Resolution zur Reform des Hochschuldienstrechts
Resolution
von WissenschaftlerInnen zur Reform des Hochschuldienstrechts
An die Bundesministerin für Wissenschaft, Bildung und Forschung, Edelgard
Bulmahn
An die WissenschaftsministerInnen der Bundesländer
An den Wissenschaftsrat
An die Hochschulrektorenkonferenz
Wir, die unterzeichnenden WissenschaftlerInnen, halten die Vorschläge der von der Bundesministerin eingesetzten Expertenkommission zur Reform des Hochschuldienstrechts in mehrfacher Hinsicht für unzureichend und diskriminierend. Zwar ist jede Initiative zu begrüßen, die die Eigenständigkeit von NachwuchswissenschaftlerInnen während ihrer Qualifikationszeit befördert. Gleichwohl enthalten die im Gutachten gesetzten Rahmenbedingungen neuerliche Exklusionen, und sie benachteiligen insbesondere Frauen:
1. Altersgrenzen
Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, daß sowohl direkte wie auch indirekte Altersgrenzen sich zu Lasten der Chancen von Frauen auf Arbeitsmärkten auswirken. Dies ist auch im akademischen Bereich nicht anders. Der Wissenschaftsrat hat dies in seinen Empfehlungen zur Chancengleichheit von Frauen in Wissenschaft und Forschung 1998 bestätigt. Die im Reformgutachten vorgeschlagenen Altersgrenzen (Studienabschluß mit 24 - 26 Jahren; Promotionsabschluß mit 27 - 29 Jahren, Ende der Juniorprofessur mit 35 - 37 Jahren) verlangen von den NachwuchswissenschaftlerInnen ein 150prozentiges Engagement und ein voll unterstützendes akademisches wie privates Umfeld. Frauen können beides nicht im gleichen Masse vorweisen wie Männer.
Wir fordern deshalb die Abschaffung von Altersgrenzen im Hochschuldienstrecht.
2. Akademischer Werdegang
Durch die Einführung enger Altersgrenzen werden berufsspezifische 'Umwege' in die Wissenschaft verstellt. Die soziologische Berufsforschung hat längst nachgewiesen, daß die Qualifizierung für bestimmte Tätigkeiten nicht durch eindimensionales Verfolgen des Karriereziels erworben wird. Vielmehr wirken gerade berufspraktische Erfahrungen in Wirtschaft, Kultur, Politik sowie Auslandsaufenthalte befruchtend auf die akademische Lehre und Forschung. Die Expertenkommission schließt mit der Einführung akademischer Qualifikationverläufe solche 'Berufsumwege' faktisch aus.
Wir fordern deshalb bei der Revision des Hochschuldienstrechts die stärkere Berücksichtigung von außeruniversitärer sowie ausländischer Berufserfahrung im Hinblick auf die Auswahl von HochschullehrerInnen.
3. Kindererziehungszeiten
Der Bericht der Expertenkommission nimmt auf die Geburt und Erziehung von Kindern, die für die Mehrzahl junger NachwuchswissenschaftlerInnen in die Zeitspanne der Qualifizierung (Promotion, Post-doc) und der Juniorprofessur fällt, keinerlei Bezug. Die Gutachter-Formulierung "Die Juniorprofessur soll ... in der Regel im Alter von 35 bis 37 Jahre enden" läßt zwar formalrechtlich eine Berufsunterbrechung infolge von Erziehungszeiten zu. Sie statuiert aber faktisch ein Leitmodell, dem die Mehrzahl der Frauen nicht wird entsprechen können. Schon jetzt zählt Deutschland in hochqualifizierten Beschäftigungen zu den Ländern mit dem geringsten Anteil von Frauen mit Kindern. Durch dieses Leitmodell wird die Tendenz zur erzwungenen Kinderlosigkeit bei Wissenschaftlerinnen weiter verschärft.
Wir fordern deshalb eine explizite Formulierung in der Revision des Hochschuldienstrechts, die das Bewußtsein des Arbeitgebers für potentielle Berufsunterbrechungen beider Geschlechter in dieser Lebensphase kenntlich macht. Es dürfen aus einer erziehungsbedingten Unterbrechung keinerlei Nachteile in bezug auf Qualifikationsforderung und Berufung entstehen.
4. Junior Professur und Alternativwege
Wir begrüßen die Einführung der Juniorprofessur grundsätzlich, sehen aber in ihrer Ausgestaltung sowie in der Beibehaltung der alten Personalstruktur keine adäquate Öffnung des Berufsfelds. Zwar findet die Etablierung der Juniorprofessur in Anlehnung an ausländische Vorbilder statt. Die dort existierenden Optionen, auch unterhalb der Professorenebene dauerhafte und unabhängige Tätigkeiten in Forschung und Lehre auszuüben (z.B. als Lecturer und über Drittmittel) greift das Gutachten aber nicht auf. Die Juniorprofessur wird zudem mit Leistungsanforderungen überfrachtet, die international keineswegs üblich sind. In den USA setzt die Entfristung der Assistenzprofessur in Geistes- und Sozialwissenschaften eine Monographie und nicht zwei - wie im Gutachten vorgeschlagen - voraus. Die bisherigen Qualifizierungszeiten in Deutschland sind nicht deshalb so lang, weil die Nachwuchswissenschaftler zu wenig arbeiten, sondern weil sie mit zu vielen Pflichten überhäuft werden. Es steht zu befürchten, daß die Juniorprofessur ohne realistisch formulierte Leistungskriterien das Problem eines durchlässigen Karrierewegs nicht lösen, sondern - mit neuen Rechten und damit Pflichten ausgestattet - eher noch verschärfen wird. Ähnlich verhalt es sich mit dem Vorschlag, Wissenschaftler mit alternativen Qualifizierungswegen zunächst nur mit einem Zeitvertrag, ohne jeden Anspruch auf Entfristung, einzustellen. Eine besondere Härte bedeutet dies für diejenigen WissenschaftlerInnen, die das bislang übliche Habilitationsverfahren abgeschlossen haben oder kurz davor stehen.
Wir fordern deshalb die Formulierung international vergleichbarer Leistungsanforderungen für die Qualifizierungsphase zwischen Promotion und Lebenszeitprofessur sowie die weitere Diversifizierung des akademischen Arbeitsmarkts, z.B. durch die Einführung von Lectureships sowie der eigenständigen Drittmittelforschung für Promovierte. Zeitvertrage bei Professorentätigkeiten - mit Ausnahme von Vertretungen - sollten die Möglichkeit der Entfristung nach Evaluation vorsehen.
UnterzeichnerInnen:
Prof. Dr. Ursula Apitzsch, Universität Frankfurt/M
Prof. Dr. Ute Gerhard, Universität Frankfurt/M.
Prof. Dr. Rebecca Habermas, Universität Göttingen
Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer, Universität Hannover
Prof. Wolfgang Fach, Universität Leipzig
Prof. Dr. Martin Haspelmath, MPI für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
Prof. Dr. Stephan Kempe, Techn. Univ. Darmstadt
Prof. Dr. Axeli Knapp, Universität Hannover
Dr. Teresa Kulawik, Freie Universität Berlin
Dr. Sabine Lang, Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Christiane Lemke, Universität Hannover
Prof. Dr. Ilse Lenz, Universität Bochum
Prof. Dr. Ulrike Liebert, Universität Bremen
Prof. Margit Mayer, Freie Universität Berlin
Prof. Wolf-Dieter Narr, Freie Universität Berlin
Prof. Hildegard-Maria Nickel, Humboldt Universität zu Berlin
Prof. Ilona Ostner, Universität Göttingen
Prof. Dr. Mechthild Reh, Universität Hamburg
Prof. Dr. Heidi Rosenbaum, Universität Göttingen
Prof. Dr. Roland Roth, Fachhochschule Magdeburg
Dr. Birgit Sauer, Universität Wien
Prof. Dr. Manfred Schmitt, Universität Trier
Prof. Dr. Juergen Schneider, Universität Göttingen
Dr. Teresa Kulawik
Freie Universität Berlin
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