In der Tat ist die Karriere Oberlaenders ambivalent - der kometenhaften Aufstieg, den Haar bis 1937 dem erst 32-jaehrigen Doppeldoktor und Professor Oberlaender konstatiert, verlaeuft weitgehend senkrecht und ungestoert. Allerdings ist der Bruch, den Oberlaenders Karriere 1937 und 38 erfaehrt, sehr viel mehr als die "Disziplinierung", die Haar hier konstatiert hat. Von Seiten der Volksdeutschen Mittelstelle wird er durch eine Intrige aus dem Amt gedraengt, und Erich Koch, der ihn zunaechst zu Ribbentrop "fortloben" will, unternimmt vielfaeltige Versuche, Oberlaender schliesslich gewaltsam loszuwerden. Oberlaenders erst kuerzlich zugaenglich gewordene Personalakte spricht hier eine deutliche Sprache. Auch die Massnahme Bormanns, die Haar erwaehnt, naemlich Oberlaender alle Parteiaemter zu entziehen, kommt auf Initiative Kochs zustande. Nur Oberlaenders Kontakte und seine Taktik bewahren ihn vor einer Konfrontation mit Koch: sogar seine Lehrstuhl- Planstelle nimmt Oberlaender nach Ruecksprache mit dem Berliner Ministerium mit nach Greifswald, sie wird der Koenigsberger Universitaet entzogen, was nicht Kochs ungeteilte Begeisterung findet. In Greifswald entgeht Oberlaender dem Zorn Kochs nur, weil das Oberkommando der Wehrmacht sich mit dem Amt Ausland / Abwehr einschaltet und Oberlaender als Experten anwirbt. Ueberhaupt spielt Koch fuer Oberlaenders Karriere mehrmals eine Schluesselrolle - zuletzt im Herbst 1943, als er bei Himmler interveniert, Oberlaender aus der Wehrmacht zu entlassen.
Oberlaenders Zeit und seine Rolle in Prag sind nach wie vor umstritten, manches ist unklar. Wie Haar schreibt, ist noch offen, warum er diese Position erhielt - sein erster Sonderverband Nachtigall wird erst im Fruehjahr 1941, Bergmann erst im Herbst 1941 aufgestellt. Dass ihm hier Verdienste zugerechnet wurden, die mit dieser Position belohnt werden sollte, glaube ich deshalb nicht. Weiterhin ist fraglich, welche Wirkung Oberlaender in Prag bis Ende 1943 tatsaechlich erzielt hat, denn ausweislich seines Kriegstagebuches hat er vom Fruehjahr 1941 bis zum Herbst 1943 nur wenige Wochen in Prag verbracht. Als Abwehr- und Wehrmachtsoffizier war er vollauf mit der Aufstellung seiner Sonderverbaende Nachtigall und Bergmann beschaeftigt und verbrachte die wenigen Urlaubstage meist bei seiner Familie in Greifswald.
Dass seine Denkschriften der Grund fuer seine Ernennung zum Dekan in Prag sein koennten, wie Haar vermutet, weil Heinrich Himmler sie aufgenommen habe, halte ich aus zweierlei Gruenden fuer unwahrscheinlich: erstens wurden die Denkschriften, von dehnen vier zwischen Herbst 1942 und Sommer 1943 entstanden, Himmler durch einen Schulfreund, einen Wehrmachtsoffizier, vorgelegt, der mit Oberlaender befreudet war. Die Reaktion Himmlers war aeusserst negativ. Zweitens war es Himmler, der hinter Oberlaenders erzwungener Entlassung aus der Wehrmacht im Herbst 1943 stand - wegen seiner Denkschriften. Im November und Dezember 1943 wurde innerhalb der SS - Spitze der Fall Oberlaender und seine moeglichen Konsequenzen diskutiert. Das Reichssicherheitshauptamt stellte in einem 10 - Punkte - Bericht Oberlaender ein vernichtendes charakterliches und politisches Zeugnis aus, und in einer Korrespondenz zwischen den SS - Obergruppenfuehrern Karl Hermann Frank in Prag und Ernst Kaltenbrunner in Berlin wurde eine breite Palette von Zwangsmassnahmen gegen Oberlaender erwogen - von der Versetzung an eine westdeutsche Universitaet bis hin zum Arbeitseinsatz in einem Ruestungsbetrieb und Haft im KZ. Nur eine Intervention aus Kreisen des OKW war es zuzuschreiben, dass Oberlaender Schlimmeres erspart blieb. Schliesslich kam er mit einer strengen Verwarnung Franks im Januar 1944 davon - mit der Auflage, sich bei Strafe der Verhaftung in Zukunft jeglicher volkstumspolitischen Aktivitaet in Wort und Schrift zu enthalten.
Warum die SS ihre Meinung ueber Oberlaender allerdings innerhalb eines Jahres wieder so weit aenderte, dass die SS - Propagandastandarte "Kurt Eggers" ihn im Februar 1945 noch als Propaganda-Experten zur Werbung "fremdvoelkischer" Truppen anwerben wollte, gehoert zu den vielen Fragen, die in Bezug auf Theodor Oberlaender noch offen sind - nicht nur in Bezug auf seine Zeit in Prag, sondern auch bezueglich seiner Rolle in Lemberg und im Kaukasus.
Philipp - Christian Wachs
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