Sehr geehrte Listenmitglieder,
auf dem letzten Historikertag in Frankfurt am Main wurde eine Dokumentation der Denkschriften deutscher Historiker in der NS-Zeit und ein Handbuch-Projekt über die völkische Wissenschaft im 20ten Jahrhundert angeregt, um damit dem gewachsenen öffentlichen Bedürfnis, eine Klärung der bisher nur im Ansatz erforschten Vergangenheit der eigenen Disziplin einzuleiten, Rechnung zu tragen. Diese Vorhaben sind nach Rücksprache mit vielen Kollegen überfällig.
Wir freuen uns nun, Ihnen eine Projektskizze für ein "Handbuch der völkischen Wissenschaften in Deutschland von 1920 bis 1960" vorzulegen. Die Konzeption umfaßt u. a. Forschungsansätze und Institutionen, Kurzbiographien und Forschungsfonds. Durch Indexverweise quer durch die Artikel des Handbuches lassen sich die Netzwerke der völkischen Wissenschaften erschließen. Durch den zeitlichen Bogen von Weimar über das "Dritte Reich" bis in die Nachkriegszeit erschließen wir auch die länger wirkenden Wandlungsprozesse.
Wir sehen uns beflügelt, unser interdisziplinäres Projekt der Scientific community vorzustellen und bei etwaigen Mäzenen bekannt zu machen. Unseren Optimismus ziehen wir nicht nur aus der wachsenden Untermauerung unserer Thesen. Neuere Studien und Diskussionen bestätigen diese, so zuletzt der beachtenswerte Artikel über den Geographen Karl Stumpp und Georg Leibbrandt in den "Holocaust and Genocide Studies" vom Frühjahr und den Vortrag von Mitchell Ash anläßlich der Berliner DFG-Tagung über "Wissenschaft und Politik im 20ten Jahrhundert" im Gesellschaftshaus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem.
Zahlreiche Kollegen sind interessiert, ihre Detailstudien in der geplanten zusammenfassenden Darstellung der Öffentlichkeit mit Zielpublikum Politiker, Journalisten und Studierende/Fachexperten zu präsentieren. Deshalb werden wir unser Vorhaben unabhängig davon durchführen, ob die Deutsche Forschungsgemeinschaft wie angekündigt im nächsten Frühjahr ein entsprechendes Schwerpunktprogramm in der Wissenschaftsgeschichte vorlegen wird oder nicht.
Wenn nun Ingo Haar und ich zunächst allein als Redakteure im Handbuch fungieren, so hat das folgenden Grund. Sobald wir über eine angemessene Finanzierung verfügen, gedenken wir entweder einen Soziologen zu gewinnen, der den Schwerpunkt "Deutsche Soziologie" als wichtigen Teil der völkischen Wissenschaften redaktionell mit betreuen wird. Oder wir vertiefen mit einem/r anderen Spezialisten/in den Bereich der fünfziger Jahre.
Wir haben uns dafür entschieden, unser Projekt im Internet vorzustellen, um Sie auf unser Unterfangen im Vorfeld aufmerksam zu machen. Diese neue Arbeits- und Diskussionskultur erscheint uns zeitgemäß. Zunächst werden wir ehrenamtlich arbeiten. Sobald wir uns einem Forschungsinstitut angegliedert haben, werden wir Workshops mit den AutorInnen organisieren. Wir gehen davon aus, daß sich im Laufe der Zeit feste Arbeitskreise konstituieren. Selbst eine Erweiterung um die europäische Perspektive ist denkbar, falls bis dahin vergleichende Studien einzubeziehen sind. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass der Call for Paper laut unserem Arbeitsprogramm Anfang Januar 2001 erfolgt.
Wir sehen einer interessanten Zusammenarbeit in den nächsten zwei Jahren mit Zuversicht entgegen und verbleiben
mit freundlichem Gruß
gez. Dr. Michael Fahlbusch gez. Dr. des. Ingo Haar
Basel, Berlin, 25. September 2000