Die DoktorandInnen am Graduiertenkolleg des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung zu: Johannes Willms, Mittelbau zum Zweck. Vom Leiden an der selbstverschuldeten Unmündigkeit. SZ vom 4. 2. 2002 (Nr. 29), S. 15

Johannes Willms kritisiert die Proteste gegen die geplante Beschränkung befristeter Verträge für Nachwuchswissenschaftler: Man könne nicht "allen Ernstes [behaupten], dass eine solche Fristsetzung der geisteswissenschaftlichen Forschung in diesem Lande einen kaum mehr wiedergutzumachenden Schaden zufüge".

Als Doktoranden an einem hauptsächlich über Drittmittelprojekte finanzierten Forschungsinstitut, die Karriereentscheidungen treffen müssen, sehen wir die Situation anders. Die Reform beruht auf guten Absichten; Willms übersieht ihre unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Die "sehr großzügig bemessene Frist" (Willms) ist äußerst knapp: Selbst für diejenigen, die eine Juniorprofessur ergattern, öffnet sich nur ein Zeitfenster von drei Jahren, in denen sie eine Vollprofessur finden müssen. Das mag lang erscheinen; doch die bundesweit innerhalb eines solchen Zeitraums verfügbaren Stellen lassen sich oft an einer Hand abzählen. Für manche Spezialisierungen ist es Glückssache, wenn überhaupt etwas frei wird. Wer kein Glück hat, der hat die Qualifikationsphase vergeblich durchlaufen. Auch die derzeit viel geschmähte "Projektkarriere", die für die Betroffenen eher einen willkommenen Notbehelf darstellt als ein abzuschaffendes Übel, ist nach der Reform nicht mehr möglich. Die zunächst individuelle Planungsunsicherheit, die so entsteht, hat kollektive Folgen, die dem Wissenschaftssystem Schaden zufügen werden. Das betrifft zum einen das Problem der Abwanderung: Gerade leistungsstarke Nachwuchswissenschaftler, die auch im Ausland gefragt sind, werden diese Möglichkeit, der neuen deutschen Risikokarriere zu entkommen, vermehrt wahrnehmen. Zum anderen droht, besonders bei Projektmitarbeitern, die innere Kündigung: Wer weiß, dass nach Vertragsende eine Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Laufbahn unmöglich sein wird - ganz gleich, wie gut seine Leistungen waren - der wird kaum noch das große Engagement aufbringen, das Projektforschung erfordert. Die Qualität der Forschung wird durch die Reform doppelt beeinträchtigt: durch Verstärkung des brain drain und Demotivierung der Mitarbeiter.
Es ist seit Jahren staatliche Politik, den Anteil drittmittelbasierter Forschung zu erhöhen; ohne qualifizierte und motivierte Mitarbeiter lässt sich diese innovative Form der Forschung aber auf Dauer nicht betreiben.

Die Doktoranden des Graduiertenkollegs am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung, Universität Bielefeld


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Daniela Saxer" <dsaxer@geschichte.uni-bielefeld.de>
Subject: Reaktionen auf HRG
Date: 08.02.2002