Beiliegender Artikel ist im Israelitischen Wochenblatt in Zuerich, Schweiz erschienen. Ich bin an weiterem Material in dieser Angelegenheit interessiert, da dieses Kapitel meines Erachtens keineswegs geschlossen werden sollte.
Schlomoh Gysin, Basel (Schweiz)
Israelitisches Wochenblatt, Zuerich, 99. Jahrgang, 1999, Nr. 16 vom 23. April 1999, S. 8-10.
In Basel ist in den letzten Tagen eine Kontroverse um die seit 1968 in Basel etablierte Johann Wolfgang von Goethe-Stiftung entbrannt. Gruender dieser Stiftung ist der 1993 verstorbene Industrielle Alfred Toepfer, dem die Uni Basel anno 1973 fuer sein 'humanistisches Wirken' die Ehrendoktorwuerde verliehen hatte. Eine Interpellation im staedtischen Parlament hat jetzt eine Lawine ausgeloest, in deren Strudel auch renommierte, international taetige Historiker geraten koennten.
Es bedurfte der Berichterstattung im Basler Lokalfernsehen und einer Interpellation im Basler Grossen Rat durch einen Vertreter der Ratslinken, die noch der Antwort der Regierung harrt, damit die Oeffentlichkeit auf eine, seit 1968 in ihren Toren domizilierte Stiftung aufmerksam wurde, deren 1993 verstorbener Gruender Alfred Toepfer aus Hamburg im Zwielicht seiner NS-Vergangenheit steht. Die Rede ist von der in Basel beheimateten Johann Wolfgang von Goethe-Stiftung, die aus dem Boden reichsdeutscher Kulturpropaganda entwachsen ist. Stiftungsmentor Toepfer hat es geschickt verstanden, Europa mit einem Netz unzaehliger Stiftungen mit schillernden Namen zu ueberziehen. So existiert auf den Osten Europas ausgerichtet ein Puschkin-Preis, ein Burckhardt-Preis fuer die Schweiz und der Wolfgang Amadeus Mozart-Preis fuer Oesterreich, der am letzten Samstag in Innsbruck dem am Zuercher Opernhaus taetigen Dirigenten Franz Welser-Moest verliehen wurde. All diese Preise scheinen, so unwahrscheinlich es klingen mag, nur dem einen Ziel dienen, die braune Vergangenheit des so lauteren Herrn Toepfer zu kaschieren.
Noch 1989 hielt ein deutscher Historiker fest, dass es im NS-Regime weder "schluessige Vorstellungen vom Wesen der Wissenschaft" gegeben habe, noch die "Lenkung bestimmter serioeser Wissenschaftszweige" gelungen sei.
Diese These ist aber sehr ins Wanken geraten, wie der Wissenschaftler Michael Fahlbusch in einem in 14-jaehriger Forschertaetigkeit entstandenen, rund 900 Seiten umfassenden Buch zur "Volkstums"-Politik und "Volkstums"-Forschung eindruecklich dokumentiert hat. Ein 1997 in Berlin abgehaltenes Diskussionsforum ueber Volksgeschichte hinterfragte erstmals in dieser Form und vor allem in aller Oeffentlichkeit die Rolle der Historiker im Dritten Reich und die Moeglichkeit ihrer Beteiligung am Voelkermord. Das Plenum verhandelte beispielsweise das Verhalten fuehrender Nachkriegshistoriker der Sozialgeschichte, wie Theodor Schieder und Werner Conze, die im besagten Zeitraum zwischen 30 und 40 Jahre alt waren. Beiden wurde vorgeworfen, sich mittels ihren bevoelkerungs- und landeskundlichen Denkschriften fuer die Vernichtung der juedischen Bevoelkerung und anderer Minderheiten in Polen eingesetzt zu haben.
Beide gehoerten einem von etwa 1'000 Kulturwissenschaftlern getragenen nazionalsozialistischen Brain Trust an, der bisher eigenartigerweise nie Gegenstand einer historiographischen Untersuchung war. Signifikant ist auch die Tatsache, dass sich die alten Kameraden von damals in den 50er und 60er Jahren in Beschwichtigungen, Leugnungen und gar Geschichtsfaelschungen ergingen, wenn es um die eigene Rolle waehrend des dritten Reiches ging.
Der Wissenschaft im Dienst nazionalsozialistischer Politik, so belegen inzwischen eine Vielzahl von Forschungsarbeiten der juengeren Historikergeneration, wird eine tragende, ja geradezu fuehrende Rolle beigemessen. Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften (VFG) kristallisierten sich schon Ende der Weimarer Republik zur Speerspitze der sogenannten "Volkstums'"-Forschung. Diese bildete in der NS-Zeit einen wichtigen Pfeiler der deutschen Aussenpolitik und erfuellten sowohl einen kultur- wie auch bevoelkerungspolitischen Auftrag. Ziel dieser Politik war die Margiinalisierung einzelner Bevoelkerungsgruppen in den besetzten Staaten nach ethnischen, politischen und soziooekonomischen Gesichtspunkten.
Dabei sollten jene ethnischen Minderheiten aus den okkupierten Gebieten ausgesondert werden, die bereits durch die Nuernberger Gesetze ausgegrenzt wurden oder aus strategischen Gruenden nicht zu "germanisieren" waren. Demgemaess bildeten die VFG in der nazionalsozialistischen Vernichtungspolitik einen bisher voellig unterschaetzten Faktor, schliesslich lieferten sie die Begleitforschungen fuer die Umsiedlungen deutscher "Volksgruppen" und die sogenannte "Endloesung".
Das ganz besondere Augenmerk gilt einem der ganz Maechtigen innerhalb dieses blutbesudelten voelkischen Trusts. Der 1993 verstorbene Hamburger Geschaeftsmann Alfred Toepfer, pflegte sich liebend gerne im Dunstkreis der Macht aufzuhalten, egal ob es sich dabei um die Gralshueter des tausendjaehrigen Reiches oder die Vertreter der classe politique im Nachkriegseuropa handelte. Toepfer, der sein Vermoegen zumindest teilweise im Getreidehandel machte, verspuerte schon frueh den Drang nach hoeheren Weihen und nationalem Ruhm. Das grosse Geld erwarb sich Toepfer jedoch als Bauunternehmer im Siedlungsbau fuer die deutschen Umsiedler im Warthegau und Posen. Spaeter, als es mit dem Reich langsam bergab ging, machte er noch einmal einen Reibach mit seinen verschiedenen Tarnunternehmen, wie beispielsweise von 1942-1944 mit der Stahlberg und Co. Paris/Hamburg, die dem Vernehmen nach auch vereinzelte juedische Betriebe im Generalgouvernement Polen arisierte. Schwarzmarkt- und Kompensationsgeschaefte (Autos und Champagner gegen das begehrte und kriegswichtige Wolfram) waren weitere Einnahmequellen dieser schillernden Figur. So verwundert es auch nicht, dass bereits im Jahre 1935 das "Ministerium fuer Volksaufklaerung und Propaganda" die im gleichen Jahr von Toepfer gegruendete Johann Wolfgang von Goethe-Stiftung als eine der "reichswichtigen Stiftungen" des Dritten Reiches einstufte. Stiftungszweck war die Foerderung des "geistig-kulturellen" Zusammenhangs des "Grenz- und Auslanddeutschtums" durch Verleihung von Kulturpreisen an Auslaender in den Nachbarstaaten des Tausendjaehrigen Reichs.
Man kann nach Kenntnis der Fakten davon ausgehen, dass es sich bei all diesen Gesellschaften, Stiftungen und Kuratorien um kulturelle fuenfte Kolonnen handelte, deren einziger Zweck es war, den Weg fuer eine Einverleibung in ein Deutsches Reich nach dem gewonnenen Krieg zu ebnen. Fuer die Schweiz haette diese Annexion wider den offiziellen Verlautbarungen deren Ende als eigenstaendigen Staat bedeutet. Ein weiteres Indiz fuer die Bestrebungen nach voelkischer Unterwanderung und Germanisierung war 1943 die Unterstellung aller Stiftungen der VFG unter das Reichssicherheitshauptamt (RSHA).
Toepfers schier unermuedlicher Aktivismus in Sachen Deutschtuemelei erfuhr 1937 einen empfindlichen, wenn auch nur kurzfristigen Karriereknick. Wegen Devisenschiebereien, illegalen Spekulationen und dem Transfer von Gewinnen in die Schweiz sowie deren Retransferierung auf eine Privatbank in Freiburg Br., die in der Regel auf Grund des Volksverratsgesetzes mit dem Tode bestraft wurden, verzeigte ihn die Badische Finanzdirektion und Toepfer landete hinter Gittern.
Auf wundersame Weise war der 'Todeskandidat' aber nach einem Jahr wieder auf freien Fuss und konnte praktisch ungehindert seinen Geschaeften nachgehen. Allerdings, so neueste Hinweise die den Forschern vorliegen, soll er von SS-Reitergeneral Werner Lorenz im Gefaengnis besucht worden sein.
Was dort letztlich ausgekluengelt wurde, ist zur Zeit Gegenstand vertiefter historischer Untersuchungen. Lorenz, den Toepfer neben anderen Nazigroessen, wie den Hitler-Stellvertreter Rudolph Hess und den Chef der sudetendeutschen Nazis, Konrad Henlein, auf Schloss Kalkhorst bei Luebeck empfangen hatte, war spaeter auch im Kuratorium der Deutsche Umsiedlungs-Treuhandgesellschaft (DUT). Die DUT hatte enge Bindungen an Eichmanns Judenreferat in Lodz, welches die Konfiszierung und Umverteilung juedischen Besitztums sowie die Umsiedlung, sprich ethnische Saeuberung vollzog.
Wie konnte ein Mann wie Toepfer zu solcher Machtfuelle gelangen? Der Historiker Karl Heinz Roth von der Stiftung fuer Sozialwissenschaft des 20. Jahrhunderts an der Universitaet Bremen bringt es auf den Punkt. "Alles, was man in den letzten Jahren zu Toepfer geschrieben hat, ist marginalisiert geblieben, weil Toepfer einer der wichtigsten Maenner der Bundesrepublik Deutschland war. An seiner Beerdigung haben der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und der fruehere englische Premier Edward Heath gesprochen. Man kann sagen das er die europaeische Fuehrungselite eingekauft hat. Er war unangreifbar. Toepfer hat sehr geschickt alle vereinnahmt, die ihn in irgend einer Weise haetten kritisieren koennen." Selbst in seinem engeren Umfeld wuessten viele heute nicht, so Roth, was er alles getan habe. "Das wird erst durch die historische Forschung aufgedeckt."
Zur Frage, ob Toepfer direkt mit der sogenannten "Endloesung" in Verbindung gebracht werden kann, meint Roth: "In diesem Sinn waere das ueberspitzt, weil er zumindest nach unseren bisherigen Forschungsstand an der Massenvernichtung der europaeischen Juden direkt offensichtlich nicht beteiligt war. Er hat ueber seine Schwarzmarktoperationen zweifellos mittelbar mitgewirkt und er war eine ganz wesentliche Stuetze der Raubwirtschaftsstrategie der NS-Diktatur und in diesem mittelbaren Sinn kann man das sagen, weil auch die Massenvernichtungspolitik in diesem Kontext mit eingebettet war." Sein Stiftungsimperium aber sei sicher damit verstrickt. In verschieden osteuropaeischen Grenzuniversitaeten, so Roth, seien Vorkaempfer der SS-Volkstums - und Vernichtungspolitik geehrt worden. Toepfer habe nicht persoenlich, aber die Stiftung habe es getan.
Auch fuer den in Mulhouse taetigen franzoesischen Historiker Lionel Boissou ist klar, dass Toepfer in verschiedenen Gremien und Organisationen vom Anfang bis zum Ende ganz oben im NS Apparat mitgewirkt hat. Gegenueber der "Basler Zeitung", die dieses Thema in ihrer letzten Wochenend-Ausgabe behandelte, mochte sich die Geschaeftsfuehrerin der Goethe-Stiftung, Marie Paule Stintzi, nicht aeussern. Sie war fuer eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Keine braunen Flecken auf der Weste Alfred Toepfers mochte dagegen der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt entdecken. In einer Laudatio anlaesslich einer Ehrung fuer Toepfer, meinte er 1991 naemlich: "Alfred Toepfer (ist) ein Maezen, der seine eigene Person voellig in den Hintergrund stellt [...] Durch die Ausrichtung seines maezenatischen Engagements hat Alfred Toepfer nicht nur das kulturelle Leben Deutschlands bereichert, sondern dem europaeischen Gedanken unschaetzbare Dienste erwiesen."
Im Lokalsender "Telebasel" stritten die beiden Historiker Georg Kreis und Lionel Boissou ueber die Rolle der einer unabhaengigen wissenschaftlichen Kommission, welche die Toepfer-Stiftung (zu der auch die Basler Goethe-Stiftung gehoert) unter die Lupe nehmen soll. Es gehe nicht an, so Boissou, dass Historiker in Kommission saessen, die vom Untersuchungsobjekt bezahlt wuerde. Das iw hat sich mit Georg Kreis unterhalten. Interview Schlomoh Gysin
iw: Lionel Boissou empfindet es, so sagte er im TV-Interview, als unhaltbar, dass jemand in einer Kommission Einsitz nimmt die vom zu untersuchenden Objekt bezahlt wird. Sie lehnten diesen Vorwurf als "Diffamierung" ab. Der von Boissou erhobene Vorwurf ist damit aber nicht aus der Welt geschafft!
Prof. G. Kreis: Es handelt sich hier um ein zusammengeschnittenes Interview, das ich beoim Betrachten merkwuerdig empfand. Das mit einer Finanzierung automatisch auch eine inhaltliche Vorgabe verbunden sei, ist natuerlich schon eine perfide Unterstellung. Das wuerde doch bedeuten, dass wir in der Bergier-Kommission, der ich ja auch angehoere, im Dienste einer Affirmationsgeschichte den Bund unterstuetzen muessten, bloss weil wir vom Bund Gelder erhalten.
iw: Wir halten diesen Vergleich nicht fuer statthaft, denn beim Bund handelt es sich doch immerhin um den von den Steuerzahlerinnen und -zahlern getragene Staat, der demokratisch kontrolliert wird, waehrend dies bei der Toepfer-Stiftung wohl kaum der Fall ist!
Prof. G. Kreis: Ich finde schon, dass der Prozess viele Parallelen aufweist. Der Bundesrat hat letztlich die Mitglieder der Kommission ausgesucht. Auch hier gab es einen Druck von ganz rechts, gewisse Mitglieder nicht ernst zu nehmen bzw. zu diffamieren, damit man allenfalls spaeter dann die Resultate ablehnen kann. Ich finde es einfach nicht richtig, dass man in dieser Toepfer-Sache zum vornherein mit Verdaechtigungen operiert. Man soll doch erst einmal die Ergebnisse abwarten.
iw: Die Kommission will sich nach zweijaehriger Arbeit weiterhin nicht oeffentlich ueber Resultate oder Zwischenresultate vernehmen lassen. Was sind die Gruende dafuer?
Prof. G. Kreis: Gruende dafuer sind u. a., dass es einfach Zeit braucht, Forschung zu betreiben. Wenn man beispielsweise Toepfers Haltung als Offizier in Frankreich abklaeren will, stoesst man auf enorme Schwierigkeiten, Akten zu finden, in denen etwas darueber vermerkt ist. In seinem Aufsatz hat Boissou zwar viele Punkte genannt, aber auch nicht erhaertete Verdachtsmomente geaeussert, die wir erst einmal bestaetigen oder dann ausraeumen muessten, was eigentlich gat nicht unsere Aufgabe ist. Vielleicht koennen wir aber diese Quellen auch gar nicht eruieren. Man sollte vor allem den Willen der jetzigen Angehoerigen der Familie Toepfer nutzen, Aufklaerung zu betreiben, diese Fragen einer genauen Pruefung zu unterziehen.
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