Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

"Wer zahlt, schafft an."
An den Hochschulen beginnt ein Kampf der Kulturen

Von Josef Früchtl, Philosophisches Seminar an der Universität Münster

 

Als die rot-grüne Bundesregierung 1998 an die Macht kam, konnte man hoffen, dass nun endlich auch in der Bildungspolitik ein mutiger Schritt nach vorne getan würde. Und in der Tat hat die neue Regierung auf diesem Sektor einen Schritt getan, doch je mehr offenbar wird, wie wenig durchdacht er war, desto mehr wächst der Verdacht, dass die so genannte Reform nicht nur finanziell ein Nullsummenspiel ist: Was man auf der einen Seite gewinnt, geht auf der anderen verloren. Wieso?

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat ein neues Hochschulrahmengesetz vorgelegt. Es packt einige, genauer drei heiße Eisen an: die Einführung der Juniorprofessur, ein neues Befristungsrecht und ein neues Dienstrecht für Professorinnen und Professoren.

Die Juniorprofessur soll jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erlauben, nach Abschluss der Promotion eigenständig zu forschen und zu lehren. Das ist zunächst ein gegenwärtig unverzichtbarer Zugewinn an Internationalität. Intern wird der wissenschaftliche Nachwuchs überdies aus der Zuordnung zu einem Lehrstuhl entlassen, die immer auch eine Unterordnung war: Die beflissenen Aktentaschenträger der Professoren gehören nun endlich der Vergangenheit an. Und noch ein anderer alter Zopf wird gleich mit abgeschnitten: die Habilitation. Sie soll zukünftig nicht mehr die Regel sein, um eine Professur zu erlangen. Sich dieser Regel zu beugen hieß bisher, einen langwierigen, masochistischen Initiationsritus auf sich zu nehmen, der zumindest in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften verlangt, voluminöse schriftliche Arbeiten vorzulegen, denn nur mit einem solchen Ausweis an Bildungsmasse konnte man sich als würdig erweisen, in die Zunft aufgenommen zu werden.

Zum zweiten ermöglicht das neue Gesetz befristete Arbeitsverhältnisse zur wissenschaftlichen Qualifikation neben der Juniorprofessur, beschränkt diese Phase allerdings auf zwölf Jahre, um die Praxis eines lebenslangen Durchwurstelns in "Projektkarrieren" abzustellen.

Das neue Dienstrecht schließlich führt eine leistungsorientierte Besoldung ein. Professoren, die, einmal verbeamtet, nichts mehr publizieren, Semester für Semester ihr immer gleiches Lehrprogramm lustlos abspulen, für die Studierenden unansprechbar sind und keine Gelder für Forschungsprojekte akquirieren, wird es zwar weiterhin geben, aber sie werden dafür nicht auch noch durch Alterszuschläge und tarifrechtlich anstehende Gehaltserhöhungen belohnt.

Je näher man sich das Gesetzeswerk freilich ansieht, desto deutlicher wird, dass das was ursprünglich vernünftig erschien, mitunter nur noch absurd zu nennen ist: Die Juniorprofessur soll unter anderem verhindern, dass junge, hochbegabte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ins attraktivere Ausland abwandern. Nun sieht das neue Gesetz aber eine Lehrverpflichtung von bis zu acht Stunden pro Woche vor, so dass sich die Frage stellt, wie ein Juniorprofessor besser forschen und lehren soll als bisher ein Assistent oder Privatdozent, der lediglich zwei bis vier Stunden pro Woche zu absolvieren hat, von Prüfungsbelastungen und Gremienarbeit zum Großteil befreit ist und darüber hinaus sich nicht darum zu kümmern braucht, Forschungsgelder einzuwerben. Hier kann sich der Gläubige unter den Wissenschaftlern nur noch für die Gnade der frühen Geburt bedanken und den nachfolgenden Generationen sein aufrichtiges Mitleid bekunden.

Den lautesten Aufschrei des Entsetzens hat vorerst das neue Befristungsrecht provoziert. Edelgard Bulmahn, die zuständige Ministerin, hat hier inzwischen zwar "nachgebessert", aber das Problem ist damit nicht aus der Welt. Denn nach wie vor ist unklar, ob nicht der Großteil derjenigen, deren Zwölf-Jahres-Frist vorüber ist, alle Türen der Wissenschaft mit einem Schlag verschlossen findet, und zwar innerhalb wie außerhalb der Universität.

Die Ministerin unterliegt hier schlichtweg einer zweifachen Illusion: Zum einen geht sie davon aus, dass es der Normalfall sei, nach zwölf Jahren eine feste Anstellung gefunden zu haben. Zum anderen glaubt sie offenbar, sie allein verfüge über die richtige Interpretation des Gesetzestextes. Hätte sie je einen Grundkurs in Hermeneutik oder Dekonstruktion besucht, dann wäre ihr die naive Idee nicht gekommen, man müsse den Beteiligten nur eine "Handreichung des Arbeitsrechts" zusenden und alle, speziell die Arbeitsrichter, würden dann endlich verstehen, dass man auch länger als zwölf Jahre auf befristeten Stellen verbleiben kann.

Am wenigsten hat bisher das neue Dienstrecht Widerspruch erregt. Dabei zeigt sich hier die mächtige Tendenz, die die gesamte Reform vorantreibt, am plakativsten. Die Rhetorik, mit der sie sich verkauft, ist längst in das gängige Vokabular eingesickert und in gleichmäßigen Abständen öffnen sich die entsprechenden medialen und publizistischen Schleusen. Dann tönt es von "Leistung", "Wettbewerb" (genauer: "freiem" Wettbewerb), "Effizienz", von der Universität als "knowledge factory" ist die Rede und von der Erfordernis, sie "wirtschaftsschnittig" zu machen. Es ist das alte Lied vom Markt, der alles richten wird, das hier erklingt. Trocken wie ein Techno-Beat verkündet es den zeitgemäßen Turbo-Rhythmus, in dem jeder mit muss. "Raus aus der Zwangsjacke" der staatlichen Bürokratie und hinein in die "völlige Liberalisierung", verordnete kürzlich Peter Glotz in der Zeit. Die Professorenschaft dem Leistungsprinzip zu unterstellen, wenn auch (vorerst) nur teilweise, ist ein weiterer kleiner Schritt in dem großangelegten Unternehmen, die ökonomische Theorie des Neoliberalismus in die Tat zu überführen.

Auf die alte Lateiner-Frage: "Cui bono? Wem nützt das eigentlich?" antworten knallharte Neoliberale, ohne zu erröten, selbstredend mit: "Allen". Wer Sozialwissenschaften oder Philosophie studiert hat, wird bei dieser Antwort freilich hellhörig. Denn nach diesem Muster verfährt klassischerweise jede Ideologie. Sie behauptet einen allgemeinen Nutzen, um den dahinterstehenden privaten Nutzen zu kaschieren. Und es ist nur eine besonders pikante Variante, beides zusammenfallen zu lassen. Dann bekennt man mit gewinnendem, weil gewinnbringendem Lächeln: "What is good for General Motors, is good for the USA."

Wird das Hochschulsystem auf das System der Marktwirtschaft "umgestellt", gibt es mit Sicherheit drei Gewinner: Der Staat bzw. in Deutschland die Länder können sich nun definitiv Stück für Stück aus der Hochschulfinanzierung verabschieden. Nachdem man, und zwar unter Regierungen aller Couleur, in den späten 1970er Jahren begonnen hat, die Universitäten kaputtzusparen, gibt man sie nun zur Plünderung frei. Staat und Länder frieren jedenfalls ihre Finanzierung noch unterhalb des derzeitigen Niveaus ein und überlassen alles andere der Einwerbung von Drittmitteln.

Damit treten die beiden anderen Gewinner auf den Plan. Denn zum einen eröffnet sich jetzt der Privatwirtschaft der Zugriff auf die Sphäre der Wissenschaft in weitaus direkterer Weise als bisher. Wer zahlt, schafft an. Dieses hemdsärmelige Gesetz werden all jene in der Forschung kräftiger zu spüren bekommen, die ihre Untersuchungen im Auftrag der Industrie vornehmen. Aber auch allgemein wird die Einflussmöglichkeit der Geldgeber größer. Man höre sich nur einmal in den USA um, wie es mit der Meinungsfreiheit auch der Professoren nach dem 11. September des vergangenen Jahres bestellt ist. Jede kritische Stimme ist ein Risiko für das fund-raising.

Zum anderen entstehen internationale Bildungskonzerne. Die International University Bremen bietet hierfür als Franchise-Betrieb der Rice-University in Texas ein aktuelles Beispiel. Und auf dieser Ebene bahnt sich auch der nächste große Einschnitt an. Denn alle Staaten der Europäischen Union haben das so genannte GATS-Abkommen unterzeichnet, das "General Agreement on Trade in Services". Ausländische Anbieter sind demnach beim Handel mit Dienstleistungen inländischen gleichzustellen, und zu diesen Dienstleistungen gehört auch die Bildung. Noch gilt in diesem Zusammenhang eine Klausel, nach der die Staaten sich vorbehalten, ihre Bildungseinrichtungen zu subventionieren. Wenn diese Klausel in zwei Jahren fällt, können ausländische Schul- und Hochschulfilialen aber entweder ihrerseits Subventionen in Anspruch nehmen oder gegen das ganze System, und damit etwa auch gegen das kostenlose Studium, mit Aussicht auf Erfolg klagen.

Zu den Gewinnern werden innerhalb der Universität schließlich die angewandten Naturwissenschaften, die Wirtschaftswissenschaften und in geringerem Maße die empirischen Sozialwissenschaften zählen, nicht aber die Grundlagenforschung und die traditionell so genannten Geisteswissenschaften. Letztere braucht man allenfalls für einen Ethikrat oder Ähnliches.

Wie aber kann eine Universität aussehen, die sich von den Fanfarenstößen des Neoliberalismus nicht beeindrucken lässt? Man kann immerhin eine allgemeine Maxime ausgeben. Sie erschließt sich jedem, der das jüngst erschienene Buch Die Schatten der Globalisierung von Joseph Stiglitz liest. Fassungslos zeigt sich dort der angesehene Ökonom vor dem Gebaren des IWF, den man in der Tat ab sofort nur noch "Ideologischer Währungsfonds" nennen sollte. Denn statt sensibel zu sein für die Bedingungen des jeweiligen Landes, verabreicht der IWF das immer gleiche Rezept: Öffnen der Märkte! Wettbewerb! Staatliche Sparpolitik usw. usf.! Wirklich erfolgreich, im ökonomischen wie sozialen und ökologischen Sinn, ist aber Stiglitz zufolge erst eine Politik, die weiß, wann sie besser nicht dereguliert. In der Sprache der alteuropäischen Philosophie heißt das, über Phronesis oder Urteilskraft, über Klugheit zu verfügen. Denn dumm ist nicht, wer nichts weiß, sondern wer sein Wissen nicht anzuwenden weiß. Von Fall zu Fall muss demnach entschieden werden, auch in der Hochschulpolitik. Privatisierung ist nicht das Maß aller Dinge.

Diesem Klugheitsdenken zur Geltung zu verhelfen, bedeutet nicht weniger, als einen Kampf der Kulturen aufzunehmen. In den letzten Jahren hat die westliche Welt diesen Kampf außen, im Verhältnis zur islamischen Welt vermutet. Und wie fast immer in so einem Fall vergisst man, dass dies auch der Ablenkung von inneren Kämpfen dient. Zu ihnen gehört seit der Ära Reagan und Thatcher der Kampf zwischen zwei Formen des Kapitalismus: dem angelsächsisch-neoliberalen auf der einen und dem "rheinischen", also christ- und sozialdemokratischen auf der anderen Seite. Es ist ein Kampf um die Frage, ob und wie sozial die Marktwirtschaft sein soll. Und wem es übertrieben erscheint, hier von "Kultur" zu sprechen, lese in Max Webers berühmter Studie Die protestantische Ethik und der ,Geist' des Kapitalismus nach. Dort schon kann man nämlich lernen, in welchem Ausmaß Wirtschaftssystem und Lebensführung beinahe lückenlos ineinandergreifen.

Hinweis:
Dieser Artikel erschien am 08.05.2002 im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Unter der Webadresse

http://www.fr-aktuell.de/archiv/fr30t/h120020507074.htm

ist er im Internetarchiv der Frankfurter Rundschau zu finden. Wir danken dem Autor und der Redaktion der Frankfurter Rundschau für die Überlassung des Artikels.


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Josef Früchtl" <fruecht@uni-muenster.de>
Subject: HRG: Artikel "Wer zahlt, schafft an."
Date: 14.05.2002