Die Süddeutsche Zeitung hatte am 11. Januar drei Interviews zu dem Artikel von Ulrich Herbert über die Auswirkungen des Bulmahn-Gesetzes auf wissenschaftliche Mitarbeiter gebracht. Ein Interview wurde mit dem obersten Repräsentanten der deutschen Hochschulen, Herrn Landfried, Präsident der HRK, geführt. Ich fand Herrn Landfrieds Äußerungen derart unangemessen, daß ich einen Leserbrief dazu geschrieben habe - wenn ich nichts vergessen habe, dürfte es der einzige sein, den ich je geschrieben habe. Die SZ hat ihn bis heute nicht veröffentlicht, was natürlich ihr gutes Recht ist. Ich möchte den Brief nun den Leserinnen und Lesern von HSozKult mitteilen. Er ist als Datei begefügt.
Dieter Langewiesche
Falls es zutreffen sollte, daß jede Institution den Vorsitzenden hat, den sie verdient, muß es schlecht um die deutsche Universität stehen. Ich weigere mich jedoch zu glauben, daß die Berufsgruppe, der ich zugehöre, sich in der Arroganz des Satten, die aus Herrn Landfrieds Interview spricht, repräsentiert sieht. Auch wer nicht draußen vor der Tür steht, die das Bulmahn-Gesetz den hochqualifizierten Wissenschaftlern zuschlagen will, die nicht binnen zwölf Jahren seit dem Abschluß des Studiums die Professur erreicht haben, wird den Kommentar des obersten Sprechers der deutschen Hochschulen schwer ertragen können. In vielen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern sind exzellente Leistungen heute eben keine Garantie mehr, "in überschaubarer Zeit eine Professur" zu erhalten. 1970, als Herr Landfried promoviert wurde, konnte man, wie sein Weg zeigt, vier Jahre später bereits eine Professor erhalten. Heute reicht das eine Buch dazu nicht mehr. Die Qualifikationswege sind nicht länger geworden, weil der Nachwuchs langsamer wäre. Gestiegen sind die Leistungen, die von ihm erwartet werden. Ich empfehle den Satten, ihre Publikationsliste zu vergleichen mit der heutiger Habilitierter, die trotz exzellenter Veröffentlichungen noch nicht auf eine Professur berufen wurden. Die Einrichtung der Homepage macht den Vergleich einfach. Er kann so manchen Etablierten, der unter sich nur noch mangelnde Exzellenz wähnt, zur Bescheidenheit mahnen.
Wir brauchen ein doppeltes Programm: Erstens müssen in Zukunft die Wege zur Professur wieder kürzer werden. Das versucht das Bulmahn-Gesetz, wenn auch nicht mit tauglichen Mitteln. Zweitens muß jetzt sofort etwas getan werden, um hochqualifizierte Wissenschaftler, die alle Bedingungen für eine Professur erfüllt haben, sie aber angesichts des geringen Angebots nicht oder noch nicht erhalten konnten, in der Hochschule zu halten. Die Gesellschaft hat ihre Ausbildung bezahlt, und die Hochschulen brauchen sie dringend. Ein neues Fiebiger-Programm könnte helfen.
Beide Aufgaben, Reformen für die Zukunft und Hilfen jetzt, verlangen eine Phantasie, die sich nicht im "Verschrotten" erschöpft. Wenn allerdings der Sprecher der Hochschulen deren Sorgen als "Theater" abtut, wird man von dort wenig erwarten dürfen.
Prof. Dr. Dieter Langewiesche
Universität Tübingen
Historisches Seminar Abteilung für Neuere Geschichte