Liebe Listenmitglieder,
die heute über H-Soz-u-Kult verbreitete Umfrage zur politischen Stimmung
an den Universitäten nach dem HRG will " im wohlverstandenen eigenen
Interesse" "das Potential der Geisteswissenschaften in der Öffentlichen
Meinung" bewerten. Das ist ein lobenswertes Unterfangen, das Unterstützung
verdient. Doch sollten wir dabei unser intellektuelles Potential nicht
vernachlässigen. Denn wir leisten uns einen Bärendienst, wenn nach
den deutschen Gazetten und Fernsehsendern auch wir selbst der manipulativen
Sprachpolitik der Bundesbildungsministerin aufsitzen und uns im Fragebogen
zu einer Antwort auf die Frage veleiten lassen: "Die Besoldung von Professoren
nach Leistung halte ich für
o sinnvoll o problematisch o weiß nicht"
Die Prämisse, Professoren seien vor dem HRG nicht nach Leistung besoldet worden und als sei es erst Frau Bulmahn zu verdanken, dass nun endlich das Leistungsethos an den deutschen Universitäten einzieht, ist, wie wir alle wissen, tendenziös und falsch. Auch bisher wurden Professoren nicht einheitlich besoldet. Man konnte Zusatzleistungen erhalten, die im Wissenschaftsministerium verhandelt wurden und in erster Linie von der Zahl der Rufe abhingen, die jemand erhalten hatte. Das war eine Art wissenschaftlicher Fremdevaluierung, bei der die individuelle Forschungsleistung im Vordergrund stand. Diese soll künftig ersetzt oder relativiert werden durch andere Kriterien, die zumindest teilweise und insbesondere bei Geisteswissenschaftlern von der individuellen Leistung abstrahieren. Zwar fließen künftig Leistungen in Lehre und universitärer Selbstverwaltung mit in die Gehaltsbemessung ein, was man begrüßen mag oder auch nicht, doch stärker dürften sich voraussichtlich andere Kriterien auf die Professorengehälter auswirken, wie die Höhe der eingeworbenen Drittmittel und nicht zuletzt die Möglichkeiten eines Hochschullehrers bzw. einer Hochschullehrerin, außerhalb der Hochschule Konkurrenzangebote zu erhalten und damit den eigenen Marktwert zu steigern. Für Betriebswirte, Juristen, Mediziner und andere "Lebenswissenschaftler" eröffnene sich hier glänzende Möglichkeiten. Die Perspektiven für Geisteswissenschaftler/Innen dürften dagegen meist weniger verlockend sein. Die neuen Leistungskriterien werden daher, so ist zu befürchten, zu einer universitätsinternen Gehaltsumverteilung zugunsten von ProfessorInnen arbeitsmarktnaher Fächer zulasten ihrer KollegInnen aus geisteswissenschaftlichen Fächern führen. Korrekt müsste es daher im Fragebogen heißen: "das BMBF will den Maßstab für wissenschaftliche Leistung und deren Honorierung politisch neu definieren. Neben der bisher hoch gewichteten Forschungstätigkeit soll künftig auch die Lehr- und Verwaltungstätigkeit sowie die Drittmitteleinwerbung gewichtet werden und der "Marktwert" eines Wissenschaftlers/einer Wissenschaftlerin im Gehalt einen Niederschlag finden. Erachten Sie die neuen Leistungskriterien als sinnvoll ....?"
Schließlich würde es mir persönlich bedeutend weniger schwer fallen, mich für Maßnahmen zur Verbesserung der Bildungssituation in Deutschland " zu entscheiden, wenn hier "strengere Benotung" nicht mit "mehr Selektion" gleichgesetzt würde. Es geht nicht um sozialdarwinistische Rezepte, sondern darum, SchülerInnen und StudentInnen einen Bildungsweg zu ermöglichen, der ihren Fähigkeiten entspricht. Ich plädiere daher dringend für eine sprachliche Überholung des Fragebogens, bevor wir uns der Mühe unterziehen, ihn auszufüllen.
Cornelia Rauh-Kühne, Tübingen