Am 19. November nahm Ingo Haar in H-Soz-u-Kult ueber die Rolle Theodor Oberlaenders im Dritten Reich dazu Stellung, inwieweit dieser als Vordenker der Vernichtung gelte.
Bisherige Forschungen, die Oberlaender als Verantwortlichen fuer die Ermordung polnischer Professoren in Lemberg bezichtigten, sind nach den neuesten Ergebnissen (vgl. auch Karl Heinz Roth ueber Hans Joachim Beyer in, Peter Schoettler, Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft Frankfurt 1997) unhaltbar. Auch scheinen sich angesichts der derzeitigen Forschungen jene Vorwuerfe in Schall und Rauch aufzuloesen, die ihn als Vordenker der Vernichtung bezeichnen. Ingo Haar hat zu recht die Simplifizierungen ueber Oberlaenders 30er Jahre als kurzschluessig dargestellt.
Dennoch kann und muss Oberlaenders Rolle neu beleuchtet werden, zumal er durch die Leitung des BDO innerhalb der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften (hier die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft) trotz seiner 32 Jahre an aeusserst exponierter Stelle stand. Oberlaenders Stellungnahmen waehrend der "Friedensphase" der NS-Diktatur zeichnen ihn als "Hitzkopf" aus. Meines Erachtens laesst sich jedoch ein Abbruch seiner Karriere als Ostforscher durch die Versetzung Oberlaenders an die Universitaet Greifswald nicht erklaeren. Moeglicherweise wurde er wegen aussenpolitischer Ruecksichtnahme hinter die Frontlinie zurueckversetzt.
1. Ist die Uebernahme eines Lehrstuhls kein Indiz fuer einen Abbruch der Karriere. Am Beispiel Friedrich Metz liesse sich ein paralleler Fall aufzeigen, wie mit Professoren verfahren wurde, die sich mit Gauleitern anlegten. Daraus einen Karrierebruch zu konstruieren, halte ich fuer eine Ueberinterpretation der Facts.
2. Ueber die Universitaet Greifswald waere wohl noch einiges mehr zu sagen, um die Funktion Oberlaenders zu bestimmen. Ohne diese noch aufzuarbeitenden Hintergruende, welche Rolle die Greifswalder Institute in der Nord- und Osteuropaforschung gespielt haben, kann nicht von einem Abschieben Oberlaenders gesprochen werden, zumal auch die Reichszentralen an den Forschungen Oberlaenders interessiert waren.
3. Die Berufung an die Universitaet Prag, einer SS-Hochburg, stellt Oberlaender in der Tat nicht gerade eine unpolitische Note aus. Warum sollte er rehabilitiert werden, wenn diese Berufung nicht als Auszeichnung zu bewerten ist? Schliesslich fand sich auch Hans Joachim Beyer in Prag ein, ein Pragmatiker der Umvolkung.
Offen bleibt in der Tat noch Oberlaenders Beteiligung an den definitiven vorbereitenden Planungen im Osten. Ohne einen Vergleich seiner Denkschriften und Studien mit den erst juengst veroeffentlichten Forschungen ueber den Generalplan Ost laesst sich kaum eine Entlastung Oberlaenders konstatieren. Insbesondere sollten die Interessen des RSHA und der Wehrmacht hinsichtlich der ethnischen Minderheiten in den besetzten Gebieten vor dem Hintergrund der oekonomischen Effizienzsteigerung der besetzten Laender bewertet werden.
Genauso offen bleibt allerdings auch Oberlaenders Rolle als Volkstumsexperte in der militaerischen Abwehr, wie uebrigens auch die von Hans Koch, Peter Heinz Seraphim und Werner Markert. Dieses Thema, das ebenfalls noch der Aufarbeitung harrt, ist deshalb von Bedeutung, weil es neben dem RSHA III und VI innerhalb der militaerischen Abwehr eine weitere volkspolitische Abteilung gab. Ueber ihren Zweck und ihre Ziele konnte mir Hans Erich Volkmann in Potsdam keine Auskunft erteilen. Wir wissen in der Tat fast gar nichts ueber die Informationsfluesse der SS und ihrer wissenschaftlichen Berater in der Wehrmacht. Hinsichtlich der Nachkriegsfunktion Oberlaenders als Bundesvertriebenminister wird man sich allerdings fragen muessen, ob er nicht auch fuer die Rekrutierung der Ostforscher im posttotalitaeren Biedermeier wesentliche Mittel zur Verfuegung stellte, die noch heute vom Bundesinnenministerium geleistet werden.
Dass Oberlaender es bis in die 1980er Jahre hinein geschafft hat, seinen rassistischen Ansichten treu zu bleiben, davon zeugt das von ihm mitunterzeichnete Heidelberger Manifest. Es wird zumindest das demokratische Grundverstaendnis gefordert sein, um diese Luecke in der historiographischen NS-Forschung aufzuarbeiten, auf die Ingo Haar hinwies. Allen Unkenrufen der Verschwoerungstheorie zum Trotz, gibt es kaum bessere Beispiele dafuer, wie fachspezifische Korrektive in drei Zeitepochen aussetzen, die die Wissenschaft vor der Instrumentalisierung durch die Politik haetten schuetzen koennen. Theodor Oberlaender ist dabei nur ein treffliches Beispiel wie trotz "gebrochener" Karrieren aufgrund eines wichtigen Beziehungsnetzes diese Kontinuitaet gewaehrleistet wird.
Michael Fahlbusch z. Zt. Athen
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