Debatte um die Reform des Hochschulrahmengesetzes

Dagmar Freist: Stellungnahme zur Neufassung des Hochschulrahmengesetzes

Die Auswirkungen des neuen HRG haben endlich, hoffentlich nicht zu spät, quer durch die Fachdisziplinen und Statusgruppen eine öffentliche kritische Resonanz gefunden, nicht zuletzt in dem gestern (15.1.) ausgestrahlten Beitrag "Arbeitslos per Gesetz" in der Sendung FRONTAL.. Bei aller in diesen Seiten geäußerten berechtigten Kritik angesichts des "Schweigens" in der Vergangenheit ist die jetzige Initiative von Hochschullehrern, die an die Öffentlichkeit gegangen sind, ausdrücklich zu begrüßen.

Die Herstellung einer Öffentlichkeit allein und der Austausch innerhalb der eigenen Fächer wie in dieser mailing-liste reichen allerdings nicht aus. Parallel dazu müssen weitere politische Schritte folgen. Dazu kann jeder/jede abhängig von der eigenen Position beitragen: Briefe, mails und Telefonate sollten an Regierungsmitglieder, vor allem aber auch an lokale Abgeordnete und Bundestagskandidaten/innen gerichtet werden (mit Verweis auf Info- material wie unter www.historicum.net/f Genese des Gesetzes und Presseschau) mit der Bitte um eine klare Stellungnahme. Die Erfahrung hat schon gezeigt, dass viele Verantwortungsträger mit den Details dieses Gesetzes, vor allem aber auch den beschriebenen Auswirkungen nicht vertraut waren und einigermaßen irritiert sind. Eine weitere Möglichkeit - die viele auch schon nutzen - besteht darin, kompetente und kritische/geeignete Leute der örtlichen Presse anzusprechen und u.a. vorzuschlagen, dass sie Bundestagskandidaten zu dieser Frage interviewen. Aber auch hier hat die Erfahrung gezeigt, dass solche Interviews durch kritische Begleitartikel mit Hintergrundinfo begleitet werden müssen, da die Gefahr besteht, dass öffentlich alles verharmlost wird und genau der gegenteilige Effekt erzielt wird. Wer die Möglichkeit hat, sollte diese Aktivitäten mit anderen Fachdisziplinen wie die Naturwissenschaften koordinieren und versuchen, entsprechende Informationen auch über deren mailing-Listen weiterzugeben.

Die entscheidenden Argumente sind bereits auf diesen Seiten und anderswo ausgetauscht. Hier noch einmal in Kürze einige Gesichtspunkte, die auch in Briefen an Abgeordnete etc. aufgenommen werden könnten:(Ehemalige) Mitglieder von Hochschulen - bundesweit - sind bereits von der Regelung (12 Jahres Frist) des neuen HRG betroffen. Alle anderen, die auf Stellen mit befristeten Verträgen sitzen, können sich ausrechnen (12 Jahre inklusive! Stipendien und wiss. Hilfskraftstellen), wann es Ihnen gesetzlich verboten sein wird, jegliche an einer Universität oder wissenschaftlichen Einrichtung verankerte Stelle, auch Projektstelle, anzunehmen - bzw. ihnen darf keine Stelle mehr angeboten werden.

Das HRG hat nicht nur Auswirkungen auf die Zukunftsaussichten einer ganzen Generation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die kurz vor dem Ziel stehen, sondern auch auf die Forschungslandschaft insgesamt, die sich derzeit durch Interdisziplinarität, Internationalität und Innovation auszeichnet und die u.a. durch das Zusammenspiel von großen Forschungsprojekten und Forschergruppen bereits erfahrener Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Qualifikationsarbeiten und wichtigen Einzelprojekten charakterisiert ist. Ein großer Teil dieser Forschungsleistung wird auf zeitlich befristeten Projektstellen in der Übergangsphase auf eine Dauerstelle oder auf weitere, neue projektfinanzierte Forschung erbracht. Das neue HRG erzwingt eine Reduzierung der in der Forschung aktiven Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und reduziert damit auch den wissenschaftlichen Ertrag auf den output von Promotionen, auf die Arbeiten zukünftiger Juniorprofessoren/innen (wenn diese überhaupt Zeit haben werden, forschungsintensiv zu publizieren) und Professoren/innen. Man darf gespannt sein auf "Pisa 2", bezogen auf die deutschen Hochschulen in 5- 10 Jahren.

Und drittens: die Regelungen widersprechen völlig den Vorstellungen eines offenen Arbeitsmarktes, der heute eben nicht mehr davon ausgeht, dass Leute einen einzigen Beruf abgesichert bis zum Ende ihrer Arbeitszeit verfolgen, sondern der im Gegenteil Flexibilität und Eigeninitiative fordert. Eben diese Eigeninitiative, Flexibilität, Risikobereitschaft und auch Mobilität haben in der Vergangenheit junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (mit ihren Familien) ausgezeichnet und dazu geführt, das sie trotz sehr schlechter Aussichten auf eine sofortige Dauerstelle ihre Kompetenzen und Erfahrungen und Leistungsbereitschaft sinnvoll und erfolgreich in finanzierte Projekte eingebracht haben. Und genau dies ist jetzt gesetzlich verboten, und zwar zu einem Zeitpunkt, wo viele aufgrund gesammelter Erfahrungen am Ende der Qualifiaktionsphase leistungsstark und leistungsbereit sind. Zugegeben, die geringe Zahl an Dauerstellen stellt für den wissenschaftlichen Nachwuchs eine sehr große Belastung dar, die nicht unterschätzt werden darf, aber immerhin bestand bis vor kurzem die Möglichkeit, sich durch eigene Initiative und Leistung im wissenschaftlichen Betrieb und auf dem Arbeitsmarkt zu halten. Das wird nicht mehr möglich sein. Die jetzige Regelung gleicht einem Berufsverbot.

Das Gesetz muss in entscheidenden Punkten aus den genannten Gründen nachgebessert werden. Die Aussagen der zuständigen Ministerien (auf Landes. und Bundesebene), es sei alles "Panikmache" sind angesichts der Tatbestände zynisch und arrogant.

Dagmar Freist

Universitaet Osnabrueck
Geschichte der Fruehen Neuzeit


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: "Dagmar Freist" <dfreist@rz.uni-osnabrueck.de>
Subject: HRG
Date: 16.01.2002