Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

Carsten v. Wissel / Institut für Soziologie TU Berlin

Kollaterale Schäden und nichtintendierte Nebeneffekte

Seit dem 9. Januar, ausgelöst durch den SZ-Artikel „Die Posse“ von Ulrich Herbert, ereignet sich eine ausufernde und vehement geführte Debatte. Ihr Gegenstand: die 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes. Die Fakten sind schnell erzählt. Die Bundesregierung will etwas tun angesichts der Dauerkrise der Universitäten. Die deutschen Universitäten sollen dynamischer, internationaler und multipel kompatibler werden. Also wurde im vergangenen Jahr eine Novelle des Hochschulrahmengesetzes ausgearbeitet. Ihre Kernbestandteile sind unter anderem die Einführung des Amtes Juniorprofessur, die Abschaffung der Habilitation sowie eine Neufassung der Befristungsregelungen für den wissenschaftlichen Mittelbau. Der Gesetzentwurf ist in seinen wesentlichen Zügen seit Mitte vergangenen Jahres bekannt. Insbesondere die Neueinführung des Juniorprofessors genoß in der Vergangenheit einiges an medialer Aufmerksamkeit. Nicht so allerdings die Neufassung der Befristungsregelungen. Erst Ulrich Herbert machte am 9. Januar darauf aufmerksam, daß das HRG in seiner neuen Version nach der 12jährigen Qualifikationsphase keine befristete Weiterbeschäftigung mehr vorsehe. Im Anschluß daran geriet der Gesetzentwurf in heftigste Kritik, insbesondere Angehörige des wissenschaftlichen Nachwuchses griffen die Novelle an.

Wie nur konnte dies geschehen? Schließlich wollte man im Ministerium mit dem Gesetz ja gerade die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessern. Eine Motivsuche mag hier einiges erklären. So ist zu fragen, welches Universitätsbild, welche Vorstellung von Wissenschaftsorganisation und der Arbeit von WissenschaftlerInnen dem Gesetzentwurf zugrundeliegt. Unter den an der Abfassung des Gesetzentwurfs Beteiligten bestand allem Anschein nach Einigkeit, daß die deutschen Universitäten verzopft, ständisch, wenig geschlechtergerecht, teuer und mit einer Neigung zu besonderen organisationalen Pathologien versehen sind. Von einer prinzipiellen Leistungsschwäche wird – versteht sich – ausgegangen. Die meisten der angeführten Meinungen über Universitäten sind nicht prinzipiell falsch, d. h. es gibt gute Gründe, derartige Auffassungen zu vertreten. Ein Problem aber liegt auf der Ebene des vom Bundesministerium geführten Diskurses, der Kritik an den beabsichtigten Veränderungen von vorne herein delegitimiert. Ausgehend von der Erwartung, daß diese nur aus professoralkonservativer Richtung kommen könne, wirft man den Kritisierenden Besitzstandswahrung vor. Die Tatsache, daß die Kritik nun eben nicht vom Hochschulverband, sondern von Nachwuchsorganisationen kommt und weniger den Juniorprofessor, vielmehr die Befristungsregelungen betrifft, stürzt das Bundesministerium in einige Verwirrung. Der Vorwurf der Besitzstandswahrung läuft ins Leere.

Die in Presse[1] und Internet derzeit beobachtbare Diskussion ist bis dato zumindest nicht sehr vielversprechend. Nach nunmehr etwa zwölf Wochen wird sie für potentielle Beobachter an der Schnittstelle von Wissenschaft und Verwaltung langweilig und kreist nur noch um die immer wieder gleichen Elemente. Es hat sich auf der einen Seite ein recht selbstreferentieller „Verschrottungsdiskurs“ herausgebildet, der m. E. zwar keine Erkenntniszuwächse mehr abwirft, aber sicherlich für seine TeilnehmerInnen eine psychische Entlastungsfunktion mit sich bringt. Er geht zurück auf eine Äußerung, die Ulrich Herbert in seinem SZ-Artikel einem Beamten des Bundesministeriums zugeschrieben hat.[2] Den Gegenpol markiert ein recht spezialisierter Diskurs der hochschuldienstrechtlich Informierten und Bemühten. Aus der Sicht des Dienstrechtsdiskurses ist es ein leichtes, dem Verschrottungsdiskurs Uninformiert­heit und eben Panikmache zuzuschreiben.

Beide Diskurse sind – so scheint es – auf den ersten Blick nicht aufeinander angewiesen und kämen ohne einander aus. Von daher kann man in dem Reden von Verschrottung und in dem Reden von Panikmache die zwei Seiten eines gut gegeneinander abgeschotteten Aneinander­vorbeiredens erkennen, welches die recht wundersame Tatsache mit sich bringt, daß beide Extrempole Recht haben können. Nur so ist die gegenseitige Beratungsresistenz beider Diskurse zu erklären; sich der „Verschrottung“ anheim gegebene Betroffene skandalisieren das Gesetz, und einige von ihnen greifen zu zunehmend überdrehten Argumentationsmustern, da ist auch schon mal von Zwangsarbeit von Privatdozenten die Rede.[3] Weiterhin erscheinen wieder universitätswesensbeschwörende Artikel in den Feuilletons der überregionalen Zeitungen.[4] Wie üblich sind die beschworenen Mißstände vielfältig: da wird die „Verstaa­tung“ der Universitäten oder die Pädagogisierung der Geisteswissenschaften für die Misere verantwortlich gemacht.[5] Die Gegenseite hingegen ergeht sich in Beteuerungen, man habe lediglich sortierende, systematisierende und verklarende Absichten gehabt und sei alles in allem von allen möglichen RezipientInnen nur falsch verstanden worden, die Verschrottungs­vorwürfe entsprächen nicht der Wahrheit.

Im folgenden möchte ich die Genese der beiden Debatten herausarbeiten. Es wird sich zeigen, daß beide Diskurse aufeinander bezogen sind und dennoch aneinander vorbei laufen. Zunächst muß es darum gehen, die Ausgangspunkte der jeweiligen Diskurse zu bestimmen. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, ich denke, es gibt tatsächlich Bedarf an Skandalisierung, die sollte man allerdings an der richtigen Stelle anbringen.

Der Verschrottungsdiskurs

Der Verschrottungsdiskurs ist sehr neuen Datums. Er wird getragen von Leuten, die in den späten 70er und früheren 80er Jahren als Gewinn(l)erInnen der sozialdemokratischen Bildungsexpansion studierten, an einer von der Stagnationsstarre befallenen, nicht mehr wachsenden, auf der Organisationsebene von tiefen Verwerfungen durchzogenen Universität. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind sie Zeuge von zunehmender Überalterung der nach wie vor sehr männlichen Professorenschaft. Universitäre Aufstiegskanäle schienen damals in Folge der Stellenbesetzungsschübe aus der Zeit der Bildungsexpansion weitgehend verschlossen. Dennoch waren Berufsorientierung und schnelles zielgerichtetes Studium nicht unter allen Umständen das Gebot der Stunde. Dies hing vermutlich nicht zuletzt damit zusammen, daß nach wie vor eine Auffassung vorherrschte, es mit einem universitären Bildungsabschluß doch irgendwie noch zu schaffen, im Beschäftigungssystem angemessen unterzukommen. Bei den Vorgängergenerationen war dies bis dato jedenfalls noch immer der Fall gewesen. Gleichzeitig gehörte es durchaus zum guten Ton, mit trüben oder unthemati­sierten Berufsaussichten zu studieren.[6]

Nichtsdestotrotz sind die Studierendengenerationen Anfang der 80er Jahre zahlreich und jahrgangsstark gewesen, zum Leidwesen der damaligen Hochschulpolitik, die zur „Bewälti­gung“ der mit ihnen verbundenen Mengenprobleme das schöne Wort von der „Untertunne­lung des Studentenberges“ erfand. Viele Angehörige dieser Studierendengeneration sind nun habilitiert, d. h. sie haben beruflich einen Hochrisikopfad beschritten, der als höchstes Ziel den Eintritt in einen Organisationsstand schwindender gesellschaftlicher Wertschätzung vorsieht, dabei gleichzeitig aber auch ein gerüttelt Maß an Selbstdisziplinierung und –verleugnung abverlangt. Schließlich ist es kein Pappenstiel zu wissen, daß man erst in den 40ern die vollständigen Bürgerrechte in der civitas academicae erlangen wird, und dazu auch noch gute Miene zu machen. Und: gleichzeitig wird die Lebensarbeit ihrer letzten fünf Jahre entwertet, indem die Habilitation zur Abschaffung ausgeschrieben wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal mehr die Chance für einen Übertritt in das Professorat erhöhen wird. Hinzu kommt nicht zuletzt, daß genau die Positionen im akademischen Betrieb, auf die sie hinarbeiten, (die C2 und C3-Stellen) in den Strudel der Veränderung geraten und Beschäftigungsperspektiven auf an Universitäten angesiedelten Projektstellen derzeit trübe erscheinen.

Unbeantwortet ist hier noch die Frage, warum es HistorikerInnen sind, die den „Verschrot­tungsdiskurs“ initiiert haben und seither dominieren. Sicherlich haben HistorikerInnen einen guten oder besseren Feuillitonzugang als Angehörige anderer Disziplinen, aber es hätte sich ja auch ein Genforscher im Feuilleton der FAZ zuerst äußern können. Darüber hinaus sind HistorikerInnen mit der öffentlichen Sache der res publica berufsmäßig beschäftigt, dies gilt aber auch für PolitikwissenschaftlerInnen und manche SoziologInnen. Hinzu tritt bei HistorikerInnen allerdings ein weitgehendes Fehlen außerwissenschaftlicher Beschäftigungs­perspektiven des HochschullehrerInnennachwuchses. Wer nach der Dissertation als HistorikerIn jahrelang weiterarbeitet ist dazu verurteilt, in der Wissenschaft zu bleiben. Auch dies gilt – wie gesagt – für andere Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen genauso, nur, entweder in geringerem Grade (z. B. für SoziologInnen) oder in geringeren Stückzahlen (z. B. für IndologInnen).

Der Dienstrechtsdiskurs

Der Dienstrechtsdiskurs hat Geschichte. Sein Gegenstand ist das – besser ein als wissen­schaftliches nicht vorhandenes – öffentliches Dienstrecht, es geht um Fragen wie die Defizienz des BAT, die Halsstarrigkeit der TDL[7] etc. Vordergründig handelt es sich hier nicht um einen Generationendiskurs. Vielmehr hat er sich über Jahre weitgehend unter Ausschluß der Wissenschafts- und jedweder anderer Öffentlichkeit hingezogen. Der Diskurs ist nicht ständisch und erst recht nicht an bestimmte scientific communities gebunden. Seit dem Dahinscheiden der Bundesassistentenkonferenz zu Beginn der 80er Jahre ist allerdings das Desinteresse ubiquitär.

Am ehesten läßt er sich als ein interorganisationaler Diskurs beschreiben, an dem Hochschul­leitungen, Gewerkschaften, Standesorganisationen, Wissenschaftsorganisationen, sowie Legislativen und Exekutiven des Bundes und der Länder teilhaben. Im Gegensatz zum Verschrottungsdiskurs gibt es einen administrativ definierten Begriff des Problems: Das Fehlen eines (Wissenschafts-)dienstrechts. Das öffentliche Dienstrecht, so der oberflächliche Konsens, sei ungeeignet für die Verhältnisse der Wissenschaft. Das Hochschuldienstrecht und seine Personalkategorien seien zumindest nicht zeitgemäß. Dieser weitestgehende Konsens ändert wenig daran, daß sich in den vergangenen 20 Jahren kaum etwas beim Hochschulpersonal getan hat. Dies mag auf der einen Seite daran liegen, daß Hochschullehrer, die als Status­gruppe die Schlüsselposition in den Universitäten innehaben, als Statusgruppe kein Interesse an einer Veränderung des, sie als Statusgruppe starkmachenden status quo haben, dies erklärt aber die weitgehende Untätigkeit der Politik nicht hinreichend. Bezieht man ein, daß ein artikuliertes Interesse des Mittelbaus nicht zuletzt deshalb nicht vorfindlich ist, weil dieser aus Individuen besteht, die das Mittelbauangehöriger-Sein als Duchgangsstation erleben und leben, wird klar, warum von dieser Seite kaum Veränderungsdruck resultiert. Der verblei­bende Restdruck stammt also von Mittelbauangehörigen auf Dauerstellen, die in den Universitäten aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt werden.[8] Es bleiben also die Gewerkschaften, die sich wie die auf Dauer angestellten Mittelbauangehörigen an Fragen abarbeiten, die schon in den 80er nicht mehr neu waren und bereits damals Traumata aus den Umbrüchen der Reformphase zwischen 1967 und 1973 wälzten. Hier wird nun wiederum doch eine Generationenprägung des Dienstrechts­diskurs deutlich. Seine TrägerInnen sind im wesentlichen KombattantInnen von damals.

Der soeben beschriebene Diskurs markiert den Ausgangspunkt des nun vorliegenden HRG-Änderungsentwurfs. Wogegen sich auf einer grundsätzlichen Ebene nichts sagen läßt, weil ja schließlich jahrzehntelang unbearbeitete Probleme angegangen werden. Etwas sagen läßt sich allerdings gegen zwei der dem neuen HRG zugrundeliegenden Grundannahmen, die definitiv in gewerkschaftlich motivierten Untiefen verankert liegen: die von dem Unsozialsein der dauerhaften Beschäftigung auf befristeten Stellen und die, daß man erwachsene Wissen­schaftlerInnen eben davor schützen müßte. Die beiden Grundannahmen beschädigen die inhaltliche Stringenz des Gesetzentwurfes. Weiterhin belastend kommt eine zunehmend selbstreferentiell daherkommende Jugendorientierung hinzu; d. h. der Glaube an das gar so hohe Alter deutscher Qualifikanden scheint als Zweck eine Menge Mittel zu heiligen. Folglich wird die neugeschöpfte Personalkategorie (an die so viele Hoffnungen gehängt werden) mit dem albernen Titel Juniorprofessor versehen.

Bewertung und Fazit

Die Absicht, die Befristungsregelungen, die für Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftsbereich gelten, systematischer und nachvollziehbarer auszugestalten, ist durchaus ehrenwert. Ehrenwerter wäre sie aber noch, wenn ihr nicht auch ein gewerkschaftlich motiviertes Zwangsbeglückungsdenken zugrundeläge, das zu allem Überfluß an dem Schema des fordistischen Normalarbeitsverhältnisses der 60er Jahre orientiert ist. Ehrenwert ist die Absicht, weil die alten Befristungsregelungen nicht sehr stringent waren. Mögliche Befristungsgründe waren Qualifikation, erstmalige Beschäftigung nach dem Studienabschluß und Aufgaben von begrenzter Dauer. Rechtsquellen waren das Hochschulrahmengesetz (Qualifikation) und eine Protokollnotiz zum BAT (Aufgaben von begrenzter Dauer). In der Praxis war es möglich, diese Befristungsgründe jeweils aneinanderzuhängen, so daß jemand 15 Jahre auf jeweils unterschiedlich begründeten Friststellen hätte arbeiten können. Bei Wechsel von wissen­schaftlicher Einrichtung oder Bundesland ließ sich das Spiel letztlich auf Dauer fortsetzen. Das alles war möglicherweise nicht intendiert von Seiten des Gesetzgebers, möglich war es dennoch.

Die Anwendung der Befristungsregelungen führte immer wieder zu Fehlern, wiederholt wurden von Universitäten befristete Arbeitsverträge ausgestellt, die vor den Arbeitsgerichten keinen Bestand hatten. Dies geschah insbesondere dann, wenn Stellen zu besetzen waren, die außerhalb der eingeübten Einstellungsroutinen lagen.

Noch schlimmer sah es auf den höheren Qualifikationsstufen aus. Die C1 und C2 Stellen waren im Gegensatz zu den WM-Stellen befristete Zeitbeamtenstellen. D. h., wer eine dieser Stellen abgeschlossen hatte, hatte nach dem Auslaufen des Übergangsgeldes nur noch Anspruch auf Sozialhilfe. Als Erklärung für derlei Unfug kann man nur Pfadabhängigkeit heranziehen und sagen, in der Vergangenheit war es noch schlimmer. Die Geschichte akademischer Stellenkategorien ist eine verwirrende. Besonders albern waren rechtlichen Tatbestände bei den C2 Stellen. Diese waren als vierjährige Oberassistentenstellen oder als sechsjährige Oberingenieurstellen vorgesehen. Für Erstere bedurfte es einer Habil, für Zweitere einer sog. „qualifizierten Promotion“. Was dies nun hieß, ob qualifiziert mindestens magna oder summa sei, ob laude genüge, oder ob „inhaltlich einschlägig“ gemeint war, war Quelle dauerhaften Streites zwischen Fachbereichen und Personalabteilungen. Die Unterschiede der beiden Stellenkategorien verstand außerhalb der Personalabteilung, Präsidialämter und zentralen Planungskommissionen kaum jemand. Hochschullehrer und Institute beantragten konsequent die Einrichtung „falscher“ Stellen, da sie nicht wußten welche Stellenkategorie ihr jeweiliges Problem lösen konnte. Beratungen und Beschlußfas­sungen über derlei Anträge waren letztendlich zeitaufwendiges Antragsconsulting.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Forderung der NachwuchswissenschaftlerInneninitiative, die C2 Stellen zu erhalten – bei aller Verständlichkeit auf einer Betroffenheitsebene – eigentümlich.

Auch hier gilt also, daß die Grundabsicht, den eben beschrieben Dschungel zu lichten, sinnvoll war, die Ausführung es aber nicht ist. Die Ausführung heißt in Bezug auf die nun ablaufende Debatte Juniorprofessur und Befristungsregelung. Die Juniorprofessur ist je nach Perspektive ein organisationaler Amerikanismus oder eine Wiederauflage der Assistenz­professur der 70er Jahre. Als Amerikanismus steht sie für den Versuch, das im US-amerikanischen Kontext erfolgreiche (eins zu eins aber hochschulpolitisch unübersetzbare) Konzept des Assistant-Professor im deutschuniversitären Kontext zu implementieren, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs Freiheit und Unabhängigkeit zu verschaffen und mit dem Verweis auf US-amerikanisches (MIT, Harvard .... ach) Legitimität zu generieren. Eine gewisse planerische Sperrigkeit des Juniorprofessors war wohl intendiert, schließlich ging es ja auch um die Inszenierung des Neuen; schwierig wird es allerdings angesichts der Vorgabe der Kostenneutralität. Denn unter Wahrung derselben bestehen nur zwei Möglichkeiten. Nimmt man die Stellen für Juniorprofessuren aus dem Kontingent der Mittelbaustellen, was folgerichtig erscheint, denn man will ja die C1 und C2 Stellen abschaffen, landet man bei einer Wiederauflage der Assistenzprofessur. D. h. man richtet kleine befristete Fachgebiete ein, deren Zukunft in der Schwebe hängt. Selbstverständlich müßten diese kleinen Fachgebiete ausgestattet werden. Die Bundesregierung trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie für die Einrichtung einer Juniorprofessur mit 60.000 Euro zu unterstützen gedenkt. Für Geistes- und Sozialwissenschaften erscheint dies reizvoll, für Naturwissen­schaften ist es nicht gar so viel Geld, wenn man bedenkt, daß die Einrichtung einer C4 Professur gut und gerne 500.000,- Euro kosten kann.

Die Alternative, die Juniorprofessuren auf in 6 bis 7 Jahren freiwerdende ehemalige C3-Stellen zu beziehen, scheint kaum vielversprechender. Dies würde ebenso Mittelbaustellen kosten, denn die in sechs Jahren ausscheidenden Hochschullehrer sind ja noch da. Dieses Verfahren würde von dem gerade promovierten Juniorprofessor verlangen, seine wissen­schaftlichen Interessen auf den Bereich auszurichten, der in sechs Jahren von einer Professur abgedeckt werden soll. Es würde von den Instituten und Fachbereichen eine weit in die Zukunft reichende Entwicklungsplanung verlangen. Und das Angebot an Juniorprofessuren könnte nur ein sehr kleines sein. Praktischerweise würde man dann wohl die Juniorprofes­soren serienweise auf C3 Dauerstellen übernehmen. Auch in diesem Fall gälte das Problem der kostenneutralen Ausstattung.

In beiden Fällen würde für die heute 35 bis 45jährigen Habilitierten und HabilitandInnen der Sack ziemlich zugemacht werden. Im ersten Falle wären sie ausschließlich auf ausgeschrie­bene Professuren verwiesen, im zweiten Fall wären sie an diesen vorbeiqualifiziert, weil der Zugang zu Professuren eine WissenschaftlerInnengeneration tiefergelegt worden wäre.

Genau hier kommt die oben schon einmal angeschnittene Zwangsbeglückungsproblematik zum Tragen. Der Ausweg auf befristete Projektstellen wird möglicherweise verschlossen sein. Weil das Bundesforschungsministerium der Meinung ist, dauerhaft befristet Beschäftigen sei unsozial, soll nur ausnahmsweise und nur zum Behufe der Qualifikation in seinem Verantwortungsbereich befristet beschäftigt werden. Was schwierig wird, wenn befristetes Beschäftigen quantitativ gesehen in diesem Verantwortungsbereich der Regelfall ist. Das Ministerium macht es sich insofern leicht, als es mit dem Verweis auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz Befristungen jenseits der Qualifikationsphase aus seinem arbeitsrechtlichen Verantwortungsbereich exkommuniziert und gleichzeitig die Fiktion der Professur als Abschluß der wissenschaftlichen Regelbiographie aufbaut. Ersteres ist einfach nur verantwortungslos und schlampig und verschiebt den schwarzen Peter und das Beschäfti­gungsrisiko an die Universitäten, Zweiteres massiv realitätsblind, aber vermutlich kommuni­kativ entlastend.

Es sind zwar die Universitätskanzler, die sich weigern, das Teilzeit- und Befristungsgesetz anzuwenden, um Risiken, deren Ausmaß ihnen unbekannt ist, zu vermeiden, aber es scheint mir wenig glaubwürdig, daß eine derartige Entwicklung nicht im Gesetzgebungsprozeß absehbar gewesen wäre. Also muß im Ministerium eine „wo gehobelt wird, fallen Späne Stimmung“ vorgeherrscht haben, zumindest lassen mündliche Äußerungen des Staatssekretärs Catenhusen darauf schließen. Die Realitätsblindheit ist m. E. noch gravierender als die eben beschriebene Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit schlecht vertretenen Nachwuchswissen­schaftlerInnen und ihren Standesorganisationen, läßt sie doch auf ein fundamentales Unverständnis eines gesellschaftlichen Rollenwandels wissenschaftlichen Arbeitens schließen und auf eine Weigerung oder Unfähigkeit, etwaige diesbezügliche Beobachtungen in wissenschaftsorganisatorische Überlegungen und Diskurse einzubeziehen. Anstatt Berufswege durchlässig zu machen, einen Personalaustausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung zu ermöglichen, wird genau das Gegenteil gemacht. Es wird eine (Wissenschafts)-laufbahn imaginiert und konstruiert, die zügig und linear durchlaufen werden soll und die mit dem Professorat nur ein Ziel kennt.

Zu allem Überfluß scheint es so, als wolle man Fehler der 70er Jahre, als mit Massen­berufungen und Überleitungen sämtliche universitären Aufstiegskanäle verstopft und gemeinsam älterwerdende ProfessorInnenkohorten ins Leben gerufen worden sind, wiederholen. Nichts spricht dafür, warum der durchschnittliche Juniorprofessor nicht männlich, 30-32jährig und aus guten Hause sein sollte. Vorteile, die in der Diversität in generationsmäßiger, sozialer und geschlechtlicher Durchmischung liegen können, werden hier aufs neue verschenkt.

Literatur

Herbert, Ulrich: Die Posse. An den Unis werden Massenentlassungen als Reform verkauft, SZ vom 9. Januar 2002

Köhler, Thomas / Jörg Gapski / Martin Lähnemann: Von der alternativen zur konformistischen Revolution? Zum Strukturwandel von „Lebenschancen“ und „Lebensführung“ im westdeutschen Studierendenmilieu; in: Erhard Stölting / Uwe Schimank (Hg.): Die Krise der Universitäten, Leviathan Sonderheft 20, Wiesbaden (Westd. Verlag) 2001, S. 265 - 294

Koschorke, Albrecht: Unfreiwillige Selbstkontrolle. Wir haben sie so geliebt: Was bleibt von der Freiheit der Universitäten, wenn sich Sozialdemokraten ihrer annehmen, SZ vom 23. Januar 2002

Neuweiler, Gerhard: Endlich eine Reform, die dieses Prädikat verdient, FR vom 27. Februar 2002

Willms, Johannes: Mittelbau zum Zweck. Vom Leiden an der selbstverschuldeten Unmündigkeit, SZ vom 4. Februar 2002



[1] Hier insbesondere die Süddeutsche Zeitung und die FAZ. Die FR hüllte sich bis zum 27. Februar in Schweigen, um dann im Dokumentationsteil einen langen Belobigungsartikel von Gerhard Neuweiler abzudrucken. Von Seiten der Redaktion wurde der Text mit Formulierungen wie „von Seiten Konservativer werde nun Edelgard Buhlmahns gutes Gesetz attackiert“ eingeleitet. (Vergl. Neuweiler / FR 27.2.02)

[2] Er soll gesagt haben, die Generation der Privatdozenten „müsse man nun leider verschrotten“. (Vergl. Herbert / FR 9.1.02) Fr. Bulmahn ist derzeit auf der Suche nach dem Mann, erhält aber weder von Ulrich Herbert noch von der Süddeutschen Zeitung, aus nachvollziehbaren Gründen des Quellenschutzes, eine Auskunft. Aus ebenso nachvollziehbaren Gründen meldet der Mann sich nicht freiwillig.

[3] So der Privatdozent Rainer Tosstorff. H-Soz-u-Kult. (Reaktion auf HRG) vom 17. Januar 2002, S. 9.

[4]  So z.B. Albrecht Koschorke in der SZ vom 23. Januar. Er beschwört die Extraterritorialität der (bekannter­maßen exzellenten?) deutschen Universitäten des 18. Jahrhunderts und beklagt, was die Sozialdemokratie daraus gemacht habe.

[5] Der Pädagogisierungsvorwurf stammt von Johannes Willms in der SZ vom 4. Februar. Die Grenzen des Verschrottungsdiskurses zu professoralkonservativem Trittbrettfahrertum werden angesichts solcher Argumentationen fließend.

[6] Vergl. dazu Untersuchungen der sozialmoralischen Milieus von Studierenden in den 80er Jahren. Aktuell Köhler / Gapski / Lähnemann 2001, S. 276 ff..

[7] TDL: Tarifgemeinschaft deutscher Länder.

[8] Am ehesten wahrscheinlich, weil sie die immer mitlaufende Möglichkeit des „nicht Hochschullehrer Werdens“ personell repräsentieren.



Autor: "Carsten v. Wissel" <Carsten.von_Wissel@tu-berlin.de>
Institut für Soziologie der TU-Berlin
Date: 08.04.2002