Vielleicht druckt die SZ folgenden Leserbrief ab, vielleicht auch nicht, deshalb in diesem Forum auch zur Information, Diskussion oder als Anregung ...
Leserbrief zum Beitrag von Alexander Kissler in der SZ vom 2.2.2002:
"Mittelmaß statt Mittelbau"
Wir betroffenen promovierten "Nachwuschwissenschftler(innen)" sollten sie doch wirklich gleich beim Wort nehmen, die Befürchtungen des Deutschen Hochschulverbandes, dass es in Folge der Buhlman'schen Hochschulreform eine Massenabwanderung dieses nun abgewickelten Nachwuchses, in dessen Qualifikation der deutsche Staat jahrelang investiert hat, ins Ausland gebe. Wenn alle "Nachwuchswissenschaftler" nach absolvierten 12 Jahren mit einer Art Berufsverbot an deutschen Hochschulen belegt werden (es sei denn sie ergattern eine der raren unbefristeten Plan- oder Hausstellen im Mittelbau oder eine Professur), was hindert uns dann daran, die wir ja durchaus berechtigt und auch längst erfolgreich sind, Drittmittel verantwortlich bei den einschlägigen deutschen Förderinstitutionen einzuwerben, diese Projektmittel unter den Arm zu klemmen und sich eine gastfreundliche Uni im Ausland zu suchen, die einen mit Geld und know how in der Tasche sicher gerne aufnimmt.
Schließlich sollten uns die Institutionen, die mit ihren Drittmitteln die deutsche Hochschullandschaft in Form von Projekten bislang stützten und bereicherten, davon nicht abhalten wollen, wenn sie ihren Anspruch auf Qualitätssicherung und ihre zunehmend internationale Orientierung tatsächlich ernst nehmen. Zunächst haben sie - erfolgsorientiert, wie sie sein müssen - schließlich auch ihre Erfahrungen, dass ihre Mittel doch besser beim "forschungserfahrenen" Nachwuchs aufgehoben sind als bei einem von einem überlasteten Professor betreuten Doktoranden, der - bei allem Respekt - ein Forschungsprojekt nicht in gleicher Weise wie ein promovierter oder habilitierter Forscher durchziehen kann. Zum zweiten, gerade Stiftungen wie die VW-Stiftung haben sich eine transnationale Förderpraxis auf die Fahnen geschrieben, fördern in ihren Programme gezielt Projekte, in denen deutsche Hochschulen mit ausländischen kooperieren. Und schließlich reden die "Eliten" - Politiker, Wissenschaftler und Medien - ja generell immer vom hereinbrechenden postnationalen Zeitalter, von der Auflösung des Nationalstaats - nehmen wir sie doch mal mehr beim Wort und werden wirklich - auch als Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler - "postnational".
Oder sieht man dann doch, wenn wir selbstbewusst weggehen, vielleicht wieder die deutsche "Kulturnation" bedroht wie - welch Anachronismus! - Edelgard Bulmahn, die mit ihrer Reform doch gerade auch bezweckt, die im Ausland bereits arbeitenden Wissenschaftler in die "Heimat" zurückzurufen (siehe Frankfurter Rundschau, 20.1.2001).
Sicherlich wäre eine solche potentielle Massenabwanderung auch im Kontext der Pisa-Studie zu reflektieren - Deutschland "stirbt" als "Kulturnation" aus, dies war nach ihrer Veröffentlichung immer wieder ein Subtext, mit dem die große Betroffenheit über das im internationalen Vergleich schlechte Abschneiden deutscher Schüler in Verbindung gebracht wurde. Wenn nun aber auch der wissenschaftliche Nachwuchs noch das Ausland mit seinem know how bereichert, da müssten doch einige wertkonservative Politiker ebenfalls trotz aller postnationaler Lippenbekenntnisse bis ins Mark erschüttert sein und um den "Standort Deutschland" bangen. Und wenn es diese "Patrioten" nicht auch bei Rotgrün gibt, schließlich sind ja demnächst auch Wahlen ...
Dr. Irene Götz
Institut für Europäische Ethnologie
Humboldt Universität Berlin