Zwei juengere historiographische Debatten in Deutschland scheinen eine Schnittmenge zu bilden, die bislang noch nicht gemeinsam eroertert worden ist. Es ist einerseits die Diskussion um die Rolle der Volksgeschichte im weiteren Sinn, also die Auseinandersetzung um die personellen und ideellen Kontinuitaeten zwischen den ethnohistorischen Forschungen der Zwischenkriegs- und Kriegszeit und der modernen sozialgeschichtlichen Forschung Bielefelder (und auch Heidelberger) Spielart. Andererseits ist es die Rolle der Osteuropaforschung im weiteren und der osteuropaeischen Geschichte im engeren Sinne. Letztere Debatte wurde und wird seit Ende 1998 vorwiegend in der Zeitschrift Osteuropa gefuehrt, erstere nahm ihren Anfang auf dem Frankfurter Historikertag 1998, war aber vorab schon in der Forschung verankert, hatte allerdings nicht die breite Resonanz, wie sie sie seit dem Frankfurter Historikertag geniesst. Neuerlicher diskursiver Hoehepunkt innerhalb der Debatte um die Volksgeschichte und ihre institutionelle Verankerung war die Veroeffentlichung von Michael Fahlbuschs Habilitationsschrift und ihre Rezeption, nicht zuletzt auf der Liste H-Soz-U-Kult.(1) Eine Schnittstelle zwischen diesen beiden Debatten ist u.a. die Geschichte und Historiographie der deutschen Minderheiten, von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Osteuropa sowie das imperiale "Ausgreifen" Deutschlands nach Osten bzw. der ideologischen und wissenschaftlichen Vorarbeiten dieses "Ausgreifens".
Die Debatte um die Rolle der Osteuropaforschung und insbesondere das Selbstverstaendnis der osteuropaeischen Geschichte in Deutschland nimmt mit zunehmender Dauer neue Wendungen. Die Affaere Hahn/Seibt(2) und die andauernde Diskussion um die Rolle der Volksgeschichte als illegitimer Vorlaeufer der bundesdeutschen Sozialgeschichte Bielefelder Zuschnitts bzw. des Verhaeltnisses von sozialgeschichtlich orientierten Gruendersoehnen zu volksgeschichtlichen intellektuellen Uebervaetern wirft grundlegende Fragen auf, die den Kern eines Teils der historischen Osteuropaforschung und ihrer Traditionen beruehren.
Die politisch-juristische Auseinandersetzung zwischen Eva Hahn und dem Collegium Carolinum um Perspektiven, Forschungsparadigma und das Selbstverstaendnis der deutschen Bohemistik beruehrte nicht nur einen Kernpunkt der bundesdeutschen Osteuropaforschung, sondern der Geschichtswissenschaft und ihrer blinden Flecken im allgemeinen. Der Streit war eben auch eine Auseinandersetzung um die Deutungshoheit und die kulturelle bzw. intellektuelle Hegemonie ueber einen strittigen, bis heute nicht geklaerten Gegenstandsbereich der deutschen Geschichte und ihrer Historiographie, naemlich der Geschichte der deutschen und deutschsprachigen Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa sowie ihrer Flucht und Vertreibung nach 1945. Eva Hahn und Ferdinand Seibt bzw. das Collegium Carolinum stellvertretend fuer andere oeffentlich gefoerderte Forschungsinstitute der Fluechtlinge und Vertriebenen(3) standen hierbei fuer zwei unversoehnlich erscheinende Positionen, naemlich einer kritischen und selbstkritischen kontextbezogenen Position von aussen (Hahn) und einer eher legitimatorisch zu nennenden Position von innen (Seibt). Das juengste in der Debatte von Storck/Roeser vorgebrachte Argument,(4) dass Institutionen wie das Collegium Carolinum in der langen Tradition voelkischer oder weniger polemisch gesagt: ethnonational einseitig ausgerichteter Forschungstraditionen stuenden ("Deutschtumsinstitute")(5), spitzt zwar zu, ist damit aber noch nicht falsch. Es beleuchtet allerdings nur eine Seite des Problems, naemlich die Vermischung von Interessen, Interessenverbaenden und historischer Forschung. Zwei gewichtige Entwicklungen werden dabei aber uebersehen, naemlich der funktionale Zusammenhang, in dem die Fluechtlings- und Vertriebenenforschung der Nachkriegszeit ihren historischen Ort fand und das weitgehende Versagen der juengeren deutschen Historiographie, insbesondere der Sozialgeschichte und der osteuropaeischen Geschichte vor dem Jahrhundertthema Flucht und Vertreibung.(6)
Die Forschungen zur Geschichte deutscher Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa bzw. im historischen Ostdeutschland sowie zu Flucht und Vertreibung hatten und haben auf weiten Strecken noch immer einen offizioesen Charakter.
Dies laesst sich nur erklaeren, wenn man nicht nur die Kontinuitaeten dieser Forschungen, die weit bis in die Zwischenkriegszeit zurueckreichen und durchaus personeller Natur waren,(7) beruecksichtigt, sondern auch die Etablierung und Professionalisierung dieser Spezialdisziplin in Westdeutschland nach 1945. Inwieweit Kontinuitaeten und Brueche zwischen der voelkischen Deutschtumsforschung der Zwischenkriegszeit, der radikalnationalistischen und rassistischen Forschung (bzw. Politik) der NS-Zeit und der westdeutschen Minderheits- und Vertriebenenforschung bzw. auch der allgemeinen Historiographie der Nachkriegszeit bestanden, ist von der Forschung erst in Ansaetzen geklaert worden. Die von Peter Schoettler, Michael Fahlbusch, Willi Oberkrome, Ingo Haar u.a. ins Feld gefuehrte These(8), die moderne deutsche Sozialgeschichte Bielefelder Provenienz habe, verkuerzt gesagt, "braune Wurzeln" gehabt, war ein erster Versuch, Kontinuitaetslinien herauszuarbeiten, auch wenn sich ueber die Stringenz der behaupteten Kontinuitaet streiten laesst, und der Streit nicht nur eine Auseinandersetzung um die historische Wahrheit ist, sondern auch um das Deutungsmonopol zwischen einer aelteren, etablierten und einer juengeren (noch) marginalisierten Generation innerhalb oder besser: ausserhalb der Herrschaftspositionen des akademischen Betriebs.
Die personellen, vor allem aber auch die institutionellen Kontinuitaeten zwischen der deutschen Vorkriegs- bzw. Kriegszeit und der westdeutschen Nachkriegszeit sind ein Forschungsdesiderat, das die deutsche Historiographie im allgemeinen und die osteuropaeische Geschichte im besonderen betrifft.(9)
Ein lohnender Blick waere dabei auf die ideelle und personell-institutionelle Kontinuitaet, aber auch auf die Brueche zwischen der Deutschtumsforschung der Zwischenkriegszeit und der westdeutschen Minderheits- und Vertriebenenforschung der Nachkriegszeit zu werfen. Die Vorarbeiten fuer solch eine laengerfristige, vergleichende Analyse sind im Entstehen oder liegen z. T. schon vor. Die Arbeiten von Mathias Beer zur Geschichte der "Dokumentation der Vertreibung"(10) und des Bundesministeriums fuer Vertriebene und Fluechtlinge(11) bieten hervorragende Anknuepfungspunkte, um mit sozialhistorischem oder soziologischem Instrumentarium den diachronen Vergleich zu wagen und die Frage nach Kontinuitaeten und Bruechen auf personeller und institutioneller Ebene aufzuwerfen und zu untersuchen. Die von den "jungen Wilden", den Kritikern der Bielefelder Schule, aufgeworfene Frage nach der personellen und ideellen Kontinuitaet, die vornehmlich an den Beispielen Werner Conze und Theodor Schieder diskutiert wurde, liesse sich dann z.B. im systematischen Vergleich der beiden Grossforschungsprojekte "Dokumentation der Vertreibung" und "Handwoerterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums"(12) aus der Nachkriegs- bzw. Zwischenkriegszeit paradigmatisch durchfuehren.(13)
Neben den Kontinuitaeten stehen aber gleichfalls die Kontingenzen der Geschichte von Flucht und Vertreibung und ihres Echos bzw. ihrer Proliferation auf der Tagesordnung zukuenftiger historischer Forschung, und zwar nicht nur der Osteuropaforschung. Die von Storck/Roeser kritisierte vorgeblich deutschtumslastige oder gar deutschtuemelnde Ausrichtung der historischen Forschung, wie sie in staatlich und stattlich gefoerderten Vertriebenenforschungsinstitutionen (wie z.B. dem Collegium Carolinum) betrieben wird, ist ohne die Kontextualisierung dieser Forschungen, ihrer Genese und des Entstehungszusammenhangs der einschlaegigen Forschungsinstitutionen nicht zu verstehen.
Wirft man einen Blick auf die Etablierung und Konsolidierung der westdeutschen Vertriebenenforschung, so ist nicht nur die Frage nach Kontinuitaeten und Kontingenzen, sondern ebenso die Frage nach dem funktionalen Zusammenhang dieser Forschungen wie auch deren langfristigen Folgen fuer die Integration der ca. acht Millionen Fluechtlinge und Vertriebenen in Westdeutschland von herausgehobenem Interesse. Es liesse sich argumentieren, dass die Etablierung und staatliche Subventionierung der Vertriebenenforschung einen doppelten Charakter hatte. Einerseits diente sie unmittelbar (moeglichen, aber nicht realisierten) politisch-juristischen Zwecken, naemlich der Dokumentation personeller und eigentumsrechtlicher deutscher Verluste und Schaeden. In diesem Zusammenhang ist u.a. das gross angelegte Forschungsprojekt der "Dokumentation der Vertreibung" zu sehen. Bei moeglichen Friedensverhandlungen Deutschlands mit den Siegermaechten - eine Option, die durch den Kalten Krieg verhindert wurde - haetten die Ergebnisse des Forschungsprojektes dokumentarischen Charakter besessen, auf deren Grundlage Wiedergutmachung, Schadensersatzleistungen und territoriale Ansprueche bzw. Konzessionen verhandelt worden waeren. Darueber hinaus hatte die "Dokumentation der Vertreibung" wie auch die Etablierung der Vertriebenenforschung in speziellen, staatlich gefoerderten Einrichtungen allerdings auch den Zweck oder zumindest die (intendierte) Folge, die Integration der Fluechtlinge und Vertriebenen durch Anerkennung zu foerdern. Indem der geflohenen und vertriebenen Bevoelkerung ein Sprachrohr verliehen wurde, erkannte man das Schicksal und Leid dieser Gruppe politisch, rhetorisch und symbolisch an. Aber gerade diese Anerkennung hatte eine integrative Funktion. Vertriebene und ihre Nachkommen standen trotz anfaenglicher sozialer und kultureller Konflikte mit der einheimischen Bevoelkerung eben nicht am Rande der bundesdeutschen Gesellschaft, sondern eigneten sich diese als ihre eigene an. Die in den Ohren vieler Zeitgenossen oft revisionistisch anmutenden Forderungen und Verlautbarungen der Vertriebenen und ihrer Sprecher bzw. ihrer institutionellen Sprachrohre hatten somit eine ueberaus paradoxe Wirkung. Die Moeglichkeit der Artikulation von Forderungen und Interessen innerhalb etablierter und anerkannter Institutionen bedeutete die Repraesentation in der bundesdeutschen Oeffentlichkeit und damit eine zunehmende Einbindung in die bundesdeutsche Gesellschaft. Die ausgebliebene Radikalisierung der Gruppe und die langfristig gescheiterte politische Mobilisierung in eigenen Vertriebenenparteien ist u.a. auch auf diese Tatsache zurueckzufuehren. Die Anerkennung als Opfer des Zweiten Weltkriegs, so strittig sie im einzelnen unter der Lupe einer kritischen Historiographie auch sein mag, hat unter integrativem und politischem Blickwinkel eine positive, konfliktmindernde Rolle gespielt.(14)
Sowohl die Leistungen der bundesdeutschen Sozialgeschichte als auch die der osteuropaeischen Geschichte sind unbestritten. Die Etablierung der Sozialgeschichte seit den 60er Jahren hat zur Modernisierung des gesamten Faches und zur Erschliessung methodischen und theoretischen Neulandes gefuehrt. Die osteuropaeische Geschichte, mag man sie auch wie Joerg Baberowski(15) ob ihrer methodischen und theoretischen Schlaefrigkeit ruegen, vermochte es nach 1945 jedoch, sich aus dem Fahrwasser einer politiknahen, auf geopolitische Expansion zielenden Politik hinauszumanoevrieren und mit der spezifisch deutschen Spielart der osteuropaeischen Geschichte zu brechen. Der inhaltlichen, methodischen und theoretischen Neubestimmung fiel allerdings ein wichtiges Thema weitgehend zum Opfer, naemlich die Integration der Geschichte der deutschen Minderheiten Ostmittel- und Osteuropas bzw. der Geschichte von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945 in den Korpus und Kanon der deutschen Geschichtsschreibung. Die moderne und modernisierte deutsche Historiographie, und zwar nicht nur die osteuropaeische Geschichte, bewies seit den 60er Jahren eine auffallende Indifferenz und Absenz, wenn es um die Behandlung dieses Themas ging. Waehrend in den 50er Jahren die bedeutendsten Historiker der aelteren und juengeren Generation gemeinsam an der "Dokumentation der Vertreibung" gearbeitet hatten - neben Werner Conze, Theodor Schieder und Hans Rothfels sind hier u.a. Hans-Ulrich Wehler(16) und Martin Broszat zu nennen - entwickelte sich die Geschichtsschreibung zum Thema deutsche Minderheiten und Flucht und Vertreibung mit der zunehmenden sozialen Integration der Vertriebenen ruecklaeufig oder gar diametral entgegengesetzt, sie wurde unter professionellen, akademisch etablierten Historikern ein Anathema.(17) Inwieweit dies eine Reaktion auf die (verbale) Radikalisierung der Vertriebenen oder besser der Vertriebenenverbaende waehrend des Streits um die Brandt-Scheelsche neue Ostpolitik war, bedarf noch der ausfuehrlichen historischen Analyse. Offensichtlich ist allerdings, dass durch den Rueckzug der professionellen Geschichtsschreibung aus diesem Bereich - sozusagen das kommunikative Beschweigen des Themas - das Feld der offizioesen oder halboffizioesen Deutung von Landsmannschaften, dem Bund der Vertriebenen und den einschlaegigen Forschungsinstitutionen ueberlassen wurde, deren Deutungsangebote sich oft zwischen serioeser Historiographie und legitimatorischer Hagiographie bewegten. Die Beruehrungsaengste der modernen deutschen Geschichtsschreibung mit dem Thema und dessen Tabuisierung verhinderten somit eine Modernisierung der Minderheiten- und Vertreibungsforschung und trugen zur mangelnden Erforschung der Zwangsmigrationen in Ostmittel- und Osteuropa bei. Paradoxerweise errichteten die jungtuerkischen Modernisierer der 60er und 70er Jahre somit eine Forschungsblockade, die modernisierungsfeindlich war. Zwar sind diese klaren Fronten mit dem saekularen Wandel der Jahre 1989/90 aufgebrochen, Atavismen langer Dauer sind aber bis in die Gegenwart hinein unverkennbar und unueberhoerbar.(18)
Welche Rolle koennte nun die historiographische Analyse und Darstellung von Flucht und Vertreibung, und zwar nicht nur der Deutschen, innerhalb der osteuropaeischen Geschichte spielen, welche Rolle die osteuropaeische Geschichte fuer die Erforschung von Zwangsmigrationen und Minderheitenkonflikten?
(Deutsche) Osteuropahistoriker/-innen verfuegen ueber Sach-, Raum-, Sprach- und im besten Fall auch Kulturkenntnisse, die ihre 'westlichen' Kollegen und Kolleginnen in der Regel nicht vorweisen koennen. Innerhalb der Erforschung von Flucht und Vertreibung von Minderheiten in Ostmittel- und Osteuropa bzw. der ethnischen Entmischung dieses Grossraumes praedestiniert es sie somit, einen vergleichenden Beitrag zu diesem schwierigen und schmerzhaften Themenkomplex zu liefern.(19) Der historische Ort von Flucht und Vertreibung der Deutschen Ostmittel- und Osteuropas liesse sich so nicht nur praeziser bestimmen, sondern die Erforschung des Themas waere auch dem ideologischen Streit und den legitimatorischen Interessen der einschlaegigen pressure groups entwunden. Die Nichtbeachtung des Themas durch die professionelle Historiographie hatte zur Folge, dass sich eine Parallelforschung etablieren und verfestigen konnte, deren Ziele mitunter zweifelhaft waren.
Eine methodisch und theoretisch innovative osteuropaeische Geschichte haette es vermutlich schon laengst zur Gruendung eines Zentrums zur Erforschung von Flucht und Vertreibung gebracht. Dann haette es nicht der von eigenen Interessen gepraegten Initiative des Bundes der Vertriebenen bedurft, der die Konjunktur des Kosovokrieges nutzte, die Gruendung eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin zu forcieren. Pikanterweise wird dieses Zentrum (wiederum) mit erheblicher Unterstuetzung durch Bundesmittel errichtet und betrieben werden, waehrend die osteuropaeische Geschichte allerorten unter dem Moll des Streichkonzerts oeffentlicher Haushalte in truebsinnige Klagegesaenge ausgebrochen ist. Zur Diskussion steht eine Summe von 160 Millionen D-Mark aus Bundes- und Landesmitteln (dies entspricht der jaehrlichen Finanzierung von ca. 1800 - in Worten ein Tausend acht Hundert - wissenschaftlichen Mitarbeiter nach BAT-II). Andernorts werden dafuer ganze Regionalinstitute mit dem Schwerpunkt Ostmittel- und Osteuropa schrittweise eingespart und wegsaniert.(20) Eine innovative und offensive Strategie der Geschichtswissenschaft haette es moeglicherweise vermocht, diese Mittel in die Kanaele professioneller akademischer Forschung zu leiten. Die Tatsache, dass dies der (osteuropaeischen) Geschichtswissenschaft sehenden (oder blinden?) Auges nicht gelang, ist beinahe ein Grund in die Schwanengesaenge von Joerg Baberowski einzustimmen, wie sie zu Beginn der Debatte in der Zeitschrift Osteuropa angestimmt wurden. Man ist jahreszeitlich fast geneigt zu wuenschen, dass der pfingstliche Geist der Einstimmigkeit ueber die Historikerschaft kommen moege, so dass man, wenn schon nicht mit einer Stimme spricht, so doch das babylonische Stimmengewirr der Zunft - Disziplin heisst es ja offensichtlich nicht - entwirrt wird, um eine angemessene Interessenpolitik zu verfolgen, die einen materiell und ideell moeglichst weiten Forschungshorizont eroeffnet.
1 H-Soz-Kult vom 15. Mai 2000 (Beitrag Fahlbusch), vom 25. Mai 2000 (Beitrag Suchy), vom 31. Mai 2000 (Beitrag Boehm) und vom 9. Juni 2000 (Beitrag Fahlbusch).
2 Vgl. Eva Hahn: Deutsche Bohemistik - von aussen gesehen, in Osteuropa 49, 4/1999, S. 387-396; Ferdinand Seibt: Deutsche Bohemistik von innen. Eine Replik auf Eva Hahn: Bohemistik von aussen, in: Osteuropa 49, 6/1999, S. 631- 634 und Eva Hahn: Osteuropa 49, 9/2000, S. 957-974. Die Auseinandersetzung zwischen Eva Hahn und dem Collegium Carolinum entzuendete sich an dem Beitrag Eva Hahns "Deutsche Bohemistik von aussen gesehen". Er fuehrte zur fristlosen Entlassung von Eva Hahn als Mitarbeiterin des Collegium Carolinum und einer Erwiderung Ferdinand Seibts, dem Leiter des Collegium Carolinum, in der Zeitschrift "Osteuropa". Die folgende arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung zwischen Eva Hahn und dem Collegium Carolinum ging zugunsten von Eva Hahn aus, die finanziell fuer ihren Reputations- und Arbeitsplatzverlust vom Collegium Carolinum entschaedigt werden musste.
3 Wie z.B. die Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen (Bonn), die Stiftung Ostdeutscher Kulturrat (Bonn), das Bundesinstitut fuer ostdeutsche Geschichte und Kultur (Oldenburg) oder den entsprechenden Forschungsinstitutionen einzelner Vertriebenengruppen wie etwa dem Institut fuer donauschwaebische Geschichte und Kultur in Tuebingen oder dem Bukowina-Institut in Augsburg.
4 Christopher Storck, Mathias Roeser: Abschied vom Elfenbeinturm. Universitaere Osteuropakunde fuer Arbeitsmarkt und neue Erinnerungskultur, in Osteuropa 50, 4/2000, S. 426-432.
5 ibidem, S. 430.
6 Als Ausnahmen sind hier die juengeren Forschungen von Wolfgang Hoepken, Holm Sundhaussen und Hans Lemberg zu sehen. Vgl. z. B. Wolfgang Hoepken: Muslimische Emigration nach dem Ende der Osmanischen Herrschaft, comparativ 6. Jahrgang, Heft 1, S. 1-24 und Holm Sundhaussen: Bevoelkerungsverschiebungen in Suedosteuropa seit der Nationalstaatswerdung (19./20. Jahrhundert), comparativ 6. Jahrgang, Heft 1, S. 25-40 bzw. Hans Lemberg: "Ethnische Saeuberung". Ein Mittel zur Loesung von Nationalitaetenproblemen?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 46/92 vom 6. November 1992, S. 27-38. Allerdings heben die Beitraege nicht oder nur am Rande auf das Vertreibungsgeschehen gegenueber den Deutschen zwischen 1945 und 1948 ab. Siehe ausserdem auch die Beitraege von Sundhaussen, Schoedl und Brandes in Klaus J. Bade (Hg.): Deutsche im Ausland - Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart, Muenchen 1992 sowie die von Bade edierten Sammelbaende: Neue Heimat im Westen: Vertriebene, Fluechtlinge, Aussiedler, Muenster 1990 und Aussiedler. Deutsche Einwanderer aus Osteuropa, Osnabrueck 1999.
7 Personelle und institutionelle Kontinuitaeten werden z.B. an der von Friedrich Edding und Eugen Lemberg herausgegebenen Studie "Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben", 3 Baende. Kiel 1959 deutlich. An der Publikation laesst sich die Kontinuitaet zur Deutschtumsforschung der Zwischenkriegszeit aufzeigen. Mitarbeiter Eddings und Lembergs und Bearbeiter des Buches war Max Hildebert Boehm, einer der bedeutenden Deutschtumspropagandisten der Zwischenkriegszeit. Verlegt wurde das Werk im ehemals Breslauer Ferdinand Hirt Verlag, der nach dem Krieg in Kiel wiedergegruendet worden war. Vor dem Krieg hatte der Hirt Verlag u.a. das "Handwoerterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums" verlegt.
8 Peter Schoettler: Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft, Frankfurt 1997. Willi Oberkrome: Volksgeschichte. Methodische Innovation und voelkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918-1945, Goettingen 1993; derselbe: Historiker im "Dritten Reich". Zum Stellenwert volkshistorischer Ansaetze zwischen klassischer Politik- und Sozialgeschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 2/1999, S. 74-98; Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die "Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften" von 1931-1945, Baden-Baden 1999;derselbe: "Wo der Deutsche ... ist, ist Deutschland!!" Die Stiftung fuer Deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920-1933, Bochum 1994. Siehe dazu auch das mittlerweile legendaere Podium "Deutsche Historiker im Nationalsozialismus" am 10. September 1998 auf dem 42. Historikertag in Frankfurt/M. u.a. mit Michael Fahlbusch, Mathias Beer und Juergen Kocka.
9 Arbeiten, an die angeknuepft werden kann, liegen vor, so z.B. die Studie von Michael Burleigh: Germany Turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich. Cambridge 1988, der u.a. auf die Kontinuitaet zwischen der Weimarer Republik und dem "Dritten Reich" im Bereich der Deutschtumsforschung hinweist.
10 Mathias Beer: Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Hintergruende - Entstehung - Ergebnis - Wirkung, in: GWU 2/1999, S. 99-117, hier S. 103; derselbe: Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Grossforschungsprojekt "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa", in: Vierteljahreshefte fuer Zeitgeschichte 46, 3 (1998), S. 345-389.
11 Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, acht Baende, bearbeitet von Theodor Schieder; Bundesministerium fuer Vertriebene, Bonn 1955-1961.
12 Willi Oberkrome: Geschichte, Volk und Theorie. Das Handwoerterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums', in: Peter Schoettler: Geschichtswissenschaft als Legitimationswissenschaft, Frankfurt 1997, S. 104-127. Dazu auch Oberkrome: Volksgeschichte, 1993.
13 In diese Untersuchung liesse sich auch das von Edding und Lemberg herausgegebene Werk: "Die Vertriebenen in Westdeutschland" einbeziehen. Die Entstehungsgeschichte und Rezeption der dreibaendigen Aufsatzsammlung ist bislang nicht untersucht worden.
14 Man koennte sogar so weit gehen, anzunehmen, dass die Ausblendung der Vertreibungserfahrung eine Voraussetzung fuer die Integration der Vertriebenen war. Auf einer voellig anderen Ebene liegt die Frage, welche Funktion bei der Rekonstruktion nationaler Identitaet die Integration der Vertriebenen als "eigene Opfer" in die westdeutsche Taetergesellschaft der Nachkriegszeit gehabt hat. Vgl. dazu Rainer Muenz/Rainer Ohliger: Erinnerte Deutsche - Vergessene Deutsche: Fluechtlinge, Vertriebene, Aussiedler, in: Transit, 15/1998, S. 141-157 und demnaechst: dieselben: "Auslandsdeutsche", in: Hagen Schulze/Etienne Francois (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Beck 2000.
15 Joerg Baberowski: Das Ende der Osteuropaeischen Geschichte. Bemerkungen zur Lage einer geschichtswissenschaftlichen Disziplin, in: Osteuropa 48, 8- 9/1998, S. 784-799.
16 Der Beitrag Hans-Ulrich Wehlers zur Dokumentation der Vertreibung, die Redaktion des Jugoslawien-Bandes, resultierte 1980 in modifizierter Form nochmals in einer Monographie mit dem Titel: "Nationalitaetenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918-1978, Goettingen 1980.
17 Eine Ausnahme bildet der von Wolfgang Benz herausgegebene Sammelband "Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten: Ursachen, Ereignisse, Folgen", Frankfurt/M. 1985. Ausserdem erschienen die umstrittenen Arbeiten des US-amerikanischen Juristen Alfred Maurice de Zayas, die in der professionellen Historiographie kritisch oder nicht rezipiert wurden, beim Bund der Vertriebenen aber geradezu begeisterte Aufnahme fanden: Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. Frankfurt/M.-Berlin 1996 (achte Auflage) und derselbe: Anmerkungen zur Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Stuttgart-Berlin-Koeln 1993 (dritte Auflage). De Zayas wurde 1997 vom Bund der Vertriebenen fuer seine Arbeiten mit der "Plakette fuer die Verdienste um den deutschen Osten und das Selbstbestimmungsrecht" ausgezeichnet.
18 So z.B., wenn von fuehrenden Vertretern der deutschen Sozialgeschichte typologisch unscharf der Vergleich zwischen dem staatlich vereinbarten Bevoelkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Tuerkei im Anschluss an den Lausanner Vertrag von 1923 mit der Vertreibung der Deutschen auf eine Ebene gestellt wird oder gar das fragende Argument bemueht wird, dass das "kurzfristige UEbel" der Vertreibung der Deutschen aus Ostmittel- und Osteuropa "langfristig positive Auswirkungen" gehabt habe, naemlich auf die politische Stabilisierung der alten Bundesrepublik und ihre geglueckte Demokratisierung, die in dieser Interpretation eine Folge des nicht mehr vorhandenen Konfliktpotentials entlang der Nationalitaetenlinie war. So Juergen Kocka in einem Diskussionsbeitrag auf der Tagung "Gewaltsame Nationalitaetenkonflikte in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Faktoren der Eskalation und De-Eskalation im europaeischen Vergleich" am Zentrum fuer Vergleichende Geschichte Europas der Freien Universitaet Berlin am 20. Mai 2000. Diese Geschichtsteleologie eines Teils der alt-bundesrepublikanischen Eliten, die - zugespitzt formuliert - in der alten Bundesrepublik und ihrem Verfassungspatriotismus das Ziel, wenn nicht gar das Ende deutscher Geschichte sahen, ist wiederum nur aus dem spezifischen Kontext der alten Bundesrepublik und ihrer um Hegemonie ringenden Historikerzunft zu verstehen.
19 Ein erstes, noch einsames Beispiel fuer eine gelungene vergleichende Analyse des Vertreibungsgeschehens liefert Philipp Ther: Deutsche und polnische Vertriebene. Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR und in Polen 1945-1956. Goettingen 1998.
20 Das Osteuropa-Institut der Freien Universitaet mag als ein Beispiel dafuer gelten, auch wenn sich in diesem Fall die Frage nach dem selbst verschuldeten Unglueck der Institution stellen mag.