Es folgt im Auftrag des Dekans der Fakultät für Philosophie und Geschichte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen eine Resolution gegen die geplante Novellierung des HRG. Es wäre sicher sinnvoll, wenn sich auch andere Fakultäten, möglichst noch vor den bevorstehenden Semesterferien der Aktion anschließen würden. Fakultäten und Fachbereiche in Baden-Württemberg, die vor der vorlesungsfreien Zeit nicht mehr tagen, könnten gesammelte Unterschriften auf dem Postweg auch über das Dekanat der Fakultät für Philosophie und Geschichte, Tübingen, weiterleiten. Von dort ist per e-mail ein Vordruck für Unterschriften erhältlich.
Cornelia Rauh-Kühne
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der Fakultätsrat der Fakultät für Philosophie und Geschichte der Eberhard- Karls-Universität Tübingen hat in seiner Sitzung am Mittwoch, den 06.02.02 die beigefügte Resolution beraten und beschlossen. Die Lehrenden und Studierenden der Fakultät werden aufgefordert, durch ihre Unterschrift die Resolution zu unterstützen. Die Lehrveranstaltungen der kommenden, letzten Semesterwoche bieten dazu Gelegenheit.
Der Fakultätsrat der Fakultät für Philosophie und Geschichte würde sich sehr freuen, wenn Sie durch Ihre Unterschrift die Resolution unterstützen und sie unter Ihren Kolleginnen und Kollegen sowie den Studierenden bekanntmachen würden.
Die Resolution mit allen Unterschriften soll an den Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, den Wissenschaftsminister, den Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses des Landtags, die Mitglieder dieses Ausschusses sowie die Tübinger Bundestagsabgeordneten und Landtagsabgeordneten geschickt werden.
Mit besten Grüßen bin ich
Ihr Prof. Dr. Anton Schindling Dekanat der Fakultät für Philosphie und Geschichte Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Ex und Hopp: Neue Spiele der Wegwerf-Gesellschaft. Resolution zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes (HRG)
Ex und hopp
Vor ein paar Wochen appellierte Kanzler Schröder an die Wirtschaft, auch ältere Arbeitnehmer einzustellen. Jetzt ist der Staat auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung dabei, ohne Not auch jüngere "Arbeitnehmer", d. h. Nachwuchswissenschaftler auf (befristeten) Plan- oder sog. Drittmittelstellen, in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Es geht um jenen Nachwuchs, der trotz hoher Qualifikation nicht sofort nach der Promotion eine Professur ergattert. Mit den bisher nicht dementierten Worten eines höheren Ministerialbeamten: Eine Generation von Privatdozenten und anderen Nachwuchswissenschaftlern sei zu "verschrotten".
Im neuen HRG zeigt sich, noch bevor es verkündet wird, eine Kombination aus Zynismus, Ignoranz, Dilettantismus und einer Politik des gewollten Kahlschlags. Dies wird nicht nur die Forschung, sondern auch die Lehre an den Universitäten treffen.
Das Prinzip der deutschen Universität beruht seit langem auf der engen Verzahnung von Forschung und Lehre. Nach den drastischen Stellenstreichungen in den letzten Jahren wurden Lehrende und Forschende mit dem Ziel der Leistungsstimulierung und Leistungssteigerung auf die Einwerbung sog. Drittmittel verwiesen. Diese Drittmittel-Forschung, maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und teils privaten, teils öffentlichen Stiftungen finanziert, wird in großem Umfang, zumeist in Verantwortung von Lehrstuhlinhabern, vom Nachwuchs betrieben. Für sie sieht die Universität kaum etatisierte Planstellen vor.
Der Forschungsbetrieb an den Universitäten ist ohne die Geldgeber "von dritter Seite" nicht mehr vorstellbar. Damit wird zugleich das Lehrangebot um originelle und innovative Themen erweitert, da nicht-promovierte, promovierte und habilitierte Nachwuchswissenschaftler auf Drittmittel-Stellen ergänzend zugleich in Unterricht und Lehre eingesetzt werden, was auch ihrer eigenen Qualifikation dient.
Ignoranz
Das neue HRG will nun eine befristete Einstellung von Nachwuchswissenschaftlern auf Drittmittel-Stellen über eine Zeit von sechs Jahren vor der Promotion und sechs Jahren nach der Promotion hinaus verbieten. Damit wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt insbesondere der promovierte Nachwuchs bestraft, der - nicht zuletzt wegen der unentwegten Stellenstreichungen - nicht sofort eine unbefristete Stelle erhalten hat. Unter den gegenwärtigen Bedingungen dürfte dies eine sehr große Anzahl von promovierten (und habilitierten) Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern treffen, auf deren innovatives Potential Forschung und Lehre nicht verzichten können.
Die Neuregelung verschlechtert nicht nur die Qualifikationschancen des Nachwuchses, sondern engt auch die Bandbreite möglicher Forschung (und Lehre) unnötig ein. Dies geschieht zu einer Zeit, in der der Bedarf an Forschung und Forschern sowie der internationale Wettbewerb ungeheuer gewachsen sind. Mutwillig disqualifiziert das neue Gesetz den Forschungsstandort Deutschland.
Die vorgesehene Einführung des (auf sechs Jahre befristeten) Juniorprofessors bietet hier keinen Ersatz und soll ihn auch nicht bieten. Denn die Juniorprofessoren dienen als "billige" Lehrkräfte. Sie sollen dabei helfen, aus den Universitäten "Lehrfabriken" zu machen. Durch hohe Lehrverpflichtungen und die obligatorische Teilnahme an der Selbstverwaltung bleiben ihnen keine reellen Chancen zu weiterer Qualifikation in der Forschung. Nur diese würde ihnen helfen, eine weitere Beschäftigung an der Universität oder auf anderen Stellen zu finden. Mit dem sog. tenure track in den USA, der angeblich als Modell dient, hat dies wenig zu tun.
Zynismus
Fatalerweise sieht das Gesetz keine Übergangsregelungen vor. Damit wird eine ganze Generation v. a. von Postdocs und Privatdozenten auf Drittmittelstellen betrogen. Mitten in ihrer Lebensplanung werden die Spielregeln, nach denen sie angetreten sind, drastisch verändert. Der Staat profiliert sich als Produzent von Arbeitslosigkeit, als Vernichter wissenschaftlichen Potentials und als Verursacher zahlloser persönlicher Katastrophen. Nach rechtsstaatlichen Prinzipien ist es zumindest sittenwidrig und bedeutet einen Verstoß gegen Treu und Glauben, daß neue Gesetze und Regeln rückwirkend gegen Gruppen exekutiert werden, die auf andere Vorgaben vertraut haben und wenig Möglichkeiten zur Gegenwehr besitzen.
Der Bundesgesetzgeber schafft sich somit seine Investitionsruinen, nachdem die Gesellschaft für die Ausbildung und die Tätigkeit des Nachwuchses viel Geld aufgebracht hat. Er demotiviert den Nachwuchs und seine Leistungsbereitschaft, er desavouiert die immer wieder von den Universitäten und den Wissenschaften eingeforderte Effizienz und Flexibilität. Und nicht zuletzt behindert er - auf absehbare Zeit - die Einwerbung von Drittmitteln, die ansonsten als Ausweis von "Exzellenz" hoch gelobt und prämiert werden.
Angesichts dieser mutwillig, zynisch und zugleich dilettantisch herbeigeführten Situation fordern die Unterzeichner mit allergrößtem Nachdruck Regierungen und Gesetzgeber auf der Ebene der Länder und besonders die Verantwortlichen in Baden-Württemberg auf, alle in ihrer Kompetenz liegenden Möglichkeiten auszuschöpfen, den Schaden zu begrenzen, der durch das HRG angerichtet zu werden droht.
Kontaktadresse:
Professor Dr. Anton Schindling
Dekan der Fakultät für Philosophie und Geschichte
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Sigwartstraße 17
72076 Tübingen