sein, dass Evaluationen und Fortbildungsverpflichtungen leistungssteigernder wirken als beamtenrechtliche Treuegelöbnisse.
9. Juniorprofessur und Habilitation in der HRG-Novelle
Es ist sicher ein lobenswerter Ansatz, begabten WissenschaftlerInnen nach der Promotion die Gelegenheit zu eigenständiger Lehre und Forschung zu bieten. Es ist jedoch sehr zweifelhaft, ob die - sehr unterschiedlich ausgeprägte - Abhängigkeit der ehemaligen Assistenten von bestimmten Ordinarien durch diese Konstruktion ihr Ende findet. Die staatliche Finanzknappheit wird die Junior- Professuren nicht allzu üppig sprießen lassen. Bis zu 6.000 Stellen insgesamt werden erwartet. Dann wiederum stellt sich die Frage, wer über die Stellenbesetzung entscheidet; wer - außer den Studierenden! - die Lehre dieser Nachwuchskräfte evaluiert und wer die Konsequenzen zieht (oder auch nicht!), wenn der/die StelleninhaberIn die Erwartungen (wessen Erwartungen?) nicht erfüllt. Auch behebt die Junior-Professur die Risiken der Laufbahn-Falle keineswegs. Es wird immer unterschiedliche Konjunkturen von Stellenüberangebot und -knappheit geben. Wer künftig v.a. in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern die Maximallaufzeit einer Junior-Professur verbraucht hat und sich unter zu vielen BewerberInnen vergeblich um eine ordentliche Professur bewirbt, steht wie heutige arbeitslose AssistentInnen vor dem Nichts [11], denn als Beamter auf Zeit (nach § 48 Abs. 1 HRG; § 48 Abs. 3 beinhaltet das Angestelltenverhältnis als Kann-Vorschrift) ist er nicht einmal gegen Arbeitslosigkeit versichert. Immerhin: durch eine rechtzeitige Entscheidung der Frage, welchen Disziplinen wie viele Junior-Professuren zugeordnet werden sollen, wird das Nadelöhr der Hochschullaufbahn von der Habilitation auf die Zeit kurz nach der Promotion vorverlegt. Diejenigen, die nicht zum Zuge kommen, sind für eine berufliche Neuorientierung noch jung genug.
Unter dem Schlagwort "lost generation?" hat die Initiative www.wissenschaftlichernachwuchs.de außerdem mit Recht darauf hingewiesen, dass diejenigen, die aktuell habilitieren oder habilitiert sind, gerade die künftigen Junior-ProfessorInnen ausbilden, aber selbst noch keine Professur haben, in der mit der HRG-Novellierung einher gehenden Personalplanung überhaupt nicht mehr vorgesehen sind. Wäre die Junior-Professur vor 10 bis 15 Jahren eingeführt worden, würde sich die Lage auf dem akademischen Arbeitsmarkt womöglich etwas entspannter darstellen. Nun aber wird die Habilitation zum Muster ohne Wert, auch wenn die Übergangsfrist bis zur Abschaffung neun Jahre beträgt [12]. Wenn die o.gen. Initiative zur Gegensteuerung sogenannte Fiebiger-Professuren fordert, wird das Problem des Angebotsüberhangs insbesondere in Sozial- und Kulturwissenschaften lediglich ein weiteres Mal verschoben. Böte man der Gruppe der jüngst Habilitierten solche Stellen an, würden damit die nächsten 20 Jahre Mittel blockiert, die eigentlich in sechs bis zehn Jahren für die Festanstellung der ersten Junior-Professoren bereit gestellt sein müssten.
10. HRG-Novelle, Hochschullehre und Arbeitsmarktpolitik
Drittmittel, v.a. Stipendien der DFG, der Volkswagen-Stiftung und vieler anderer Einrichtungen sicherten das Überleben des wissenschaftlichen Nachwuchses in den letzten 10 Jahren. In der HRG-Novelle wird glatt unterschlagen, dass die dadurch geschaffenen Stellen nicht immer Qualifikationsstellen waren. Um jedes Schlupfloch zu schließen, das einen Ausweg aus der eisernen 12-Jahresfrist zur Qualifikation bietet, müssen laut Novelle selbst Schwangerschaftsvertretungen angerechnet werden. Der Wissenschaft wird dadurch ein Bärendienst erwiesen, da die interessantesten Nachwuchskräfte für Stellen ohne Qualifikationschance nicht mehr zur Verfügung stehen können, ohne sich gravierende Laufbahnnachteile einzuhandeln.
Was die bereits habilitierten KollegInnen betrifft, macht die HRG-Novelle ihre milliardenschwere Förderung zur personalpolitischen Fehlinvestition. Aktuell verliert der habilitierte Historiker Constantin Goschler das Recht zur weiteren wissenschaftlichen Arbeit an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten. Bislang nicht berufen, hatte er erfolgreich Drittmittel für ein eigenes Forschungsprojekt eingeworben. Die Universität verwehrte ihm die Anstellung, denn nach dem neuen HRG wird eine Beschäftigungsdauer von maximal zwölf Jahren erlaubt, einschließlich der Arbeitszeiten als geprüfte wissenschaftliche Hilfskraft [13]. Setzen alle Verwaltungen das Gesetz auf diese Weise um, werden Massenentlassungen im Hochschulbereich die Folge sein [14].
Dieses Vorgehen wird seitens des Gesetzgebers zwar offiziell nicht gutgeheißen, der immerhin auf begrenzte Übergangsregelungen verweist und den restriktiv agierenden Rechtsabteilungen gar Fortbildungen anbieten will [15]. Dabei liegt die restriktive Handhabung genau in der der Logik des Junior-Professur-Konzepts. Drittmittelstellen, die sich zur Habilitation oder zur Überbrückung der "Zeit danach" eignen, müssten konsequenterweise abgewickelt werden, denn ein wissenschaftlicher Lebenslauf außerhalb der Junior-Professur wird nun per Gesetz diskriminiert: "Im Regelfall" sollen künftig Junior-ProfessorInnen auf ordentliche, d.h. unbefristete Professuren berufen werden. Für die Nicht-Junioren, die ihre Qualifikation in Drittmittelprojekten erworben haben, verschärft sich das Problem, wenn die Länder die Junior-Professur nach US-amerikanischem Muster per tenure track attraktiver machen. D.h., wenn die Länder die Junior-Professuren vorrangig dort ansiedeln, wo das Ausscheiden eines ordentlichen Professors nach ca. 6 bis 7 Jahren zu erwarten ist [16], gelangen diese Stellen möglicherweise gar nicht mehr zur Ausschreibung, da das Hausberufungsverbot mit Inkrafttreten der Novelle teilweise entfällt. Auch Prof. Dr. Ulrich Preis, exponierter Befürworter der HRG-Novelle, muss zugeben, dass diese Novelle "keine Übergangsvorschriften für etwaige Problemfälle" enthält. Lediglich eine weitere befristete Anstellung nach § 14 TzBfG zur Vermeidung unbillicher Härten ist möglich [17].
Die betroffenen Drittmittel-Beschäftigten, die unter belastenden arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen dem wissenschaftlichen Fortschritt dienten, kommen nach ihrem erzwungenen Abschied von der Hochschule den verschiedenen staatlichen Stellen ebenfalls teuer zu stehen: Umschulungen, Arbeitslosen- und Wohngeld, Sozialhilfe fallen an; daraus wiederum entstehen horrende Verwaltungskosten [18]. Die Politik bürdet den Sozialkassen zusätzliche unproduktive Belastungen auf. Solche Gelder wären für zusätzliche wissenschaftliche Leistungen zweifellos besser angelegt.
Den Ländern wird künftig freigestellt, wie hoch das die Lehrverpflichtung der Junior-ProfessorInnen sein wird. Der Gesetzgeber orientiert sich am Deputat aktueller AssistentInnenen [19]. Es ist jedoch wahrscheinlich - etwa zur Vermeidung von Engpässen in der Lehre angesichts leerer Kassen -, dass dem wissenschaftlichen Nachwuchs nach der Promotion via Länderrecht ein volles Lehrdeputat von acht Semesterwochenstunden auferlegt wird. Angesichts der damit verbundenen zeitlichen Belastung ist es nicht zu verstehen, wie sie parallel dazu noch innovative Forschung betreiben sollen.
Für die Lehre schreibt die HRG-Novelle als Einstellungsvoraussetzung außer einer Prädikatsdissertation auch "pädagogische Eignung" vor - doch wie soll diese nachgewiesen werden? Es wäre verantwortungslos, Menschen, denen meist jede didaktische Vorbildung fehlt, vollumfänglich auf die Studierenden loszulassen. Es wird eine Generation von wissenschaftlich Tätigen herangezogen, die mit nur einem Spezialgebiet als Grundlage "Lehre light" betreiben muss, um ihre wissenschaftliche Karriere nicht aufs Spiel zu setzen. Die "Lehre light" wird in innovativ klingenden Verbalhülsen verkauft werden, um den drohenden Substanzverlust zu kaschieren. Es ist noch kein Argument genannt worden, warum langjährige Lehrerfahrung und thematische Breite, was bisher die AssistentInnen erwarben, keine Qualitätskriterien mehr sein sollen. Gerade deshalb ist die Mitwirkung der heute 35- bis 45jährigen am akademischen Leben weiterhin unverzichtbar.
Gefordert ist also ein Konzept, das im Einklang mit arbeitsrechtlichen Vorgaben wissenschaftliche Arbeit ebenso fördert wie Flexibilität arbeits- und Perspektiven suchender WissenschaftlerInnen. Erstens können sogenannte Fiebiger-Professuren begrenzt zur Entspannung des akademischen Arbeitsmarkts beitragen. Zweitens sind Finanzmittel für Aufbau-Studiengänge und Zusatzqualifikationen für Ausstiegswillige ebenso unabdingbar. Um den Kommunen, insbesondere den Universitätsstädten, die Lasten mit arbeitslosen Hochqualifizierten abzunehmen, könnte zweitens etwa eine Stiftung auf Antrag befristete Hilfen zum Lebensunterhalt während eines Zusatzstudiums bzw. anderer Projekte zum Aufbau einer beruflichen Existenz außerhalb der Hochschule geben.
Drittens aber erfordert die oben angesprochene Notwendigkeit, Lehre intensiv und professionell zu gestalten, ein neues Berufsbild: den/ die "Hochschul-LehrerIn". Die Aufgabe ist effiziente Wissensvermittlung zwischen Spitzenforschung, den Interessen der Studierenden und den Bedürfnissen des allgemeinen Arbeitsmarktes. Das altbekannte Lamento über den Professor der Inneren Medizin, der Privatpatienten operiert, während sein überarbeiteter Assistent lustlos dessen Vorlesung herunterspult, wird zwar aufgrund der HRG-Novelle der Vergangenheit angehören. AssistentInnen werden durch die möglicherweise überforderten Junior-ProfessorInnen ersetzt. Sie werden wie ihre etablierten KollegInnen vor überfüllten Auditorien stehen und nicht wissen, wie sie nach der Korrektur von 200 Klausuren Ö-Recht 1 noch innovative Beiträge verfassen sollen (Zwischenfrage: haben Junior-ProfessorInnen Anspruch auf Hilfskraftmittel?). Sie werden auf den Fluren nach allen Seiten freundlich nicken (müssen), um von den Studierenden positiv evaluiert zu werden und um sich die Chance auf eine spätere Übernahme in der Fakultät nicht zu verbauen. Wird die Junior-Professur also zum Markenzeichen für wissenschaftliche Oberflächlichkeit und für Kriechertum werden? Tendenziell werden die künftigen StelleninhaberInnen so agieren müssen.
Andererseits würde der oben angeregte und auch notwendige Wettbewerb um die Studierenden solche Verhältnisse umgehend bestrafen. Deshalb ist es erforderlich, dass speziell ausgebildete Hochschullehrkräfte künftig die Studierenden persönlich betreuen und notfalls als "Kriseninterventionskräfte" tätig sind. Eine bessere Verzahnung von Lehre und Studienberatung ist unerlässlich [20]. Hier könnte das in Österreich übliche arbeitsmarktpolitische Element der Pragmatisierung habilitierter MitarbeiterInnen mit dynamischen Elementen der Leistungskontrolle und Weiterbildung kombiniert werden. Der Austausch von Lehrkräften zwischen den Hochschulen sollte der lokalen Verkrustung von Personalstrukturen vorbeugen und die Übertragung von Berufserfahrung an andere Universitäten befördern. Der Austausch darf durch Befristungsgrenzen nicht behindert werden, die lediglich das Lebensalter und absolvierte Karrieremuster diskriminieren.
Als Hochschul-Lehrer könnte ein guter Teil derer, die momentan auf der Suche nach einer adäquaten Stelle sind, zumindest befristet unterkommen. Vorausgesetzt einerseits, die Novelle würde revidiert, andererseits, die BewerbertInnen sind bereit, sich vertiefte Kenntnisse etwa in Hochschulpädagogik, den neuen Medien oder in Arbeitsmarktpolitik anzueignen, um ihren Stoff angemessen präsentieren und um auch auf hochschulexterne Entwicklungen umgehend reagieren zu können. Fortbildung der Lehrenden für die Lehre muss im Hochschulsystem verankert werden, und zwar nicht nur im EDV-Bereich [21]. In den bislang üblichen Frontalunterricht mit Vorlesung bzw. studentischem Referat und anschließender Diskussion müssen auf Kooperation und Konkurrenz angelegte Strategiespiele und workshops, assessment-centers u.s.w. treten. Es gilt, neben der Fach- auch die fachbezogene Sozialkompetenz der Studierenden und damit ihr Interesse zu steigern, selbst einmal kreative Vermittlungsformen zu wagen. Außer zu Fortbildungen müssen alle Lehrenden bereit sein, sich von Semester zu Semester (und nicht nur Junior-ProfessorInnen alle drei Jahre wie in der HRG-Novelle vorgesehen) Evaluationen zu stellen und über die Gründe von Erfolg und Misserfolg vor der Fakultät Rechenschaft abzulegen.
Grundsätzlich sollten die erforderlichen Hochschullehrerstellen (und warum nicht alle Stellen im Bildungsbereich) nicht mehr im Beamtenverhältnis besetzt werden (nach §§ 46, 48 HRG besteht hierzu lediglich die Möglichkeit). Nicht weil der Verfasser dieser Zeilen der oberflächlichen und oft unfairen Beamtenschelte folgen mag, die vorhandene persönliche Leistungsbereitschaft diskreditiert, sondern weil
a) die starre Laufbahnfixierung dringend notwendige osmotische bzw. synergetische Beziehungen mit anderen Bereichen erschwert (s.o.),
b) der Bedarf an Erfolgskontrolle und -sanktionierung beamtenrechtlich nach derzeitiger Lage nicht umsetzbar ist,
c) im Bildungssektor seit 40 Jahren personell am Bedarf vorbeigeplant wird und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Arbeitnehmergenerationen nicht hergestellt werden konnte bzw. weil
d) sich das Beamtenrecht als hinderlich für rasches staatliches Reagieren bezüglich Personalplanung und Lehrinhalten erwiesen hat.
Wenige BeamtInnen für zentrale hoheitliche Aufgaben - etwa für die formale Erstellung von Zeugnissen - müssten künftig genügen.
Bislang hatte das Zeitvertragsgesetz (HFVG) vom 14.06.1985, das bundesweit die §§ 57a ff. HRG zur Rechtsgrundlage für Stellenbefristungen macht [22], die Strukturkonflikte im Hochschulbereich allein auf auf dem Rücken des Mittelbaus ausgetragen. Dieses wurde mit dem zynischen Argument begründet, dass nur befristete Arbeitsverhältnisse immer neuer junger WissenschaftlerInnen den Hochschulen den nötigen Schub an neuen Ideen bringen könnten - während man viele ohne soziale Absicherung spätestens nach der Habilitation aussortierte und die Ordinarien als Hauptverantwortliche für Forschung und Lehre nach Beamtenrecht in Ehren ergrauen ließ [23]. Das bisherige System hielt zu wenig Anreize und Sanktionen bereit, nach der Berufung auf eine Professur neue Themen und Methoden aufzugreifen. Es geht hier aber nicht darum, Altersklassen gegeneinander auszuspielen. Letztlich kommt kein Nachwuchs ohne die Erfahrung der Älteren aus.
11. Einheit von Lehre und Forschung?
Eine Stärkung der Lehre ist für die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses unverzichtbar. Angesichts der Anstrengungen aber, die zur Vermittlung von Lehrinhalten unter Berücksichtigung des außeruniversitären Bereichs erforderlich sind (s.o.), gerät das Dogma auf den Prüfstand, dass Forschung und Lehre in einer Person vereinigt sein sollten.
Indem die "akademische Lehrkraft" als Berufsbild neu definiert wird, wird dieser Zusammenhang aufgehoben. Ordinarien, die in der Forschung Spitzenresulate vorzuweisen haben, sollten Anspruch auf Personal bekommen, das sie in der Lehre, insbesondere im Grundstudium, wirksam und qualifiziert entlastet. Sie selbst könnten sich in der Lehre auf Hauptseminare zu ihren Spezialgebieten beschränken und müssten vor allem die DoktorandInnen intensiv betreuen.
Regelmäßige Kolloquien, in denen der Nachwuchs den Fortgang seiner Projekte vorstellt, und andere Formen der Leistungskontrolle sind ebenso unabdingbar wie persönliche oder institutionelle "Bremsen", etwa wenn Diplomarbeiten oder Dissertationen vom Volumen her ein sinnvolles Maß übersteigen. Hierin sollten die Hauptverpflichtungen der Spitzenordinarien liegen.
Nach dem vorgeschlagenen Modell, demzufolge der Zulauf der Studierenden direkte, unmittelbare Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Hochschulen hat, entstehen neue Spannungen zwischen Forschung und Lehre. Hiervon sind insbesondere die sogenannten "Orchideenfächer" betroffen. Da sie längst nicht mit der gleichen studentischen Nachfrage aufwarten können wie etwa Betriebswirtschaften, Jura oder Maschinenbau, wird wie in der Privatwirtschaft mangelnde Nachfrage die Konzentration auf wenige Standorte beflügeln. Einem völligen Verschwinden wird staatliche und private Auftragsforschung vorbeugen (müssen). Es ist schließlich nicht absehbar, wann gegenwärtige Randgebiete einen Bedeutungszuwachs erhalten wie derzeit die Arabistik und die Islamwissenschaften.
12. Materielle Honorierung wissenschaftlicher Leistung
Regelmäßig wird die Unterbesoldung der Ordinarien v.a. in den naturwissenschaftlichen Fächern hervorgehoben. In der Tat sind diese im Vergleich zu Verantwortlichen in der freien Wirtschaft unterbezahlt. Dennoch plädiert der Verfasser für eine Absenkung der Gehälter auf das Niveau, das zum Unterhalt einer mittelgroßen Familie (drei bis fünf Personen) ausreicht - vielleicht auf BAT II A, vielleicht nur III A.
Den Hochschulangehörigen müsste aber die Möglichkeit geboten werden, durch eigene Leistungen in Forschung und Lehre die Bezüge erheblich aufzustocken, vielleicht sogar zu vervielfachen. Wer z.B. bei der DFG die Finanzierung eines Forschungsprojekts durchsetzt, erhält in dem Umfang, in dem er
a) Personalverantwortung übernimmt,
b) Nachwuchs ausbildet,
c) das beantragte Projekt erfolgreich abschließt
für die Projektdauer befristet zusätzliche bedeutende Gehaltskomponenten, evtl. auch Prämien für positive Begutachtungen. Das gleiche gilt für die Hochschul-Lehrer bei die Betreuung der Studierenden: die Zahl, aber besonders die Qualität der Abschlüsse ihrer Zöglinge muss sich in Gehaltsverbesserungen niederschlagen. Ebenso soll, wie in der gegenwärtigen Debatte immer wieder gefordert, das Engagement in der akademischen Selbstverwaltung honoriert werden. Wer als Wissenschaftsmanager an innovativen Lehrkonzepten arbeitet, Prüfungsordnungen entrümpelt und auf diese Weise zur Akzeptanz der Fakultät bei den Studierenden in Europa beiträgt, sollte dies an seinem Gehalt zu spüren bekommen [24]. Die leistungsorientierte Besoldung wird von der HRG-Novelle zwar gewollt, jedoch nicht konsequent genug umgesetzt. Leistungsbezogene Gehaltskomponenten werden einführt, sei es als Einmalzahlung, als befristete oder unbefristete regelmäßige Zahlung, letztere wiederum mit oder ohne Zuwachsdynamik. Tendenziell leistungsmindernd wird sich auswirken, dass einmal erworbene Ansprüche auf unbefristete Zahlung nicht mehr entzogen werden können, auch wenn die Leistung längst nicht mehr "stimmt". Es besteht lediglich kein Anspruch auf Zuwachsdynamik [25]. Also: Kurz ranklotzen, lange ausspannen?
Da Konkurrenz das Geschäft belebt, sollten demnach die SpitzenwissenschaftlerInnen mit den künftigen Hochschul-LehrerInnen bzw. dem Mittelbau um drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte ringen. Im Erfolgsfall können sich akademische Spitzenlehrkräfte zur Realisierung ihrer Forschungsvorhaben befristet von Lehrverpflichtungen ganz oder teilweise freistellen lassen; der Wegfall der Gehaltskomponente aus der Lehre wird durch Forschungsgelder ersetzt. Auch vorübergehend arbeitslose KollegInnen müssten mit Aussicht auf Erfolg Anträge auf eigenständige Forschungsprojekte stellen können.
Die HRG-Novelle wird dagegen als Bestandsgarantie des verbeamteten Establishments dienen, dessen Fundament die Junior-Professur darstellt. Die Möglichkeit einer Beschäftigung nach der Habilitation wird bewusst radikal eingeschränkt, obwohl gerade aus drittmittel-finanzierten Projekten in den letzten beiden Dekaden die innovativsten Impulse ausgegangen sind.
Die Zukunft wird zeigen, ob die HRG-Novelle den Austausch zwischen Hochschule und freier Wirtschaft befördert oder behindert [26]. Denn die durch private Drittmittel Begünstigten stehen als Auftragsforscher für die universitären Aufgaben mit ihrer Arbeitskraft nur noch begrenzt zur Verfügung. Die Reduktion des Lehr- oder Selbstverwaltungsengagements müsste mit Abzug der entsprechenden staatlichen Gehaltskomponenten sanktioniert werden. Die eingesparten Mittel sind denjenigen zur Verfügung zu stellen, die die frei gewordenen Aufgaben übernehmen - allerdings trocknet die HRG-Novelle genau den "Mittelbau" aus, dessen Angehörige mit genügend Berufserfahrung die Lücken befristet schließen könnten.
Durchzuspielen wäre deshalb die Überlegung, dass hochqualifizierte WissenschaftlerInnen nach dem Prinzip der Vertragsfreiheit sowohl mit privaten Auftraggebern als auch der Universität Dienstverträge nach §§ 610-630 BGB abschließen, in denen sie - mit privater Haftung - beiden Seiten bestimmte Leistungen in Forschung, Lehre und Personalrekrutierung zusichern. Bei der Vertragsgestaltung werden allerdings Konflikte um die Festlegung der Zuständigkeiten von Ministerien, Universitäten und Fakultäten, um die Abgrenzung öffentlich finanzierter von privat finanzierter Arbeitskraft sowie um die Aufteilung möglicher Gewinne entstehen. Dennoch sollte der Gedanke weiter verfolgt werden, Spitzenkräften in Lehre und Forschung unternehmerische Freiheiten einzuräumen. Allerdings muss parallel ein Personal-Pool geschaffen werden, dessen Mitglieder ausgefallene Lehrverpflichtungen übernehmen.
Die Einwerbung staatlicher und privater Drittmittel, quantitativer und qualitativer Erfolg in der Lehre, schließlich das Engagement in der Selbstverwaltung sollen laut HRG die drei Säulen der Honorierung des Arbeitseinsatzes im Hochschulbereich werden. Weitere Vorschläge, wissenschaftliche Leistung zu honorieren, sieht der Verfasser als sehr problematisch an. Wird etwa auf die Zahl der Veröffentlichungen Bezug genommen, fallen einem unwillkürlich diejenigen KollegInnen ein, die seit Jahr und Tag immer das gleiche Thema in den verschiedensten Variationen unter die Leute bringen. Werden nur Veröffentlichungen in bestimmten Fachzeitschriften berücksichtigt, fallen durchaus innovative Beiträge in Tagungsberichten und Sammelbänden durch das Raster. Außerdem könnten es sich die privilegierten Zeitschriften bald erlauben, für den Abdruck Gebühren zu verlangen, sozusagen Maklerprovision für den Zugang zum akademischen Meinungsmarkt. Auch weil Zeitschriften "Schulzusammenhänge" widerspiegeln und von den Positionen der HerausgeberInnen inhaltlich bestimmt werden, können sie kein geeigneter Maßstab zur Leistungsbewertung sein. Und wie berücksichtigt man Internet-Publikationen? Schließlich züchtet man nur eine neue Bürokratie, die das alles kontrollieren und abrechnen soll.
Schon die Festlegung der HRG-Novelle auf Evaluationsbereiche - die Lehre soll intern, die Forschung extern evaluiert werden - wird eine "Bewertungsbürokratie" schaffen [27].
13. Noch einmal: Staatsfinanzen und Hochschulwesen
Der Staat kann sich ein relativ breites akademisches Lehrkräftepotential schaffen, das dann unbefristet eingestellt werden kann, wenn es sich der Leistungskontrolle unterwirft und die Bereitschaft zu räumlicher Mobilität zeigt. Die Grundbesoldung kann relativ spärlich ausfallen. Die erwähnten weiteren Gehaltskomponenten aus Lehre und Forschung/ Drittmitteleinwerbung sind konjunkturabhängig. Als Drittmittelgeber treten der Staat und die Privatwirtschaft als mehr oder weniger solvente Kunden auf, die wissenschaftliche Dienstleistungen je nach disponiblen Mitteln einkaufen. Werden durch Drittmittel finanzierte Projekte aufgrund von Sparzwängen gekippt, bedeutet dies zwar für die Hochschul-LehrerInnen, die sich in der Spitzenforschung zu positionieren gedenken, einen beruflichen und finanziellen Rückschlag. Sie genießen aber als funktionale Elite einen sozialen Minimalschutz, der einen vernünftigen Kompromiss zwischen der partiellen Überversorgung universitärer Spitzenbeamter und der völlig unbefriedigenden Situation des heutigen "Mittelbaus" darstellen könnte.
14. Hochschulbedienstete und ihre Interessenvertretung
Die Wissenschaftsfreiheit als Grundrecht (Art. 5 GG) findet in anderen Grundrechten ihre Grenze. Hierzu gehört auch das Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. 9 GG). Dementsprechend hat das wissenschaftlichen Personal das Recht auf organisierte Interessenvertretung. Die HRG-Novelle dürfte das Gewicht zwischen den einzelnen Fraktionen (z.B. Beamtenbund, ver.di) nicht wesentlich verändern, es sei denn, Hochschulpersonal wird künftig - wie vom Verfasser vorgeschlagen - im Angestelltenverhältnis eingestellt. Am mächtigsten wird die Selbstorganisation der Erfolgreichen in Forschung und Lehre sein, die auch in lukrativen privatrechtlichen (dienstvertraglichen) Beziehungen zu Hochschule und Privatwirtschaft stehen.
Die nichtselbständig beschäftigen akademischen Forschungs- und Lehrkräfte stehen wie andere ArbeitnehmerInnen grundsätzlich unter dem Risiko betriebs- und personenbedingter Kündigungen, wofür ihnen die übliche Interessenvertretung nach den Prinzipien der Koalitionsfreiheit und des Betriebsverfassungsgesetzes zusteht. Gerade in einer dynamisierten Wissenschaftswelt mit Konkurrenz zwischen den Hochschulen besteht Bedarf an Betriebsvereinbarungen. Das Personal wird im vorgeschlagenen Modell Mitverantwortung übernehmen müssen, eigene Bestandsschutzinteressen gegen die Erfordernisse eines dynamischen Marktes der Wissenschaften abzuwägen. Denn nachlassende Leistungen in der Lehre würden, wie erwähnt, letztlich durch Einnahmeausfälle sanktioniert, die zu Lasten der Beschäftigten gehen.
Es ist zu bezweifeln, dass dies noch im Rahmen eines Bundes-Angestellten-Tarifvertrags (BAT) lösbar sein wird. Ein Vertragswerk kann heute kaum mehr den unterschiedlichen Arbeitswelten von Krankenschwestern, Verwaltungsangestellten, Feuerwehrleuten und ForscherInnen gleichermaßen gerecht werden. Der letztlich erfolglose Kampf der Gewerkschaften gegen die Befristungsregelungen des HRG von 1985 müsste Lehre genug sein. Eine Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen wie der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di wird branchenspezifische Strategien entwickeln müssen, um die heterogene Basis zu erreichen. Auch ein völlig separater Hochschulmanteltarifvertrag oder Haus-Tarifverträge dürfen kein Tabu darstellen. Warum sollen sich die verschiedenen Hochschulen rechtlich völlig einheitlich entwickeln? Jede Hochschule wird entscheiden müssen, mit welchen Methoden sie sich im Markt der Wissenschaften behaupten will, dies aber unter weitreichender Mitsprache ihres Personals, das den Erfolg der "eigenen" Universität direkt beeinflusst und deshalb auch davon profitieren soll.
15. Private Universitäten
Von renommierten Unternehmen wird regelmäßig geklagt, dass die HochschulabsolventInnen den weltweiten Spitzenstandards nicht mehr im notwendigen Maß gerecht würden. Andererseits zahlen sie immer weniger Körperschaftssteuern; ihr privater Beitrag zur öffentlichen Bildung bleibt weit hinter den Möglichkeiten zurück. So werden private Hochschulen gefordert, jedoch mehr gefordert als gefördert und letztlich nur eingerichtet, wenn der Staat dann doch einen Großteil der Kosten trägt. Grundsätzlich können private Hochschulen Positives leisten. Sie bieten die Möglichkeit zu Experimenten mit neuen, marktnahen Angeboten und Inhalten, Methoden und Personalstrukturen. Von daher ist zunächst zu fragen, ob und ggf. inwieweit sie überhaupt der Geltung des HRG unterworfen sein müssen.
Weiter ist ein Allheilmittel gegen die Defizite des Bildungssystems damit auch nicht gewonnen. Die oft happigen Studiengebühren lassen Privatuniversitäten zumindest tendenziell zu Selbstrekrutierungszentren der Finanzeliten gerinnen - der elterliche Dispokredit ist eine ebenso wichtigere Zugangsvoraussetzung wie die fundierte Kenntnis in Fremdsprachen und Mathematik, sofern diese per Aufnahmeprüfung nachgewiesen werden muss. Da die gegenwärtigen Privatuniversitäten zu großen Teilen von staatlichen Finanzhilfen abhängig sind, ist zu fragen, ob hier nicht der Staat eine Klientel fördert, die bereits jetzt mit privilegierten Startbedingungen in den akademischen Bereich ausgestattet ist, und zwar mit Geld, das dem staatlichen Bildungssektor sonst an allen Ecken fehlt. In sozialpolitischer Hinsicht wäre es zumindest wünschenswert, jede private Hochschule zur Aufnahme eines Kontingents begabter Studierender zu verpflichten, die von Studiengebühren befreit sind. Oder ein Stiftungswesen wäre zu etablieren, das Studiengebühren durch Stipendien ausgleicht [28].
Private Universitäten machen letztlich nur Sinn, wenn dafür in nennenswertem Umfang zusätzliche Bildungsmittel aus Industrie und privatem tertiärem Sektor aquiriert werden können, für die die Geldgeber im Gegenzug bestens ausgebildete Kräfte für die Realisierung der Unternehmensziele beanspruchen können. Ferner muss der angesprochene experimentelle Charakter dieser Einrichtungen gewährleistet sein. Andernfalls dienen sie lediglich als staatliches Alibi, um die schweren Versäumnisse in der Bildungspolitik zu kaschieren.
16. Ist die HRG-Novelle frauenfeindlich?
Das Bundesforschungsministerium verneint diese Frage v.a. aus zwei Gründen. Erstens werden nach §§ 50 Abs. 3 (für BeamtInnen) bzw. 57b Abs. 4 (für Angestellte) HRG Kindererziehungs- und Pflegezeiten nicht auf die Maximallaufzeit der Qualifikationsphase von 12 Jahren angerechnet. Eine Verlängerung um maximal weitere vier Jahre ist möglich, wenn der Beschäftigungsumfang zwecks Kindererziehung um mehr als 20 Prozent verringert wird. Zweitens ermöglicht die Lockerung des Hausberufungsverbots wenigstens theoretisch die unbefristete Arbeitsaufnahme nach der Junior-Professur an der gleichen Universität, was der Familie in einigen Fällen den Umzug ersparen dürfte.
Hier gilt es einmal mehr, das Gesetz genau zu lesen. § 57b Abs. 2 HRG bestimmt, dass nun alle Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse über 25 Prozent eines vollen Deputats voll auf die 12jährige Qualifikationsfrist angerechnet werden müssen. Und in § 57b Abs. 4 HRG heißt es weiter: "Die jeweilige Dauer eines befristeten Arbeitsvertrages nach Abs. 1 verlängert sich im Einverständnis mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter um 1. [erstens] Zeiten einer Beurlaubung oder einer Ermäßigung der Arbeitszeit um mindestens ein Fünftel der regelmäßigen Arbeitszeit, die für die Betreuung und Pflege eines Kindes unter 18 Jahren oder eines pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen gewährt worden sind ...".
Entsprechendes gilt für Erziehungszeiten nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz oder Arbeitsverbotszeiten wegen Mutterschutzes (§ 57b Abs. 4 S. 3 HRG). Insgesamt kann die 12jährige Qualifikationsphase um bis zu vier Jahre Pflegezeit aufgestockt werden.
In § 57 HRG ist aber NICHT ausdrücklich vermerkt, was MitarbeiterInnen zu erwarten haben, die von vorneherein teilzeitbeschäftigt eingestellt wurden. Müssen sie bei Kindersegen ihr kärgliches Deputat von beispielsweise 50 % nochmals um 20 Prozent reduzieren, um in den Genuss einer verlängerten Qualifikationsphase zu kommen, und fallen so der Sozialhilfe anheim? Oder dürfen sie dann den Fristvorteil "automatisch", ohne weitere Reduktion, in Anspruch nehmen? Vielleicht dürfen sie gar - sofern die Gelegenheit vorhanden ist - auf 80 % eines vollen Deputats erhöhen, und genießen gleichwohl den vollen Firstvorteil? Um Scherereien mit den Verwaltungen aus dem Weg zu gehen, dürfte den Teilzeitbeschäftigten im Korsett der 12-Jahres-Frist die Doppelbelastung durch Famlie und curriculum academicum in aller Härte erhalten bleiben, d.h. sie werden weiter für halbes Geld volle Arbeit leisten müssen. Unproblematisch ist das Gesetz also für vollzeitbeschäftigte Männer (die man am ehesten in den Ingenieur- und Naturwissenschaften findet), die sich auf zwei Jahre der Kindererziehung widmen wollen.
Nun bemüht sich die Bildungspolitik seit Jahren - besonders unter Edelgard Bulmahn - um Frauenförderung, denn unter den Diplom- und gleichwertigen Abschlüssen betrug der Frauenanteil 1999 noch 43,5 %, bei den Promotionen noch 33,4 %, bei den Habilitationen nur noch 17,7 %. Unter den Ordinarien befanden sich nur noch 9,8 % Frauen. Differenziert man nach Disziplinen, dann stellt man fest, dass Frauen gerade in den Kultur- und Sozialwissenschaften noch am besten vertreten sind. Aber gerade dort wird die HRG-Novelle aufgrund der arbeitsrechtlichen Teilzeit-Kultur die Situation der Frauen mit Pflegeverpflichtungen womöglich gar nicht verbessern.
17. Internationaler Austausch
Der notwendige wissenschaftliche Austausch mit dem Ausland wurde bisher v.a. über Stipendien und Gastprofessuren gewährleistet. Sprachschwierigkeiten und die fehlende Kompetenz zur Abnahme von Prüfungen gefährden den wissenschaftlichen Ertrag insbesondere hinsichtlich der Lehre. Das Hochschulrahmengesetz sollte die internationale Verflechtung von Forschung und Lehre also institutionell absichern und gleichzeitig den Ländern, wenn nicht den Universitäten oder gar Fakultäten, breiten Gestaltungsspielraum bei der Integration ausländischer Lehrangebote einräumen.
Nach dem Reziprozitätsprinzip sollte ausländischen WissenschaftlerInnen ferner die Möglichkeit geboten bzw. wesentlich erleichtert werden, gemeinsam mit deutschen KollegInnen Projekte zu beantragen. Vielleicht könnte auf EU-Ebene eine Institution ähnlich der DFG eingerichtet werden, die ausschließlich international besetzte Vorhaben fördert.
18. Schluss
Das Hochschulrahmengesetz hat Problemlagen Rechnung zu tragen, die von Fach zu Fach völlig unterschiedliches Gewicht haben: den Erfordernissen einer guten Ausbildung, einer international konkurrenzfähigen Forschung, den Wirrnissen des akademischen und außerakademischen Arbeitsmarkts sowie den akademischen Außenbeziehungen zur Gesellschaft. Es ist sehr fraglich, ob ein einziges Rahmengesetz, das für Maschinenbau und Germanistik, für Jura, Biochemie, Informatik und Volkskunde gilt, in jeder dieser Disziplinen in der von den Betroffenen oder auch vom Gesetzgeber gewünschten Weise wirken kann. Die Systemintegration der einzelnen Disziplinen in die sie umgebende Gesellschaft ist derart unterschiedlich - man denke nur an die völlig verschiedenen Strukturen des Arbeitsmarkts bzw. der Nachfrage nach akademischen Kompetenzen oder an die unterschiedlich hohen Zahlen der Studierenden -, dass die vorgesehenen Regelungen vermutlich nicht ausreichen werden, die unterschiedlichen Probleme zu meistern.
Was die Juniorprofessur betrifft, wird nur ein riskantes Laufbahnmodell durch ein anderes ersetzt. Der akademische Arbeitsmarkt, in den einen Fächern durch einen Mangel, in den anderen durch einen Überschuss an geeigneten WissenschaftlerInnen gekennzeichnet, wird dadurch nicht grundlegend neu strukturiert bzw. entlastet, es sei denn auf Kosten der derzeit aktivsten ForscherInnen mittleren Alters. Die Junior-Professuren werden schließlich die Probleme des komplizierten Arbeitsmarkts nur auf Kosten einer Zerschlagung des Drittmittelbereichs lösen. Gerade diejenigen, die ihre Projekte erfolgreich begutachten ließen und über Lehr- und Forschungserfahrung verfügen, werden arbeitsrechtlich aussortiert und bei der Bewerbung um eine ordentliche Professur gegenüber den Junior-ProfessorInnen laufbahnrechtlich diskriminiert. Insbesondere in den Kulturwissenschaften, wo der Staat ein Quasi-Monopol auf ausbildungsnah ausgerichtete Stellen innehat und auf befristeten Drittmittelstellen forschen lässt, aber den Übertritt in andere staatliche Sektoren durch andere Laufbahnmerkmale bzw. Zugangsschranken behindert, werden sich die schlimmen Zustände bestenfalls nicht verbessern. Eine überzeugende Entlastung des akademischen Arbeitsmarktes kann also erst dann greifen, wenn auch die sogenannten "Orchideenfächer" Quervernetzungen zu außeruniversitären Einrichtungen entwickelt haben.
Hierin ist die Novelle kaum kreativ. Auf der Ebene der ProfessorInnen wird die Frage des Quereinstiegs, der alternativen Laufbahnmuster zu zögerlich angegangen. Das starre Zeitkorsett zwischen Diplom und Habilitation wird die Betroffenen gar davon abhalten, sich parallel zur Hochschultätigkeit in anderen Bereichen zu versuchen. Es wird eine Sysiphus-Arbeit sein, den für das Gesetz verantwortlichen Laufbahn-Bürokraten nachzuweisen, dass der Wissenschafts- und Bildungssektor durch neue Laufbahnregularien eher geknebelt als reformiert wird. Vielleicht bestet die Intention des Gesetzes auch tatsächlich nur darin, durch ein bewusst herbeigeführtes Gesetzes-, Jurisdiktions- und Verwaltungschaos eine ganze Generation von WissenschaftlerInnen abzuwickeln.
Zu diesem Chaos einige abschließende Gedanken eines Nicht-Juristen:
Bislang wurde fast ausschließlich darüber diskutiert, dass sich kaum eine Hochschulverwaltung auf die erneute befristete Beschäftigung eines Projektbearbeiters nach Teilzeit- und Befristetenbeschäftigtengesetz einlässt, da sie Entfristungsklagen zu fürchten hat, und dass Neuanstellungen habilitierter ForscherInnen mit Hinweis auf die 12jährige Höchstbeschäftigungsdauer abgelehnt werden. Es stehen aber noch weitere Fragen an.
Manche Bundesländer verschleppen bewusst die Umsetzung der Novelle in Landesrecht [29]. § 72 Abs. 1 der HRG-Novelle bestimmt lediglich, dass die Länder innerhalb von drei Jahren nach Ausfertigung, d.h. bis Mitte Februar 2005, die Bestimmungen zur Juniorprofessur in Verbindung mit der Abschaffung der Habilitation bis 2010 in Landesrecht umsetzen müssen. Das heißt wohl, dass alle anderen gesetzlichen Vorschriften seit Inkrafttreten direkt und bundesweit gelten bzw. gelten sollen. Solange allerdings die Landesministerien keine Ausführungsbestimmungen erlassen haben, werden sich die Hochschulverwaltungen zum Schaden der Wissenschaft hüten, durch selbständige Entscheidungen Präzedenzfälle zu schaffen.
Weiter sehen manche Länder ihre Kultushoheit durch das Gesetz unzulässig beschnitten und drohen mit Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Somit ist beispielsweise auch über den künftigen Wert der Habilitation als Laufbahnmerkmal noch nicht entschieden. Ausstehende Verwaltungsvorschriften und anstehende Prozesse werden über Jahre hinweg die Hochschulverwaltungen verunsichern und zahlreiche Projekte insbesondere im Drittmittelbereich belasten.
Angehörige des derzeitigen "Mittelbaus", die juristische Konflikte nicht scheuen, brauchen das Schicksal des Historikers Constantin Goschler (siehe Abschnitt 10) nicht unbedingt zu teilen. Falls der Gesetzgeber nicht selbst, wie vom Deutschen Hochschulverband gefordert, durch einen "Vertrauensschutz" für den wissenschaftlichen Nachwuchs nachbessert [30], wäre die grundsätzliche Frage zu prüfen, ob und inwieweit die Novelle überhaupt zum Nachteil der Betroffenen angewandt werden darf. Eine wichtige juristische Frage lautet, ob im gegebenen Fall eine "echte Rückwirkung" oder eine "unechte" (schwächere, scheinbare u.s.w.) Rückwirkung des Gesetztes vorliegt. Würde die nachträgliche gesetzliche Diskriminierung absolvierter Laufbahnmuster, insbesondere der sogenannten "Drittmittel-Karrieren" von der Rechtsprechung als "echte", direkte Rückwirkung interpretiert, wäre sie unzulässig. Denn rückwirkende Gesetze sind wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG unzulässig, "wenn die zeitliche Grenzlinie zwischen den Sachverhalten, die von der Rückwirkung erfaßt werden und denen, die nicht erfaßt werden" willkürlich gezogen ist [31]. Wahrscheinlich ist die 12-Jahres-Befristung als willkürlich anfechtbar. Man könnte argumentieren, dass die Diskriminierung der unter anderen Voraussetzungen begonnenen wissenschaftlichen Laufbahn bzw. einiger Abschnitte daraus den Grundsätzen von Treu und Glauben, der Rechtssicherheit und/oder der Billigkeit widerspricht [32]. "Unvorhersehbare, zurückwirkende Gesetze" sind allerdings zulässig, wenn der Weiterentwicklung höherer grundgesetzlich geschützter Rechtsgütern "auch im konkreten Einzelfall eine höhere Wertigkeit zukommt, als der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung" [33]. D.h., es prallen übergeordnete Staatsziele, konkret die Pflege der Wissenschaften, gegen individuelle Freiheitsrechte. Für die Betroffenen dürfte es aber zumindest im Falle positiv begutachteter Forschungsprojekte ein leichtes sein nachzuweisen, dass hier wissenschaftlicher Fortschritt nicht gepflegt, sondern zerschlagen wird.
Was echte und was unechte Rückwirkung sei, war und ist unter JuristInnen allerdings derart umstritten, dass ins Bürgerliche Gesetzbuch keine Begriffsbestimmung aufgenommen wurde. Einer Ansicht zufolge "liegt echte Rückwirkung eines Gesetzes [...] dann vor, wenn ein Gesetz Rechtsfolgen an einen Tatbestand (bzw. Tatbestände) knüpft, der (bzw. die) vollständig in der Vergangenheit liegt (bzw. liegen)". Diese Definition hat immerhin die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab 1960 hinter sich [34]. Somit könnte es aussichtsreich sein, dass Betroffene auf Nichtberücksichtigung beruflicher Stationen bei Anrechnung auf die Zwölfjahresfrist, vielleicht sogar auf Nichtanwendbarkeit der Novelle insgesamt auf ihren "Fall" klagen.
Über die korrekte oder unkorrekte Anwendung von Gesetzen entscheiden die Verwaltungsgerichte. Beste Aussichten dürften bestehen, wenn die Verwaltungen wie wohl im "Fall Goschler" die Ablehnung der Einstellung mit einem Gesetz begründen, das zum Zeitpuntk der Ablehnung noch nicht in Kraft war. Das Verwaltungsgericht dürfte auch zuständig sein, wenn ein habilitierter Oberassistent als Beamter auf Zeit beispielsweise ein bewilligtes eigenes Forschungsprojekt im Angestelltenverhältnis durchführen will, die Verwaltung sich aber mit Hinweis auf die 12-Jahres-Frist querstellt. Bei Klage auf Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses als wissenschaftlicher Angestellter sind in der Regel die Arbeitsgerichte zuständig sein. Falls schließlich Betroffene wegen Verdienstausfalls, entgangenen Gewinns u.s.w. klagen sollten, wären möglicherweise die Zivilgerichte zuständig. Vom Anlass und der Formulierung der Klage hängt die Zuständigkeit der Gerichte ab. Diese kann nur von versierten JuristInnen geprüft werden. Glücklich, wer über soliden Berufsrechtsschutz verfügt.
19. Nachbemerkung
Aufgrund der gebotenen Kürze müssen viele Aspekte unberücksichtigt bleiben. Bestenfalls angedeutet werden konnten die Auswirkungen auf die Hochschulverfassung. Auf den Prüfstand müsste auch die Kompetenzverteilung zwischen Rektoraten und Fakultäten und selbständig wirtschaftenden Einheiten (z.B. Kliniken). Schließlich liegen dem Verfasser noch keine genaueren Informationen darüber vor, ob die durch Politik und Wirtschaft forcierte Europäisierung von Wissenschaften und Gesellschaft in der HRG-Novelle ausreichend berücksichtigt ist. Es wird vermutlich nicht einfacher werden, ausländische Spitzenkräfte in die deutschen Laufbahnschemata zu integrieren. Umgekehrt ist absehbar, dass nach der Novelle die erfolgreichsten Nachwuchskräfte Deutschland den Rücken kehren werden.
Anschrift des Autors:
Dr. Martin Zürn, c/o Prof. Dr. Mark Häberlein,
Historisches Seminar,
Werthmanplatz KG IV,
79085 Freiburg i.Br.
Anmerkungen
[1] Pressemitteilung durch
[2] Die Thesen basieren v.a. auf der Lektüre amtlicher Verlautbarungen, von Zeitungsartikeln und Internet-Publikationen. Die rechtliche Problematik erhellt sich auch aus: Wolfgang Zimmermann, Befristete Arbeitsverhältnisse an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei Drittmittelfinanzierung. Jur. Diss. Freiburg i.Br., Bonn: Deutscher Hochschulverband 2001 (Wissenschaftspolitik und Wissenschaftsrecht, Bd. 1). Einschlägig ferner NN Dietrich/ Ulrich Preis, Befristete Arbeitsverhältnisse in Wissenschaft und Forschung - Konzept einer Neuregelung im HRG, Köln 2001.
[3] Gutachten des Konstanzer Juristen Prof. Dr. Kay Hailbronner gegen die zentrale Studienplatzvergabe, zitiert in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 3.12.2001, S. 4. Dort auch die Empfehlung, den Hochschulen weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten der Aufnahmebedingungen einzuräumen.
[4] Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 8.10.2001, S. 15.
[5] Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 21.1.2002, S. 6.
[6] So nochmals Wolfgang Jäger, in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 21.1.2002, S. 6.
[7] Dieser Problembereich erscheint z.B. im Interview mit dem Professor für Anglistik Uwe Baumann, Bonn: Frage: "Sollte man also mittelenglische Lektürekurse abschaffen? - Antwort: Es geht darum, erworbene Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, in Print- oder sonstigen Medien, als Bildungsmittler. Da ist es besser, etwas über Intermedialität zu wissen, als im Detail die Tragödienkonzeption von Geoffrey Chaucer, wie sie sich in der ‚Monk's Tale' darstellt, zu kennen. Andererseits können auch mittelenglische Lektürekurse ein hohes Maß an transferierbarem methodischem und theoretischem Wissen bereitstellen. Zum Beispiel wichtige Stationen kultureller Erinnerung". Zitat in: TAZ, 20./21.10.2001, Beilage kurz & gut, S. III.
[8] Vgl. die Bundesratsinitiative zur Reform der JuristInnenausbildung (Drucksache 671/01), dazu: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 15.10.2001, S. 15.
[9] Artikel "Existenzgründung auf dem Stundenplan", in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 10.09.2001, S. 17. Dort der Verweis auf die Homepage: http://www.gruenderkontakte.net. Zum Bedarf an der Ausbildung unternehmerischer Kompetenzen siehe auch: "Von 78 Universitäten nur fünf gut?", in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 3.9.2001, S. 12.
[10] Vgl. Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg, Peter Frankenberg, in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 26.11.2001, Nr. 46, S. 5.
[11] Zur Finanzierungsproblematik der Junior-Professuren sowie zur ungesicherten Zukunft im Wissenschaftsbetrieb siehe z.B.: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 15.10.2001, Nr. 40, S. 1.
[12] Frankenberg (wie Anm. 10) spricht gar von einem "faktischen Verbot" der Habilitation, zitiert nach: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 15.10.2001, Nr. 40, S. 1.
[13] Zeiten als studentische (ungeprüfte) wissenschaftliche Hilfskraft (maximal möglich: vier Jahre) werden ausdrücklich nicht angerechnet; dort gilt nach § 57e HRG-Novelle eine separate Befristungshöchstgrenze von vier Jahren.
[14] Ulrich Herbert, Die Posse. An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft, in: Süddeutsche Zeitung vom 09.01.2002; verbreitet auch über h-soz-kult, www.historicum.net u.a.
[15] Art. "Wütende Wissenschaft", in: TAZ, 15.02.2002, S. 7; dagegen der zutreffende Kommentar, die Betroffenen würden arbeitsrechtlich zu "habilitierte[n] Versuchskaninchen". Ebenda, S. 12.
[16] Bundesministerium für Bildung und Forschung, Hochschuldienstrechtsreform - Antworten auf häufig gestellte Fragen. Berlin 21.12.2001; zur Junior-Professur als Regellaufbahn Frage bzw. Abschnitt 5, zu möglichem Laufbahnknick und tenure track Abschnitte 19-20, in: http://www.bmbf.de.
[17] Vortrag Prof. Dr. Ulrich Preis, Universität zu Köln 14.1.2002, in: http://www.uni-koeln.de/jur-fak/instsozr/aktuell/hrg.htm, mit deutlich apologetischer Grundtendenz zur HRG-Novelle. Ausführlich Dietrich/ Preis (wie Anm. 2).
[18] Aktuell arbeiten an den staatlichen Arbeitsämtern 90 % der Beschäftigten in der Leistungsverwaltung; nur 10 % sind aktive Job-Vermittler.
[19] "Juniorprofessoren werden ihre Dienstverpflichtungen in der Lehre in etwa dem Umfang der Lehrverpflichtungen heutiger wissenschaftlicher Assistenten wahrnehmen, die jedoch im Laufe der Juniorprofessur anwachsend gestaltet werden können. Den genauen Umfang des Lehrdeputats regeln die Länder in ihren Lehrverpflichtungsverordnungen". Siehe Hochschuldienstrechtsreform ... (wie Anm. 16), Abschnitt 23.
[20] Beispielsweise gaben von 3.800 (von 45.000) befragten Studierenden der Universität Münster 22 % an, dass "psychische Schwierigkeiten ihre Ausbildung beeinträchtigen". Untersuchungen der Studentenwerke weisen in die gleiche Richtung. Qualifizierte Lehrkräfte müssten in der Lage sein, auf entsprechende Befindlichkeiten angemessen zu reagieren. Siehe Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 10.12.2001, Zit. S. 14.
[21] So wies die Dortmunder Sozialfoschungsstelle im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gravierende Kompetenzdefizite bei Lehrenden und Studierenden nach, was die effektive Nutzung des Internet angeht . Die Lehrenden selbst hielten sich dagegen in dieser Materie für "fit". Eine Zugangsbarriere besteht allerdings nicht nur in der wenig effektive Methode des "learning by doing", sondern auch in den Kosten bei der Nutzung professioneller Datenbanken. Siehe Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 29.10.2001, S. 15.
[22] Zimmermann 2001 (wie Anm. 2), S. 6, zur Verfassungsmäßigkeit ebenda, S. 43-50, zur Kontroverse S. 51-58.
[23] Die Dissertation von Zimmermann 2001 (wie Anm. 2), die vorrangig dem Nachweis gewidmet ist, warum die arbeitsrechtliche Situation des sogenannten "Mittelbaus" infolge Art. 5 Abs. 1 GG (Freiheit der Wissenschaften) so schlecht sein darf, wie sie ist, kann in diesem Punkt auch als - kursiv gesetzte - schallende Ohrfeige für das beamtenrechtlich fundierte Ordinarienwesen gelesen werden: " Die Innovationskraft der Wissenschaft ist in hohem Maße von personellen Voraussetzungen abhängig. Dem sich stetig verändernden Forschungsbedarf ist durch erhöhte Fluktuation Rechnung zu tragen [Kursive Ende]. Veränderte Ziele werden grundsätzlich mit anderen Wissenschaftlern verfolgt. Junge Wissenschaftler sind in ihrer schöpferischen Phantasie angeregter und weniger als ältere Wissenschaftler in ihrem Denken eingeengt. Junge, freie und unkonventionelle Wissenschaftler werden in der Forschung immer wieder von neuem gebraucht. Die schöpferische Tätigkeit unterliegt mit zunehmender Routine einem Abnutzungsprozess" (S. 65). An anderer Stelle schließt er sich aber der Expertenkommission vom 07.04.2000 an, die aus "pragmatischen Gründen" die Beibehaltung des Beamtenstatus für Ordinarien empfiehlt (S. 96 mit Anm. 420). Die Besetzung von Professuren im Angestelltenverhältnis stellt derzeit die absolute Ausnahme dar, ist aber grundsätzlich zulässig (S. 158).
[24] Marktorientierte Gehaltskomponenten entschärfen auch das Problem, dass Universitätsgremien über die Gehälter der eigenen Angehörigen entscheiden müssen. Vgl. die Kritik an der HRG-Novelle in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 15.10.2001, S. 1.
[25] Hochschuldienstrechtsreform ... (wie Anm. 16), Abschnitt 44.
[26] Frankenberg (wie Anm. 10) beklagt die bisherige Vernachlässigung des Austauschs zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Während Ingineurwissenschaften, Architektur und Medizin in diesem Austausch führend sind, fehlt es an entsprechenden Beziehungen in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung und den Geisteswissenschaften, nicht zuletzt aufgrund von Befürchtungen der WissenschaftlerInnen, künftig unternehmerischer Haushalts- und Personalplanung zu unterliegen. Vgl. Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 26.11.2001, S. 5.
[27] Die Befürworter im verantwortlichen Bundesministerium gehen mit dünnen Argumenten darüber hinweg. Siehe Hochschuldienstrechtsreform ... (wie Anm. 16), Abschnitt 45.
[28] Die International University Bremen, nach amerikanischen Vorbildern 2001 eröffnet, will mit den Worten von Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt eine "Elite der Leistung" bzw. "der Verantwortung" ausbilden. Voraussetzung des Studiums sind international anerkannte Leistungstests. Bei Studiengebühren von 15.000 Euro pro Jahr werden Begabte durch Darlehen und Stipendien gefördert. Von Gewerkschaftsseite wird kritisiert, dass das hoch verschuldete Bundesland diese Institution mit 117,6 Millionen Euro Startgeld versehen hat. Siehe Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 12.11.2001, S. 18; homepage: http://www.iu-bremen.de.
[29] Frankenberg (wie Anm. 10) spricht ungeniert davon, dass Baden-Württemberg bis 2004 mit der Umsetzung der Novelle in Landesrecht "warten" soll. Gleichzeitig sollen aber die Universitäten im Vorgriff auf das Inkrafttreten Junior-Professuren einrichten (Staatsanzeiger für Baden-Württemberg, 11.2.2002, S. 6). Somit werden die (vermeintlichen) Rosinen der Novelle herausgepickt; die anderen Bereiche bleiben in einem diffusen Rechtszustand.
[30] So die Forderung des Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes, Prof. Dr. Hartmut Schiedermair, die HRG-Novelle schleunigst zu "reparieren". Pressemitteilung des Deutschen Hochschulverbandes Nr. 1/2002, 25.01.2002, Zitat nach: www.hochschulverband.de.
[31] Wolfgang Niehues, Die Zulässigkeit der Rückwirkung von Gesetzen nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Jur. Diss. Universität Münster 1973, S. 140.
[32] Zur Rückwirkung belastender Gesetze als Verstoß gegen Treu und Glauben siehe Niehues 1973 (wie Anm. 31), S. 81, 84.
[33] Niehues 1973 (wie Anm. 31), S. 140.
[34] Niehues 1973 (wie Anm. 31), S. 48f. mit Anm. 203, mit Verweis u.a. auf BVerfG vom 31.5.1960 - 28vL 4/59- (E)11/139-149; BVerfG vom 19.12.1961 -2 BvR 1/60- (E)13/274-278; BVerfG vom 11.10.1962 -1 BvL 22/57- (E)14/288-306. Niehuis bezeichnet selbst die zitierte Definition als "die richtige" (ebenda, S. 50).
Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>
From: Martin Zuern
<martinzuern@surfeu.de>
Subject: Hochschulreform
Date: 26.02.2002