Kettenbrief der Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Bundesregierung plant eine tiefgreifende Aenderung des Hochschuldienstrechts noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode (2002). Darin ist die Verjuengung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Einrichtung von "Juniorprofessuren" bei gleichzeitiger Abschaffung der Habilitation vorgesehen. Aufgrund fehlender Uebergangsregelungen droht die Generation der jetzt 35-45 jaehrigen HabilitandInnen und PrivatdozentInnen dabei jedoch der Universitaet verloren zu gehen. In der bisherigen Fassung schickt die geplante Reform den existierenden wissenschaftlichen Nachwuchs im Laufe der naechsten Jahre Schritt fuer Schritt auf die Strasse. Aus diesem Grund wendet sich der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland mit einer Resolution an die Oeffentlichkeit und das Bundesministerium fuer Bildung und Forschung (BMBF).

Wir rufen alle HabilitandInnen und PrivatdozentInnen auf, diese Resolution zu unterstuetzen! Durch Betaetigung des "Support-Buttons" auf der eigens fuer diesen Zweck eingerichteten Internetseite http://www.wissenschaftlichernachwuchs.de/ geben Sie Ihr Einverstaendnis dafuer, dass Ihr Name auf der Liste erscheint, die zusammen mit der Resolution dem BMBF zugeleitet werden wird. Auf der genannten Internetseite finden Sie zugleich weitere Informationen und interessante Links zur Hochschulreform.

Fuer Rueckfragen verwenden Sie bitte die folgende Email-Adresse: resolution@wissenschaftlichernachwuchs.de.

Bitte leiten Sie diese Email als KETTENBRIEF an Ihnen bekannte Betroffene aus ALLEN Faechern weiter!

Mit freundlichen Gruessen

Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de

Resolution des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland (HabilitandInnen/PrivatdozentInnen)

Die Bundesregierung plant eine tiefgreifende Aenderung des Hochschuldienstrechts noch vor Ende der laufenden Legislaturperiode (2002). Ziel dieser von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn auf den Weg gebrachten Reform ist die Staerkung des Wissenschafts- und Forschungssystems und der Wettbewerbsfaehigkeit der deutschen Hochschule auch im internationalen Vergleich.

Auf der Basis des Berichts der von Bulmahn eingesetzten Expertenkommission "Reform des Hochschuldienstrechts" (RH) liegt unter dem Titel "Hochschuldienstrecht fuer das 21. Jahrhundert" (H21) auch bereits ein Konzept des Bundesministeriums fuer Bildung und Forschung (BMBF) vor.

Dort ist neben einer leistungsgerechteren Besoldung der Professorenschaft insbesondere die Foerderung und Verjuengung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch Einrichtung von "Juniorprofessuren" bei gleichzeitiger Abschaffung der Habilitation vorgesehen. An der Arbeit der Expertenkommission sowie bei der Entwicklung des BMBF-Konzeptpapiers sind keine VertreterInnen des wissenschaftlichen Nachwuchses beteiligt worden.

Als HabilitandInnen und PrivatdozentInnen befuerworten wir grundsaetzlich das Reformvorhaben. Jedoch kritisieren wir auf der formalen Ebene die fehlende Einbeziehung von VertreterInnen des wissenschaftlichen Nachwuchses in das Verfahren. Aus diesem Sachverhalt erklaert sich die fehlende Beruecksichtigung des existierenden wissenschaftlichen Nachwuchses auf der inhaltlichen Ebene. Weder im Bericht der Expertenkommission noch im Konzeptpapier des BMBF ist an eine Uebergangsregelung fuer den existierenden wissenschaftlichen Nachwuchs vom alten auf das neue System gedacht.

Die Generation der jetzt 35-45 jaehrigen HabilitandInnen und PrivatdozentInnen, deren hochqualifizierte Ausbildung in Lehre und Forschung die SteuerzahlerInnen viel Geld gekostet hat, droht der Universitaet aufgrund fehlender Uebergangsregelungen verloren zu gehen. In der bisherigen Fassung schickt die geplante Reform den existierenden wissenschaftlichen Nachwuchs im Laufe der naechsten Jahre Schritt fuer Schritt auf die Strasse. Im Bericht der Expertenkommission kommt das in der folgenden Bemerkung zum Ausdruck: "Es findet keine Ueberleitung vorhandenen Personals statt. Der Verjuengungseffekt soll vielmehr sofort greifen. Vorhandene Habilitanden und Habilitandinnen koennen das Habilitationsverfahren zu Ende fuehren." (RH, S. 29)

Die unter anderem geplante Streichung von C2-OberassistentInnenstellen und C2-Hochschuldozenturen zugunsten der kostenneutralen Einrichtung von Juniorprofessuren nimmt den HabilitandInnen und PrivatdozentInnen, die nach Abschluss des Habilitationsverfahrens im Regelfall nicht sofort eine Professur erhalten, die existentielle Grundlage. Diese Grundlage erlaubte es ihnen bisher, sich in einem angemessen Zeitrahmen von 4-6 Jahren am Wettbewerb um ausgeschriebene Professuren zu beteiligen. Zudem steht zu befuerchten, dass auch Mittel aus eigentlich neu zu besetzenden C3- und C4-Professuren zur Finanzierung der Ausstattung von Juniorprofessuren abgezogen werden, so dass in den naechsten Jahren noch weniger Stellen auf dem Markt zur Verfuegung stehen werden als dies ohnehin bereits der Fall ist.

Weiterhin haben auch die Institutionen, die Drittmittel vergeben, angekuendigt, sich in Bezug auf die Vergabe von Foerdermitteln der Reform in der Weise anzupassen, dass eine Foerderung des sich habilitierenden bzw. habilitierten Nachwuchses nicht mehr bzw. nur noch in extrem reduzierter Form vorgesehen ist. So sieht die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bereits jetzt die Abschaffung von Habilitationsstipendien und die systematische Reduzierung von Heisenbergstipendien vor. Insbesondere ist eine strikte Altersgrenze von 35 Jahren selbst fuer die Vergabe reiner Forschungsstipendien vorgesehen.

Das bedeutet: Die Generation der heutigen HabilitandInnen und PrivatdozentInnen, ohne deren Einsatz und Engagement die akademische Lehre und wissenschaftliche Forschung in Deutschland zum gegenwaertigen Zeitpunkt schlagartig zusammenbrechen wuerde, wird in den naechsten Jahren aus dem Universitaetssystem herausselektiert und durch juengere Nachwuchskraefte ersetzt, die bereits nach dem neuen System ausgebildet wurden. Dabei soll die Ausbildung dieser zukuenftigen Nachwuchskraefte noch von dem gegenwaertigen Nachwuchs mit durchgefuehrt werden. Ueber die Zukunftsaussichten des letzteren heisst es im Konzeptpapier des BMBF lapidar: "Habilitierte sind in Deutschland im Durchschnitt 40 Jahre alt. Eine berufliche Neuorientierung ist zu Beginn des fuenften Lebensjahrzehntes so gut wie unmoeglich." (H21, S. 12)

Das BMBF weist mit dieser Bemerkung zwar indirekt selbst auf die Dringlichkeit einer Uebergangsloesung fuer den existierenden wissenschaftlichen Nachwuchs hin. Es zieht aus der beschriebenen Lage, die fuer die betroffenen hochqualifizierten AkademikerInnen in die Arbeitslosigkeit oder Sozialhilfe fuehrt, jedoch bisher nicht die notwendigen Konsequenzen.

Das mit 40 Jahren relativ hohe Durchschnittsalter der PrivatdozentInnen ist durch Maengel des alten Systems und nicht durch Langsamkeit des akademischen Nachwuchses verschuldet. Hinzu kommt, dass die gegenwaertige Generation der HabilitandInnen und PrivatdozentInnen den Neuaufbau der Universitaeten in den neuen Bundeslaendern aktiv mitgestaltet und in Zeiten ueberfuellter Hochschulen unter hoechster persoenlicher Belastung und haeufig unter Verzicht auf Familie und Kinder den Lehr- und Forschungsbetrieb aufrecht erhalten hat. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die Bildungspolitik in fast allen Bundeslaendern in den letzten Jahren einerseits rigoros Professorenstellen gestrichen und andererseits die Zahl der Habilitierten durch gezielte Foerdermassnahmen erhoeht hat.

Es besteht grundsaetzlich ein Anspruch auf institutionelle Sicherheit, der im Zusammenhang mit Strukturreformen normalerweise in Form von Uebergangsloesungen fuer die betroffenen Personengruppen beruecksichtigt wird. Auch bei der Reform des Hochschuldienstrechts muss sich der Staat seiner diesbezueglichen Verantwortung stellen. Als Uebergangsregelungen fordern wir:

- Keine Umwidmung von freiwerdenden C3- oder C4-Professuren in Juniorprofessuren, sondern umgehende Neuausschreibung und beschleunigte Nachbesetzung als C3- oder C4-Professuren (bzw. - nach der Nomenklatur des reformierten Systems - als W2- oder W3-Professuren).

- Keine Altersbegrenzungen bei der Erstberufung Habilitierter (d.h. diesbezuegliche Gleichstellung der Habilitation mit einer Erstberufung).

- Bevorzugte Einstellung von PrivatdozentInnen (kein "Berufungskarussell") in den Jahren bis zum Greifen der Reform und bis zur Verfuegbarkeit berufungsfaehiger JuniorprofessorInnen.

- Angemessene Uebernahmeregelungen (z.B. in Form entfristeter C2-Stellen) fuer bis zum Zeitpunkt des Verfuegbarwerdens berufungsfaehiger JuniorprofessorInnen nicht berufene PrivatdozentInnen.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Karin Hartewig" <KHartewig@aol.com>
Subject: Initiative "wissenschaftlicher Nachwuchs"
Date: 20.05.2001