Folgenden Leserbrief ist vor einigen Tagen als Leserbrief an eine Zeitung gegangen, die ihn jedoch bisher nicht abdruckte. So sei er hiermit Betroffenen & Interessenten zur Kenntnis gebracht.
Wiewohl dem Artikel zur beabsichtigten "Verschrottung" der Privatdozenten von Jürgen Kaube (10. 1.) weitgehend zuzustimmen ist, sei doch noch auf einen weiteren (aber auch schon bei Herbert fehlenden) Aspekt hingewiesen, der vielleicht nicht entscheidend ist, aber doch für die Zustände an den Universitäten und damit für die Weiterentwicklung der universitären Ausbildung zweifellos nicht ohne Bedeutung sein wird. Es geht um den Anteil der Privatdozenten an der Lehre. Diese arbeiten ja nicht nur auf Drittmittelgeldern in der Forschung. Wenn man sich nicht mit dem bloßen Titel "Dr. habil." zufrieden gibt, sondern in irgendeiner Weise im Wissenschaftssektor weiterarbeitet, ist ja mit der Verleihung der "venia legendi" die Verpflichtung zur Lehre verbunden. Diese Verpflichtung ist vom Verpflichteten üblicherweise gratis zu erbringen. Jedenfalls in Deutschland, in der Schweiz z. B. sieht das schon anders aus. Dort bekommen Privatdozenten für ihre Lehrtätigkeit eine Entschädigung. Denn aus ihrer (Forschungs-)Arbeitsstelle leitet sich diese Tätigkeit ja normalerweise nicht her. Sie wird nebenbei erbracht. Privatdozenten machen das bisher, weil der Nachweis von Lehre die praktisch unumgängliche Voraussetzung für eine (mögliche) feste Stelle ist, oder eben auch nur, weil die Privatdozentur natürlich sich besser macht bei der Einwerbung von Drittmitteln für ein Forschungsprojekt.
Die Hochschulministerien haben das bisher gerne mitgenommen, man könnte auch sagen, schamlos ausgenutzt, ohne irgendwelche Skrupeln vor der Förderung von "Drittmittelkarrieren". Dieses freiwillig-unfreiwillige Lehrangebot kostet nichts. Es hilft aber zweifellos, die eine oder andere Lücke zu stopfen oder liefert Ergänzungen zum Lehrangebot, für die man sonst vielleicht nicht einmal einen Lehrauftrag besetzen kann, da auch die üblichen Honorare dafür normalerweise nicht als "attraktiv" bezeichnet werden können. Und wie man so hört, ist bei Kapazitätsrechnungen oft genug dieses Lehrangebot großzügig eingeplant. Sollten Wissenschaftsministerien das leugnen, dann sollten sie genaue Zahlen über den Anteil an der Lehre vorlegen. Falls sie nicht dazu bereit sind, was sehr wahrscheinlich ist, dürfte das dieselbe Aussagekraft haben, wie seinerzeit das Verschweigen sowjetischer Planzahlungsziffern. Ob diese kostenlose Lehrverpflichtung juristisch überhaupt haltbar ist, hat bisher noch keiner überprüft, nicht zuletzt, weil Privatdozenten sich eine Art irdischen Gotteslohn ausrechnen konnten. Dabei erhalten sogar Gefängnisinsassen eine geringe Entlohnung. Und das Übereinkommen 105 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Abschaffung der Zwangsarbeit (geltendes Recht!) sieht ausdrücklich das "Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit (...) als Methode der Rekrutierung und Verwendung von Arbeitskräften für Zwecke der wirtschaftlichen Entwicklung" vor.
Vielleicht sollte man auch das wenigstens zur Kenntnis nehmen. Sollten Privatdozenten also das "freiwillige" Lehren einstellen? Oder sollten sie Honorare einklagen, da wohl jetzt alles egal ist? Vielleicht reichte es ja für das erste, wenn eine genügende Zahl sich einmal demonstrativ vorübergehend von der Lehrverpflichtung beurlauben lässt - unter Hinweis auf ihre beruflichen Aufgabe. Dann könnte man ja sehen, ob das von Seiten der Ministerien, oder auch der an Wissenschaftspolitik interessierten Öffentlichkeit, zur Kenntnis genommen wird.
Priv.-Doz. Dr. Reiner Tosstorff
Johannes Gutenberg-Universität Mainz