Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

Tassilo Schmitt: Unterm Talar steckt manchmal ein Barbar

Ulrich Preis zum neuen Hochschulrahmengesetz (www.dradio.de/cgi-bin/yabb/YaBB.cgi?board=campus)

In einem Interview, das Ulrich Preis, Professor in Köln und einer der Autoren des neuen Hochschulrahmengesetzes, dem Deutschlandfunk gegeben hat, beantwortet er als letztes die Gretchenfrage, um die sich die heftige Diskussion der letzten Wochen und Tage dreht - die Frage zu den im Gesetz vorgenommenen Befristungsregelungen: "Was ist denn, wenn mich die Hochschule nach den 12 Jahren nicht in eine unbefristete Stelle übernimmt?" Preis sagt: "Der erste Fall ist, man erreicht nach diesen 12 Jahren die Professur auf Lebenszeit. Zweite Möglichkeit - und das wird die Ausnahme sein: Die Hochschule sagt, dieser Mensch ist nicht qualifiziert, die Professur zu erlangen. Trotzdem wollen wir ihn unbefristet beschäftigen. Diese Möglichkeit gibt es auch. Die zweite Ausnahmemöglichkeit ist, wenn er an der Hochschule bleiben soll, dass es ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz gibt. Das ist natürlich irgendwann durch das Arbeitsrecht begrenzt. ... Diese Regelung gibt Freiheit und Klarheit." Preis hört nicht zu. Er gibt zunächst keine Antwort zu den Chancen derjenigen, die nicht gleich eine Professur erhalten. Vielmehr deklariert er eine lückenlose Karriere gegen alle Erfahrung zur Regel, bevor er "Ausnahmen" anspricht. Preis tut hier gewiß nicht seine eigene Privatansicht kund. Schon vorher hat er mit stolzem "wir" klargemacht, daß er hier für diejenigen spricht, denen die Konzeption des Gesetzes zu verdanken ist. Preis gibt preis, wie man im Bundesministerium denkt. Er macht deutlich, daß man den Normalfall in vielen akademischen Fächern nicht zur Kenntnis nehmen will, den Fall nämlich, daß der Übergang von einem befristeten in ein anderes Beschäftigungsverhältnis nicht nahtlos erfolgt. Daran wird auch die Einführung der Juniorprofessur nichts ändern. Da aber vorauszusetzen ist, daß man diesen Sachverhalt im Ministerium kennt, verrät die Antwort, daß man sich damit nicht beschäftigen will. Den Machern des Gesetzes sind die Realitäten an deutschen Universitäten und die Lebenswege der heutigen Nachwuchswissenschaftler egal!

Die Fortsetzung der Antwort enthüllt veritablen Unsinn: Die erste Ausnahme vom "Normalfall" ist durch die Entscheidung definiert, einen für die Professur nicht Qualifizierten trotzdem auf einer minderen Position unbefristet zu beschäftigen. Die mangelnde Eignung leitet sich offensichtlich allein aus der Tatsache ab, daß die Professur nicht unmittelbar erreicht wurde. Das Ministerium stellt sich Universitäten also als Professorenautomaten vor, die fertige Produkte oder Ausschuß produzieren; etwas I-B-Ware ist für weniger anspruchsvolle Stellen verwendbar. Mit Leben und Forschung hat diese versponnene Technokratenphantasie nichts zu tun. Wer sich so äußert, disqualifiziert sich für eine seriöse Debatte. Die zweite "Ausnahme", die Preis nennt, behandelt die, die weder sofort eine Professur erlangen, noch unbefristet eingestellt werden. Für sie gebe es die Möglichkeit befristeter Arbeitsverhältnisse nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Preis weiß, daß diese Chance nur für sehr wenige besteht. Wenn er verstohlen zugibt, daß dieser Weg "irgendwann" keine Fortsetzung finden könne, verschleiert er den wahren Sachverhalt: Praktisch niemand kann diesen Weg überhaupt auch nur antreten, weil sich die erforderlichen "sachlichen" Gründe nach einer Vorbeschäftigung von 12 Jahren, folgt man der bisherigen Praxis der Rechtsprechung, nur höchst selten finden lassen. Warum aber erwähnt Preis diese Rarität überhaupt? Offensichtlich sollen juristisch unbefangene Zuhörer nicht wissen, daß sie alle Hoffnung aufgeben müssen, auch ohne Professur länger als 12 Jahre wissenschaftlich tätig sein zu können. Sie sollen glauben, alles sei nicht so schlimm. Eine trügerische falsche Erwartung soll sie daran hindern, in die Auseinandersetzung um ihre und um die Zukunft der Universität einzutreten, bevor es zu spät ist. Preis' rhetorische Strategie ist das Gegenteil von Klarheit. Das gilt auch für den Teil seines Gesetzes, der für die Zeit nach Ablauf der ominösen 12 Jahre auf das allgemeine Arbeitsrecht verweist. Chancen stecken darin, wie gesagt, nur für sehr wenige. Diese Möglichkeiten sind überdies noch derart, daß sich ihre Umsetzung, wie man aus der Personalverwaltung hört, erst durch die Rechtsprechung "einmendeln" werde. Und wenn Jürgen Mlynek, der Präsident der Berliner Humboldt-Universität, durch die Erklärung, Zweifelsfälle selbst zu entscheiden, Hoffnung machen will, zeugt das von seinem eigenen Wohlwollen. Was er ankündigt, bleibt aber eine Praxis nach Gutsherrenart und ist als solche eine notwendige Folge der Unklarheiten der neuen Rechtslage.

Klar hingegen wäre es, für die Wissenschaft befristete Arbeitsverhältnisse generell zu erlauben. Dann wäre es auch nicht mehr nötig, wie nach der bisherigen Regelung aus bürokratischen Gründen die Einrichtung zu wechseln. Dort aufgenommen wurde man freilich schon immer nur mit einem als notwendig erwiesenen Forschungsprojekt. Und man wurde nicht "zum Schein" angestellt, wie Ministerin Edelgard Bulmahn ständig behauptet, sondern hat tatsächlich gearbeitet und wurde dafür bezahlt.

Unter Freiheit versteht Preis die Notwendigkeit für Hochqualifizierte, sich außerhalb der Universität eine berufliche Zukunft zu verschaffen. Dem Wettbewerb um Forschungsressourcen innerhalb der Universität (und in Forschungsinstituten!) dürfen sie sich nicht stellen. Wenn aber Wettbewerb eine wichtige Voraussetzung für Innovationen ist, beschneidet die Neuregelung mit der Einschränkung des Wettbewerbs die Chancen für Innovation. Können, sollen, dürfen wir uns das leisten? Wie viele der aktuell laufenden Forschungsprojekte und -einrichtungen müssen ruiniert sein, bis nicht nur die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich wehren? Die bürokratischen Befristungsregelungen müssen gestrichen werden, bevor sie die Forschung in unserem Land stranguliert haben.

Freiheit, wie sie Preis hier im Dienste seiner Ministerin beschreibt, ist das, was die Regierung für gut hält und als "sozial" deklariert. Daß die so "Begünstigten" das ganz anders sehen, interessiert nicht: Völker hört die Signale! Jeder Karneval geht einmal zu Ende. Man darf aber auch vor Aschermittwoch nicht darauf hereinfallen, wenn Barbaren im Talar des ruhig argumentieren Experten auftreten.

Tassilo Schmitt


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Cappel.Schmitt@t-online.de <Cappel.Schmitt@t-online.de >
Subject: Reaktion auf HRG-Diskussion
Date: 30.01.2002