Quelle - email <H-Soz-u-Kult>
From: "Arpad Klimo" <aklimo@ZEDAT.FU-Berlin.DE> |
Diskussion am 9.6.1997, 16-19 Uhr
Einleitungsreferate:
Podiumsdiskutanden:
Diskussionsleitung:
Publikum: etwa 80-90 Besucher
In seinen einleitenden Worten stellte Juergen Kocka v.a. zwei Aspekte der Thematik heraus: Zum einen muesse ueber die Bewertung der dokumentierten AEusserungen aus der Zeit vor 1945, die zwei der bedeutendsten Historiker der Bundesrepublik, Werner Conze und Theodor Schieder, als Anhaenger des Nationalsozialismus und als mit der Vorbereitung der NS-Bevoelkerungspolitik ausweisen, diskutiert werden. Daraus ergaebe sich zweitens die Frage, ob die Tradition, der eigentlich als Ælinksliberal" geltenden Sozialgeschichte der Bundesrepublik neu bewertet werden muss.
Goetz Aly, der die Diskussion mit seinem juengst erschienenen Essay-Band ÆMacht Geist Wahn. Kontinuitaeten deutschen Denkens" neu entfachte, betonte die Schwierigkeiten, welche die Historiker heute mit ihren unbequemen Vorgaengern haetten. Waehrend andere Wissenschaften, wie die Neurobiologie, sich bereits ihrer braunen Vergangenheit gestellt haetten, taeten sich viele Sozialhistoriker der Æzweiten Generation" schwer damit, zu den Verstrickungen ihrer ÆVaeter" eindeutig Stellung zu nehmen.
Zweitens wies er darauf hin, dass offenbar nationalkonservative oder dem Historismus verpflichtete Historiker wie Franz Schnabel oder Friedrich Meinecke weniger anfaellig fuer die NS-Politik gewesen seien, als die Æmoderneren" Volkshistoriker mit ihren sozialwissenschaftlichen Methoden. Die damalige ÆVolksgeschichte", welche etwa Conze vertrat, habe, so Aly, Æan der Nahtstelle zum Voelkermord" gestanden.
Auch nach Willi Oberkrome habe es eine Art ÆSchweigegeluebde" der zweiten Generation gegeben, welches erst jetzt durchbrochen werde. Doch duerfe man die Diskussion nicht auf zwei Personen reduzieren. Ritter von Srbik, Otto Brunner und andere vor und nach 1945 bedeutende Historiker seien ebenfalls wichtige Vertreter der NS-ÆVolksgeschichte" gewesen. AEhnlich wie Aly betonte Oberkrome die Æhohe Handlungs- und Planungsrationalitaet" dieser Art von Geschichtsschreibung.
Zudem unterstrich Oberkrome, dass man die Volksgeschichte in den Kontext der Kulturraumforschung stellen muesse. Diese habe in europaeischer Konkurrenz um den Anspruch auf umstrittene Gebiete (v.a. Polen) gestanden. Es seien tatsaechlich v.a. juengere Historiker gewesen, welche die vergleichsweise Æmoderne" Volksgeschichte propagiert haetten genau die Generation (Abiturjahrgang ca. 1920), welche juengst Ulrich Herbert als Vollstrecker der NS-Politik identifizierte. Sie seien im deutsch-voelkischen Hochschulring organisiert gewesen und haetten sich von ihrer Lehrergeneration (Meinecke, Marcks) und deren staatszentrierten Historismus ab- und sozialwissenschaftlichen Methoden (z.B. Quantifizierung) und voelkischen Themen zugewandt. Nach 1945 sei jedoch deren Welt zusammengebrochen und v.a. Schieder und Conze haetten mit ihren erprobten Methoden voellig neue Themen erschlossen.
Fuer Peter Schoettler stellt, wie schon zuvor fuer Goetz Aly, die Behandlung des Themas nach 1945 den eigentlichen Skandal dar. Die Auseinandersetzung mit der Volksgeschichte sei weder von ihren ehemaligen, nach 1945 einflussreichen Vertretern noch von deren Schuelern betrieben worden. Es habe eine jahrzehntelange ÆVerharmlosung" gegeben. Institutionen der besonders tief in die NS-Verbrechen verstrickten Ostforschung seien im Westen nach 1945 (z.B. Herder-Institut) einfach in Auffanginstitutionen uebergegangen.
Er plaedierte zweitens dafuer, mit dem Begriff ÆInnovation" vorsichtiger umzugehen. Man koenne nicht so einfach Form und Inhalt wissenschaftlicher Arbeiten trennen. Schliesslich schlug er vor, dass der Historikerverband eine oeffentliche Schulderklaerung abgeben und zugleich das Andenken an die verfolgten und ermordeten Historiker (etwa durch einen ÆHedwig Hintze"-Preis) ehren solle.
Christof Dipper lehnte dies ab. Entschuldigen sollten sich die Taeter, wichtiger sei eine Debatte um die moralischen Standards der Wissenschaft. Zum anderen beduerften die von Aly und anderen entdeckten Texte von Conze und Schieder einer gruendlicheren wissenschaftshistorischen Analyse. Er verwies etwa auf die Herkunft der Begriffe ÆVolk" und ÆRaum" aus dem spaeten 19.Jahrhundert (Ratzler) und auf die agrarhistorischen Untersuchungen Wilhelm Abels u.a. Zudem sei Antisemitismus in den dreissiger Jahren ein kultureller Code gewesen, in dem die Machtspiele des akademischen Milieus damals ausgetragen wurden. Juengere Historiker wie Conze und Schieder haetten sich in diesem Feld bewegt, einen direkten Zusammenhang zwischen ihren Forschungen und dem Holocaust koenne man nicht herstellen.
Die allgemeine Diskussion leitete ein Statement von Ingo Haar ein, der eine Dissertation ueber die historische Ostforschung der NS-Zeit schreibt. Er betonte, dass es sich bei den Forschungsgemeinschaften, die seit 1933 entstanden seien, um ein ÆGrosswissenschaftssystem" gehandelt habe, welches parallel zu den bereits bestehenden Einrichtungen, direkt die NS-Politik unterstuetzt habe. Der ÆVolksgeschichte" sei es gelungen, die damalige Politikgeschichte an den Rand zu draengen, indem sie forschungsleitende Begriffe praegte und finanzielle Ressourcen mobilisierte. Schliesslich haette die ÆOstforschung" einen oeffentlichen und einen konspirativen Arm gehabt. Dadurch sei es nach 1945 gelungen, dass etwa Herman Aubin als Æunbelastet" eingestuft werden konnte, obwohl er und seine Breslauer Kollegen durch aktive Zuarbeit (Forschungsprojekte Ævor Ort", Gutachten usw.) tief in die Massenmorde verstrickt gewesen seien.
Die weitere Diskussion umkreiste v.a. zwei Aspekte des Themas: zum einen nach der Bedeutung der ÆVolksgeschichte" und zum anderen die Frage nach der personellen Kontinuitaet nach 1945.
Eine Reihe von Rednern stellten die europaeische Dimension des Phaenomens ÆVolksgeschichte" heraus. Die Ersetzung des Untersuchungsobjektes ÆStaat" durch ÆVolk" hing in vielen Laendern (neben Deutschland auch Polen, Rumaenien usw.) mit den Grenzveraenderungen zusammen, welche durch die Friedensvertraege von 1919/20 entstanden waren. Historiker in vielen europaeischen Laendern bemuehten sich darum zu beweisen, dass bestimmte Gebiete historischer ÆVolksboden" ihres Volkes seien.
Peter Schoettler betonte allerdings die Unterschiede zwischen den zeitgenoessischen franzoesischen Erneuerern der Geschichtswissenschaft (Marc Bloch, Henri Lefebvre) und ihren deutschen Pendants. Es seien voellig unterschiedliche Diskurse gewesen, nur die Themen seien aehnlich. Hierbei stimmte ihm Charles Maier zu: Braudel sei zwar auch an ÆVolk" und ÆRaum" interessiert gewesen. Doch im Unterschied zu den deutschen Volkshistorikern habe aber bei ihm nicht die Betonung auf dem Voelkerkonflikt gelegen.
Verschiedene Redner unterstrichen die wissenschaftliche Professionalitaet der ÆVolkshistoriker". So sprachen Ingo Haar, Goetz Aly und Christof Dipper von der antidemokratischen, den ÆFeind" (H.Freyer) erfassenden, geradezu Æmoerderischen" Rationalitaet der NS-Wissenschaft, die ihre kritischen Potentiale in den Dienst der NS-Politik stellten. Sebastian Conrad sagte in diesem Zusammenhang, dass es auf die Diskursformen ankaeme, da sich Macht und Wissenschaft gegenseitig konstituierten. Valentin Groebner verwies dabei auf die Rolle von genealogischen Netzwerken. Die so entstehenden ÆSchulen" seien von ihren Methoden nicht zu trennen. Sven Reichhardt erinnerte schliesslich noch einmal an die polykratische Struktur des NS nicht vergessen, man koenne auch die beteiligten Wissenschaftler nicht als monolithischen Block betrachten.
Wie kam es dazu, dass derart belastete Wissenschaftler in der Bundesrepublik Karriere machen konnten?
Fuer Michael Prinz war v.a. der Antikommunismus eine Bruecke, ueber die belastete Historiker wieder in der Wissenschaft gelangten.
Ähnlich argumentiert auch Willi Oberkrome. Statt von ÆVolk" sprach man nun von ÆAbendland", wobei dies auch durchaus eine veraenderte politische Position bedeuten konnte. Er gesteht etwa Conze zu, dass er nach dem Ende des NS-Regimes westliche Normen akzeptiert haette. Schliesslich erinnerte er daran, dass auch die DDR ÆVolkshistorikern" (Frings, Kroetschke) Zugang zu ihrem wissenschaftlichen Betrieb gewaehrt haette.
Nach Reinhard Blaenkner muessen jedoch die Brueche und Kontinuitaeten von Positionen im einzelnen nachgewiesen werden.
Charles Maier stellte noch einmal die deutlichen Unterschiede zwischen ÆVolksgeschichte" und Sozialgeschichte heraus. Fuer die moderne Sozilageschichte seien schliesslich Marx und Weber viel wichtiger gewesen als Brunner, Schieder oder Conze. Die ÆVolksgeschichte" habe sich mehr fuer Kontinuitaeten, die Sozialgeschichte dagegen mehr fuer Brueche und Revolutionen interessiert.
Fuer Peter Schoettler war auch das Frageverbot (Conze war sein Onkel), dass die Generation der belasteten Historiker ihren ÆSoehnen" auferlegt haette, ein Grund fuer die Kontinuitaet gewesen.
Am Ende waren sich alle Diskutanden darueber einig, dass weitere Forschungen auf diesem Gebiet notwendig seien.
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