Diskussion: "Historiker im Nationalsozialismus"

Das lange Schweigen ueber Historiker im Nationalsozialismus: ein Generationen- oder ein Strukturenproblem?

Diesmal lief die Debatte an unserer Mailingliste vorbei. Nach der "aufwuehlende[n] Debatte" (Zeit), dem "Hoehepunkt" (FAZ) des "diesmal wirklich (...) vom Mantel der Geschichte" umwehten Historikertags (SZ) rauschte es vor allem im Blaetterwald. Nicht nur die grossen Zeitungen berichteten ausfuehrlich ueber die Sektion "Deutsche Historiker im Nationalsozialismus" und die Diskussionsbeitraege der "Elefanten der Zunft" (FAZ), auch im Mannheimer Morgen oder dem Koelner Stadt-Anzeiger war nachzulesen, was "Prof. Hans-Ulrich Wehler (67, Bielefeld)", "Juergen Kocka (57, Berlin)" und andere zu sagen hatten.

Bis auf einen Artikel der Berliner Morgenpost, der sich hauptsaechlich der "stark kritisierten 'Collage-Technik'" und der harten Urteile ueber die "suggestive Vortragstechnik" des bei der konkurrierenden Berliner Zeitung arbeitenden Goetz Aly annahm, waren sich die Berichte weitgehend einig: "Auf dem 42. Historikertag", so formulierte die FR den breiten Konsens, "wurden Generationenkonflikte offenbar". Damit nahm die Presse ein Stichwort des Vorsitzenden des Historikerverbands, Johannes Fried, auf, der in seiner Eroeffnungsrede entscheidende Fragen gestellt hatte: "Warum schwieg die bundesdeutsche Geschichtswissenschaft ueber die NS-Vergangenheit ihrer fuehrenden Repraesentanten? Warum konnten wir mit geschoenten Biographien leben?"

Die auf die Vortraege folgende Debatte macht das Generationenproblem als Erklaerung durchaus plausibel: Die "Soehne" berichteten, mit ihren akademischen Vaetern habe man nicht ueber ihr Verhalten in der NS-Zeit reden koennen. Manche zeigten auch noch Spuren der "Loyalitaeten und Bindungen", auf welche die "Enkel", so Volker Ullrich in der Zeit, "keine Ruecksicht mehr nehmen" muessen.

In eine andere Richtung wiesen die beiden Diskussionsbeitraege, die nicht von laengst etablierten Historikern stammten und entsprechend in der Berichterstattung nirgends auftauchten. Herr Schoellgen aus Aachen machte Strukturen fuer die spaete Aufarbeitung verantwortlich und nannte als Beispiel, dass auf dem Historikertag nur Habilitierte auf dem Podium saessen. Ein Argument, das in anderen Sektionen eher ueberzeugt haette. Daniel Tibbe aus Giessen illustrierte ungewollt diese Argumentation. Sichtlich betroffen rief er zu einer "angemessen, sachlichen Diskussion" auf, um sich mit seiner geplanten Dissertation ueber den umstrittenen Mediaevisten Percy Ernst Schramm nicht auf eine Seite eines kommenden Historikerstreits schlagen zu muessen. Er empfand es anscheinend als Belastung, eventuell gegen einen Teil der einflussreichen Professoren Position beziehen zu muessen. Die Bedenken des Doktoranden werfen ein eigentuemliches Licht auf die Strukturen innerhalb der "Zunft".

Hinderte nun ein Generationen- oder ein Strukturenproblem die Historiker so lange daran, die eigene Geschichte aufzuarbeiten? Tatsaechlich sind beide Probleme nicht voneinander zu trennen: Das Generationenproblem als plausible Erklaerung setzt Strukturen mit bindenden Loyalitaeten und Abhaengigkeiten zwischen Schuelern und akademischen Vaetern bereits voraus. Ob diese als Problem empfunden werden, haengt von der Perspektive ab. Johannes Fried jedenfalls wich im Interview der "Welt im Gespraech", einem "Sonderdruck" der Welt, der Frage nach dem Sinn der Habilitation wortreich aus.

Die Sektion warf noch eine weitere unangenehme Frage auf: Ist die Tatsache, dass "sich eben jene Wissenschaftler nach 1945 unbestritten als innovative Vordenker erwiesen haben" (TAZ) wirklich der ausschlaggebende Grund dafuer, dass Werner Conze und Theodor Schieder "am Beginn der Karrieren all jener [stehen], die heute in der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft ueber Einfluss verfuegen" (FR)?

Die Salzburger Nachrichten berichteten, "dass auf dem Historikertag bereits erste Planungen fuer ein Handbuch ueber den gesamten Komplex der Geisteswissenschaften in der NS-Zeit getroffen worden seien." Dieses solle "saemtliche Forschungseinrichtungen und Vernetzungen von 1933 bis 1945" dokumentieren "und damit ueber personenbezogene Darstellungen hinausgehen." Spannend, das hat der Historikertag gezeigt, koennte auch ein Fortsetzungsband sein.

Andreas Staets und Gerhard Wille, Marburg

<Staets@stud-mailer.uni-marburg.de>
<Wille@stud-mailer.uni-marburg.de>


Quelle = Email <H-Soz-u-Kult>

From: Andreas Staets <Staets@stud-mailer.uni-marburg.de>
Subject: Diskussion: "Historiker im Nationalsozialismus"
Date: 21.09.1998


       

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