1. Aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie/Volkskunde wird die neue
Befristungsregel im Hochschulrahmengesetz erhebliche negative Konsequenzen
nicht nur für die betroffene Personengruppe - den wissenschaftlichen
Nachwuchs und den Mittelbau der Institute - sondern auch für das gesamte Fach
in Lehre und Forschung haben.
Durch die Restriktionen bei befristeten Stellen gehen nicht nur die
Möglichkeiten der wissenschaftlichen Weiterqualifizierung im Anschluss an die
gesetzlich verordnete Anstellungsdauer und die Kontinuität in den
wissenschaftlichen Biografien verloren, weil der Fachanschluss nicht mehr
gewährleistet ist. Auch für die Institute werden sich in Forschung und Lehre
Engpässe ergeben, die durch das festangestellte Universitätspersonal nicht
ausgeglichen werden können.
Auch wenn eine Weiterbeschäftigung nach den 12 Jahren (bzw. 6 nach der Promotion) zumindest theoretisch grundsätzlich möglich ist, wird sie mit dem Verweis auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz erheblich erschwert. Nicht zuletzt die Publikationen von Prof. Preis, der das Gesetz maßgeblich geschaffen hat, machen deutlich, dass die arbeitsrechtlichen Risiken, die damit im Zusammenhang mit dem BAT verbunden sind, für die Hochschulen nicht unerheblich sind und sich durch die Rechtsprechung der kommenden Jahre mutmaßlich eher verschärfen werden.(1) Schon jetzt ist von "Gnadenregelungen" die Rede, die es in Einzelfällen geben wird.
Dass die hochschulpolitischen Intentionen des Gesetzes im Grunde darauf zielen, dass nach den 12 Jahren eindeutige Entscheidungen - Dauerstelle oder Ende der wissenschaftlichen Karriere - fallen sollen, wurde insbesondere von Ministerin Bulmahn immer wieder betont. Institutsleitern und Hochschulverwaltungen, die WissenschaftlerInnen bisher nicht nur aus sozialer Verantwortung heraus, sondern durchaus auch im Interesse der Hochschulen/Institute selbst immer wieder in drittmittelfinanzierten Zeitverträgen beschäftigt haben, wird nun ein "fehlendes Bewußtsein ihrer sozialen Verantwortung" (SZ 26.1.2002) vorgeworfen. Diese Vorhaltung enthält jedoch zwei wesentliche Verkennungsmomente: Zum einen führt ein solcher staatlicher Eingriff in die berufliche Selbstbestimmung, der einer paternalistischen Gängelung gleichkommt und vorgibt, vor risikoreichen Berufsbiografien schützen zu können, in der Tendenz eher umgekehrt gerade ein erhöhtes Risiko der Arbeitslosigkeit herbei. Zum anderen begeben sich WissenschaftlerInnen, die in Forschungs- bzw. Drittmittelprojekten beschäftigt sind, nicht in eine einseitig von Hochschulen und ProfessorInnen erbrachte Fürsorgesituation, sondern in der Regel haben sie sich - gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften - ihren Arbeitsplatz selbst geschaffen, indem sie Forschungsprojekte selbst oder zumindest mit konzipiert haben. Nur die Antragstellung musste auf Grund der Stiftungsvorgaben in den Regel im Namen von ProfessorInnen erfolgen. Insofern ist das, was hier als einseitige Fürsorgeleistung des unbefristeten Universitätspersonals angegriffen wird, eher als reziprokes Verhältnis zu sehen. Denn nicht zuletzt gehen von Forschungsprojekten wiederum wichtige fachinhaltliche Impulse in die Institute ein. Hinzu kommt, dass Forschung im Projektverband auch deshalb längst unverzichtbar ist, weil das hart eingespannte Universitätspersonal den Anforderungen in Forschung allein nicht mehr gerecht werden kann. Statt Projektarbeit zu erschweren, sollte sie eher großzügig gefördert werden, nicht zuletzt im Interesse der Universitäten selbst.
2. Aus der Perspektive der betroffenen NachwuchswissenschaftlerInnen stößt vor allem der normative Charakter der neuen Befristungsregelung ins Auge: Das Gesetz versucht, "Normbiografien" festzuschreiben, die den WissenschaftlerInnen wenig Entscheidungsspielraum lassen. Die Regelungen greifen in Lebensläufe und Selbstentwürfe ein - ohne dabei jedoch die Struktur und Logik des akademischen Arbeitsmarkts zu reflektieren. Die Alternative zu einem befristeten Arbeitsverhältnis an einer Universität oder einer universitären Forschungseinrichtung ist ja in der Mehrzahl der Fälle nicht die unbefristete feste Stelle innerhalb oder außerhalb der Universität, sondern ein in der Regel ebenso prekäres Arbeitsverhältnis bzw. die Selbständigkeit auf eigenes Risiko. Umgekehrt war die universitäre Laufbahn schon immer mit einem hohen Risiko behaftet - und darum wusste jedeR, der bzw. die sich darauf einließ - dafür bedarf es nicht der institutionellen Fürsorge. Flexibilität und Kreativität bei der Konstruktion der eigenen Patchwork-Biografie ist im akademischen Bereich ebenso unerlässlich wie hoch entwickelte Taktiken im Umgang mit Bürokratie und den beschränkten finanziellen Ressourcen der Hochschulen. Die Normierung von Biografien steht darüber hinaus auch im Widerspruch zu allen aktuellen Gesellschaftsprognosen, wonach "long life learning" und das projektorientierte Arbeiten in wechselnden Teams und auf Zeit immer mehr zur Normalität gehören werden. Diese Wege werden nun massiv beschnitten, dagegen eine Normbiografie in den Mittelpunkt der neuen Regelung gestellt, die zudem - in sozialdarwinistischer Manier - davon ausgeht, dass die besten sich durchsetzen und eine Professur erhalten werden. Zu fragen ist, ob eine an ein Berufsverbot grenzende Befristungsregelung nach den 2 x 6 Jahren Qualifikationszeit zum einen tatsächlich die Innovationsbereitschaft des wissenschaftlichen Nachwuchses fördern wird und zum anderen mit der grundgesetzlichen Freiheit der Berufswahl vereinbar ist. Und schließlich: wem kann angesichts solch begrenzter Aussichten - denn unbefristete Stellen wird es auch in Zukunft nicht für alle geben - noch nahegelegt werden, überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anzustreben?
3. Die neue Befristungsregelung schreibt auch, wenn auch sicherlich nicht bewusst, Kriterien der Qualifizierung von HochschullehrerInnen fest. Die Gleichsetzung von Stipendienzeiten mit Zeiten der Beschäftigung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter fördert im Grunde genommen die Höherbewertung der Forschung, während die Arbeitsbelastung des Mittelbaus jenseits der eigenen wissenschaftlichen Qualifikation in der Lehre und in der akademischen Selbstverwaltung nicht gleichwertig anerkannt werden. Denn die Entwicklung hochschuldidaktischer Kompetenzen ist kaum möglich, wenn die Qualifikation in einem so engen Zeitrahmen erfolgen soll - zeitintensive "Experimente" in der Lehre, etwa im transdisziplinären Bereich und eigene Fortbildung jenseits der Qualifikationsarbeit werden im Grunde genommen bestraft. Im Effekt wird damit die Lehre gegenüber der Forschung abgewertet.
Insbesondere wird die Politik des Gender-Mainstreaming und mit ihr alle Versuche, der strukturellen geschlechtsspezifischen Benachteiligungen an Universitäten entgegenzuwirken - etwa durch Formen der Teilzeitbeschäftigung für Erziehende, Kontaktstipendien in Erziehungszeiten etc. jenseits des gesetzlich geregelten Mutterschutz und Erziehungsurlaubs -, werden entwertet bzw. letztlich bestraft, da das HRGÄndG nur die gesetzlich geregelten Zeiten des Erziehungsurlaubs und des Mutterschutzes bzw. der Pflege von Angehörigen als Verlängerungsgrund akzeptiert, also rechtlich gesehen Zeiten des völligen beruflichen Ausstiegs aus der Wissenschaft. Zeiten der Teilzeitbeschäftigung werden jedoch ab einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung gleichgesetzt.
4. Die Befristungsregel erscheint aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie/Volkskunde auch deshalb problematisch, weil qualitative und ethnografische Forschungsmethoden - über die sich das Fach als empirische Sozial- und Kulturwissenschaft ja definiert - in dem für die Qualifikation vorgegebenen Zeitrahmen äußerst erschwert werden. Durch den knapp bemessenen Zeitrahmen ist auch gefährdet, was sonst in der Wissenschaftspolitik gefordert und gefördert wird: interdisziplinäres Arbeiten, das eng geführte Spezialisierungen vermeidet. Solche Interdisziplinarität wird gerade in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen immer wichtiger: zum einen, um gesellschaftliche und kulturelle Fragestellungen angemessen und problemorientiert bearbeiten zu können, und zum anderen, um international anschlussfähig zu sein.
5. Zudem ist die Europäischen Ethnologie/Volkskunde auf spezifische Weise auf den Mittelbau angewiesen. Die von ihrer personellen Ausstattung her kleinen Institute, die zwischen einer und maximal drei Professuren und entsprechend wenige Planstellen für den wissenschaftlichen Mittelbau, dennoch aber großen Zulauf von Studierenden haben (in Berlin: 3 Professuren, vier feste Mittelbaustellen und über 600 Studierende, davon 400 im HF), wird ein großer Teil der Lehr- und Betreuungsarbeit durch den Mittelbau getragen - meist auf Kosten der eigenen Qualifikationsarbeit. Bei einer solchen Institutsstruktur müsste der Personalbestand massiv aufgestockt werden. Innovationsfreude wird in solchen Fällen wohl auch weniger durch steten Wechsel und immer neues Einarbeiten in Strukturen der Selbstverwaltung, didaktische Möglichkeiten und Betreuungsarbeit erzielt, sondern zumindest in gewissem Maß auch durch Kontinuität und die Sicherheit der Routine, die dann Spielraum lässt, neue Wege zu erproben.
6. Zudem wird im europäischen Rahmen die Profilierung der Institute durch Spezialisierung auf spezifische Forschungsfelder immer wichtiger, so dass Forschungsfragen mit jeweils spezifiziertem Fokus über längere Zeiträume verfolgt werden (müssen). Gerade die Europäische Ethnologie, die die Logik kultureller bzw. gesellschaftlicher Transformationsprozesse untersucht, um eine Theorie des Alltags zu entwickeln, muss dafür Prozesse über längere Zeiträume beobachten. Vor diesem Hintergrund ist eine "sachliche Begründung" dafür, dass der Wegfall des Arbeitskräftebedarfs nach einer befristeten Zeit voraussehbar ist - wie es das TzBfG verlangt (vgl. Preis, S. 13) -, kaum möglich. Damit wird auch eine Möglichkeit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, der den Sprung in die feste Anstellung nicht sofort "schafft", jenseits der 12 Jahre, weitgehend verschlossen. Umgekehrt ist es fraglich, ob der Ertrag von drittmittelgeförderter Forschung nur im Rahmen von - aufgrund des für den sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich knapp bemessenen Zeitrahmens pragmatisch anzulegenden - Qualifikationsarbeiten gewährleistet sein wird.
Die MitarbeiterInnen und Studierenden des Instituts für Europäische
Ethnologie
Berlin, den 7.2.2002
(1)Ulrich Preis/Tobias Hausch: Die Neuordnung der befristeten Arbeitsverhältnisse im Hochschulbereich. Erscheint voraussichtlich im Heft 6/2002 der NJW. Dort heißt es auf S. 10 des Manuskripts: "Es kann nur davor gewarnt werden, § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 TzBfG im öffentlichen Dienst als Zauberwaffe für jeden Befristungsgrund - insbesondere der Höchstfristen des § 57b HRG - anzusehen."