INKOMPETENZ ALS ARGUMENT - ODER: WIE WERDEN EIGENTLICH GESETZE GEMACHT?
Das neue Hochschulrahmengesetz (HRG), seitens der Regierung von langer Hand vorbereitet, wäre beinahe unbemerkt in Kraft getreten. Der Plan ging schief: In den letzten Tagen ist nun doch endlich die längst überfällige öffentliche Debatte entfacht worden. Denn der Freiburger Historiker Ulrich Herbert hat in einem Leserbrief in der 'Süddeutschen Zeitung' das in unseren Zeiten unbequeme Wort der Massenentlassung gebraucht, um auf die drohenden Konsequenzen des HRG aufmerksam zu machen. Und nun reißt die Diskussion nicht ab. Im Zentrum der Kritik steht vor allem der neugefaßte Paragraph 57, der für befristet beschäftigte Wissenschaftler an Hochschulen eine Beschäftigungshöchstdauer von 12 Jahren vorsieht. Wem es in dieser Zeit nicht gelingt, sich erfolgreich auf eine Lebenszeit-Professur zu bewerben, dessen wissenschaftliche Laufbahn ist ein für allemal beendet. Übergangsregelungen, Weiterbeschäftigungen auf anderweitig finanzierten Stellen (sog. Drittmittelstellen) werden nicht einmal angedeutet. Da das Gesetz auch diejenigen trifft, die vor Jahren unter ganz anderen Rahmenbedingungen eingestellt worden sind, wird man als mittelbar Betroffener das Recht haben zu fragen, warum jeglicher Vertrauensschutz übergangen wurde und was eine solche Regelung eigentlich soll - auch wenn in den letzten Tagen immer deutlicher geworden ist, daß diese Fragen im Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgerechnet jetzt gar nicht gerne gehört werden. Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen mußte sich vergangene Woche im ZDF diesen Einwänden stellen. Seine Antworten waren verblüffend: Zum einen verwies er darauf, daß die Planungen doch schon seit längerem bekannt gewesen seien, und niemand habe Einspruch erhoben. Zum anderen habe jedes Gesetz Mängel aus der Sicht der Betroffenen. Die erste Aussage ist falsch, sie kaschiert lediglich die andauernde Beratungsimmunität des Ministeriums in den letzten Monaten. Die zweite Begründung muß beim Bürger doch erhebliche Bedenken grundsätzlicher Natur hervorrufen - wie werden denn in Deutschland eigentlich Gesetze gemacht, wenn Mängel aus der Sicht der Betroffenen ganz normal sind? Catenhusen hätte die Gelegenheit gehabt, auf diese Frage in einer seit längerem angekündigten Podiumsdiskussion, die das Wissenschaftsforum der SPD Ostwestfalen Lippe für den 17. Januar an der Universität Bielefeld angesetzt hatte, eine klare Antwort zu geben. Dort hatte sich im Anschluß an seinen ZDF- Auftritt eine Protestbewegung gegen das HRG unter den befristet beschäftigten Historikern formiert, und man erwartete Catenhusens Argumente mit besonderer Spannung. Doch der Staatssekretär sagte kurzfristig ab, statt dessen erschien Dr. Peter Eckardt, Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses der SPD- Bundestagsfraktion und einer der Väter des HRG.
Eckardt pries zunächst Zielrichtung und erwartete Konsequenzen des HRG: Modernisierung, Effizienz, Flexibilität, Qualität, internationale Wettbewerbsfähigkeit - die üblichen Zauberworte - insbesondere aber: Man wolle den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern. Durch Entlassungen? Der Gesetzgeber weist diesen Vorwurf selbstverständlich entschieden zurück, doch seine Argumentation eröffnet bezeichnende Einblicke in das politische Geschäft. Eine Weiterbeschäftigung, so Eckardt, sei auch über die 12 Jahre hinaus nach Maßgabe des Teilzeit- und Befristungsgesetzes möglich, so stehe es doch im HRG. Also nur ein Mißverständnis? - Mitnichten: Schon seit längerem weisen Juristen und Universitätsverwaltungen darauf hin, daß Hochschulen so gut wie niemanden nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz einstellen werden, denn dieses eröffne den Wissenschaftlern in den meisten Fällen die Möglichkeit, sich in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse einzuklagen. Das nun, so Eckardt, sei eben ein Problem der Hochschulverwaltungen und der Fakultäten, die solche Stellen dann letztlich durch die Kassierung anderer Stellen finanzieren müßten - sprich: durch die somit erzwungene langfristige Blockade von Förderstellen für den vielbeschworenen wissenschaftlichen Nachwuchs. Tatsache ist also, daß es bei der intendierten 12-Jahres-Frist bleibt. Der Hinweis auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz führt ins Nichts und dient offenbar nur dazu, unbedarfte Kritiker zurechtzuweisen.
Immerhin versuchte der Politiker gleich zu Beginn, der erwarteten Auseinandersetzung die emotionale Schärfe zu nehmen, und versprach ein offenes Ohr, sofern sachliche Einwände gegen das HRG vorgebracht würden. Diese folgten dann postwendend: Kann man das 'Verschrotten' erfahrener, mit einem erheblichen Aufwand an Steuergeldern ausgebildeter Wissenschaftler und ausgewiesener Experten sowie die Neueinstellung völlig unerfahrener, frisch promovierter Juniorprofessoren an ihrer Stelle wirklich als Effizienzsteigerung, als Anpassung an internationale Standards bezeichnen? Kann Alter - oder vielmehr Jugend - ein Kriterium für Qualität sein? Was passiert mit den Juniorprofessoren nach Ablauf ihrer 6 Jahre, wenn es kaum noch ordentliche Professuren für sie geben wird, da diese zur Finanzierung der Juniorprofessoren kassiert worden sind? Und wie ist die Stellung der nach herkömmlichen Brauch habilitierten Wissenschaftler gegenüber den politisch privilegierten Juniorprofessoren zu bewerten? Haben sie überhaupt noch eine Chance? Warum werden im HRG sämtliche Fachrichtungen, auf deren Vielfalt wir auch einmal stolz waren, über einen Kamm geschoren?
Eckardts Antworten bewiesen Eloquenz: Zum einen solle man das alles nicht ganz so eng sehen; irgendwie werde sich das schon einpendeln - ein vages Fundament für die angestrebte 'Modernisierung'! Zum anderen habe das Auditorium ja in vielen Punkten recht, und er teile die Bedenken. Aber unter den Gründungsvätern des HRG habe er sich mit vielem leider nicht durchsetzen können und man solle doch mit dem zufrieden sein, was er immerhin noch erreicht habe. Und schließlich: Wer habe denn vorher wissen können, daß die deutsche Universitätslandschaft so vielfältig sei? Wer habe damit rechnen können, daß dort so unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen? Er selbst sei unter den Machern des HRG der einzige gewesen, der aus der Universität komme. Man müsse doch Verständnis aufbringen dafür, daß den Konstrukteuren des HRG in manchen Fragen einfach die Erfahrung gefehlt habe. Natürlich habe niemand vorgehabt die Exotenfächer (gemeint waren die Geistes- und Sozialwissenschaften!) strukturell zu benachteiligen. Man werde über das Gesetz noch einmal nachdenken und eventuell 'nachbessern'.
Die Gelegenheit dazu bot der Kanzler der Universität, indem er dem Politiker einen fertig formulierten Gesetzestext diktierte, der einen großen Teil der Probleme gelöst hätte. Diesen wenigstens in Stichworten mitzuschreiben, hielt Eckardt aber nicht für nötig. Es ist offenbar einfacher, die eigene mangelnde Erfahrung (wir dürfen das wohl getrost auch Inkompetenz nennen) als Entschuldigung vorzuschieben, wenn es hinterher doch nicht klappt. So wird Dilettantismus sogar noch zum Argument.
Werden in Deutschland momentan alle Gesetze so gemacht? Dem Bürger jedenfalls wird angst und bange.
Mischa Meier