von Ilko-Sascha Kowalczuk
Replik von Dieter Nelles
Der "Unabhängige Historiker-Verband" (UHV) der DDR, schreibt Stefan Berger in seiner Arbeit -The Search for Normality. National Identity and Historical Consciousness in Germany since 1800, Providence/Oxford 1997, S. 159, "has played a major role in discrediting GDR historiography, often by blanket denunciations and personal attacks". Kowalczuk, einer der führenden Vertreter des UHV, bestätigt Bergers These vollauf und hat sich nun einen kritischen Historiker aus dem Westen zum Objekt seiner Denunziation gewählt. Und es gehört offensichtlich zu seinem persönlichen Stil, den Angegriffenen noch nicht einmal beim Namen zu nennen. Es gehört viel böser Wille dazu, Karl Heinz Roth - "der westdeutsche Historiker und Arzt" - zu unterstellen, das Motiv seiner Publikation über die nationalsozialistische Vergangenheit Theodor Schieders sei eine Replik auf die Debatte über die Rolle der DDR-Historiker. Kowalczuk kennt offensichtlich nicht die Publikationen Roths, der gerade zu dem von Kowalczuk geforderten Diskussion über "Intellektuelle in der Diktatur" schon lange vor 1989 bahnbrechende Aufsätze geschrieben hat.
Aber es geht Kowalczuk auch gar nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit, sondern um Ausgrenzung und Denunziation, wenn er Roth en passant vorwirft "nachweislich jahrelang für das MfS als IM" tätig gewesen" zu sein und sich zugleich "energiegeladen für die Exkulpation seiner zum Teil schwer belasteten Kollegen aus dem Osten" eingesetzt" zu haben. Was hat Kowalczuk nun außer diesen persönlichen Entgleisungen noch vorzubringen? Er interpretiert die Auseinandersetzungen zwischen dem UHV und den ehemals führenden DDR-Historikern als einen "Aufstand von Nicht-Etablierten gegen Etablierte". Dabei unterliegt er meiner Ansicht nach einem grobem Mißverständnis. Denn der Begriff des Aufstands ist zumindest für mich immer mit dem des Risikos verbunden. Jedoch gingen die "Nicht-Etablierten" nach 1989 kein Risiko mehr ein, sondern das Engagement im UHV war für deren führende Repräsentanten Kowalczuk, Mitter und Wolle mit einer politischen und wissenschaftlichen Anerkennung verbunden; zumindest wenn man die Forschungsprojekte und Publikationen des UHV zugrunde legt. Weil sich die Schüler der NS-belasteten Historiker "nachsichtig und Autoritäten respektierend zeigten" und "weil sich die bundesrepublikanische Gesellschaft großzügig eine zweite Chance einräumte", hätten auch die NS-belasteten Historiker im Unterschied zu den ostdeutschen Historikern eine "zweite Chance" erhalten. Was Kowalczuk hier so nebenbei feststellt, bedarf aber im höchsten Grade einer Erklärung. Einen wichtigen Grund müßte Kowalczuk gerade wegen seiner Erfahrungen in der DDR kennen. Die "Schüler" zeigten sich auch deshalb nachsichtig, weil die Thematisierung der NS-Verstrickung ihrer Lehrer in der Nachkriegszeit unweigerlich zum Ende ihrer Karriere geführt hätte. Es ist wohl kein Zufall, daß nicht die etablierten Historiker sondern "Außenseiter" der Zunft als erste das Thema behandelt haben. Und wie nachhaltig der Korpsgeist der deutschen Historiker auch bei deren linksliberalen "Schülern" nachwirkte, dafür ist gerade der von Kowalczuk diffamierte Roth ein gutes Beispiel. Für seine zum Teil heftige Kritik an der etablierten westdeutschen Historikerzunft zahlt er seit langen Jahren einen hohen Preis: nämlich meist ignoriert zu werden oder wie vor Jahren von Norbert Frei in herabsetzender Weise kritisiert und in einem Atemzug mit Rainer Zitelmann genannt zu werden.
Dieter Nelles