Oberlaender erlebte in den dreissiger Jahren einen kometenhaften Aufstieg. Er wurde in Personalunion Leiter des Instituts fuer Osteuropaeische Wirtschaft in Koenigsberg und Landesleiter des BDO/VDA. Als Mitbegruender der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft gehoerte er zum harten Kern der voelkischen Wissenschaft des NS-Regimes. Seine Bedeutung fuer die ostdeutsche Volksgeschichte (Willi, Oberkrome, Volksgeschichte, S. 146 ff., 190 ff.) ist exzeptionell. Als BDO-Landesleiter baute er den Nachrichtendienst fuer die Belange der sogenannten "Volksddeutschen" in Russland, Polen und dem Baltikum auf.
Oberlaenders Karriere wurde aber im NS-Regime abgebrochen, weil er insbesondere in Ostpreussen zu einflussreich wurde. Der ostpreussische Gauleiter Erich Koch wollte ihn deshalb im Sommer 1938 in das Buero Ribbentrop versetzen, wo er als sein Mittelsmann fungieren sollte. Oberlaenders Karriere im Rahmen der deutschen "Ostforschung" war damit beendet. Auch seine Denkmodelle blieben wahrscheinlich nur von kurzer Reichweite. Sein Hauptgegner, die "Volksdeutsche Mittelstelle", die Hitler unmittelbar unterstand und fest in der Hand der SS war, uebernahm sein bevoelkerungspolitisches Modell nicht auf diese Weise. Oberlaender wurde gegen Ende 1938 diszipliniert. Er verlor auf Initiative von Martin Bormann seine saemtlichen Partei-Aemter. Seine Versetzung nach Greifswald beendete abprupt seine Karriere als "Ostforscher".
Der Prager Zeit Oberlaenders kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, weil es sich hier um einen Wissenschaftsstandort handelt, dessen verschiedene Einrichtungen unmittelbar an der Ausarbeitung des Generalplan-Ost beteiligt waren (Heydrich-Stiftung/Konrad Mayers Planungsstab). In dem am 20. November erscheinenden Sammelband ueber "Geschichtsschreiung als Legitimationswissenschaft", der von Peter Schoettler herausgegeben wird, erscheint ein aussagekraeftiger Beitrag von Karl-Heinz Roth. Auch Roth scheint zu der Auffassung gekommen zu sein, dass Oberlaender nicht an den Ausarbeitungen des Generalplan-Ost beteiligt war.
Oberlaender war als deutscher Polit-Offizier an der Aufstellung ukrainischer Freiwilliger beteiligt (die Einheit hiess "Nachtigall"). Neueste Forschungen ergaben, dass eine Tatbeteiligung Oberlaenders an Massakern an Juden und Russen in Lemberg nicht nachzuweisen ist, obwohl er diese Einheiten leitete (Thomas Sandkuehler, "Endloesung" in Galizien, S: 488). Somit bleibt Oberlaenders Rolle ambivalent. Er gehoerte zwar nicht dem unmittelbaren Umfeld der SS an, ihm ist keine unmittelbare Tatbeteiligung nachzuweisen, aber im Grunde war er doch - wenn auch vermittelt - an der Ausarbeitung der voelkischen Dekompositionspolitik beteiligt.
Als Wissenschaftler lieferte Oberlaender die Begruendung fuer die These, dass Polens Agrarordnung sich in einer Dauerkrise befand. Er konstatierte "Ueberbevoelkerung" auf der einen - und fehlende Subsistenzmittel auf der anderen Seite. Zudem war er Anhaenger eines Politikmodells, das als "voelkische Dekompositionspolitik" bezeichnet wurde. (vgl. Bruno Wasser: Himmlers Raumplanung im Osten, S. 25 u. a.) Er vertrat als einer der regsten Koepfe der NS-Aussenpolitik 1938 die Meinung, dass die slawischen Voelker Ostmitteleuropas, vor allem die Weissrussen und die Polen, unter dem Dach der Hegemonialmacht "Deutsches Reich" gegen die Sowjetunion gelenkt werden muessten. Fuer diesen Zweck sollte der Antisemitismus der Polen und anderer agrarisch strukturierter Voelker genutzt werden.
Ungefaehr auf diese Weise sollte der den "Kampf um das Vorfeld" geloest werden: Die deutschen Besatzer in spe sollten die ostmitteleuropaeische Agrarordnung reformieren, dafuer hatten sich die slawischen "Volksgruppen" zu revanchieren. Oberlaenders Modell sah vor, dass die polnischen Bauern auf einen Schlag entschuldet werden sollten, indem die juedische Bevoelkerung zu enteignen war. Davon sollten die polnischen Bauern profitieren. Oberlaender nahm als Kenner der osteuropaeischen Agrarkrise an, dass die einzelnen Bauern in der Regel bei Juden verschuldet gewesen seien. Oberlaender vertrat hiermit eine Strategie der "voelkischer Dekomposition", die Im Rahmen der Ostforschung Schule gemacht hat. Trotzdem bleibt Oberlaenders Position zwiespaeltig zu bewerten. Er wurde mit Wirkung zum 15. Januar 1941 zum Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultaet in Prag bestellt. Sofern neue Erkenntnisse ueber Oberlaenders Zeit in Prag erbracht werden koennten, liesse sich deutlicher abschaetzen, auf welche Weise und mit welchen wissenschaftlichen Expertisen er die "Endloesung" unterstuetzt haben koennte. Einige seiner Denkschriften aus dieser Zeit belegen, dass er unmittelbare Kenntnis von der Massenmorden an Juden hatte.
Indessen zeigt sich aber auch, dass er keinesfalls als ein Vertreter des Politikmodells der SS anzusehen war, die ganz Ostmitteleuropa von Deutschen besiedeln lassen wollte, nachdem die dort ansaessige Bevoelkerung im groessten Stil vertrieben oder umgebracht worden war. Wollte man Oberlaenders Position als Planer von Umsiedlungen und Vernichtungsaktionen verorten, so wuerde ich die Prager Zeit nicht ueberbewerten. Allerdings zeigen sich auch Hinweise, die eine entgegengesetzte Auffassung begruenden koennten: Warum er Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultaet wurde, geht aus einer Aktennotiz fuer den Staatsminister und SS-Obergruppenfuehrer Karl Hermann Frank hervor. Demzufolge sei Oberlaender Dekan in Prag geworden, weil seine Denkschriften, die zur Bildung des "Sonderverbandes Bergmann" aufriefen, von Heinrich Himmler aufgenommen worden seien. Dieser Sonderverband war eine Truppe von "fremdvoelkischen" Freiwilligen, die gegen die Rote Armee kaempften.
Vielleicht handelte es sich bei Oberlaenders Berufung nach Prag um eine Art Rehabilitierung fuer seine Zwangsversetzung von Koenigsberg nach Greifswald? Die weitere und die laufende Forschung muesste sich die Frage stellen: Was hat die Bildung des Einsatzkommandos mit Oberlaenders Agrar- und Siedlungsplanungen zu tun (Wehrwirtschaftliche Aspekte / Volksgruppenpolitik)?
Es bleibt die Frage offen, ob Oberlaender ab 1941 Kontakt mit Schaltstellen oder Denkzentren der "Endloesung" hatte. Dies waere in dem Fall positiv zu beantworten, wenn Oberlaender Kontakte zur Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft haette. Tatsaechlich erhielt Oberlaender von Albert Brackmann, dem Leiter der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft, im Februar 1941 eine Nachfrage, wie er die Agrarordnung Ostmitteleuropas unter dem Aspekt des Nahrungsmittelspielraumes fuer die dort lebende Bevoelkerung einschaetzen wuerde. Er trat hier ein rigoros fuer eine "Verminderung der Bevoelkerungszahl auf dem Land" ein. Er war der Ansicht, dass "der wirtschaftlich passive und tatsaechlich so gut wie arbeitslose Teil der Bevoelkerung eine konsumtive Belastung" darstelle. Was eine solche Stellungnahme bewirken konnte, wenn sie beispielsweise den Planungsstaeben zugeleitet worden waere, die mit der Deportation der juedischen, ukrainischen, russischen oder polnischen Bevoelkerung beauftragt waren, das laesst sich nach dem Stand der bisherigen Forschung nur abschaetzen. Der Verweis auf seine Nazi-Funktionen und voelkisches Bramarbasieren in der Zeit vor 1937/38 reicht m. E. nicht aus, um ihm als geistigen Urherber der "Endloesung" auszumachen.
Ingo Haar
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