Lieber Herr Hammer und andere DiskutantInnen,

da sich offenbar auf dieser Liste eine inhaltliche Diskussion zu der (in meinen Augen sehr interessanten) Initiative anbahnt, moechte ich doch ein paar kritische Kommentare zu Ihrem Beitrag ergaenzen

> From: Michael Hammer,  <MAHammer@compuserve.com> NachwuchshistorikerInnen-Initiative

> [...] Ich wuerde jedoch neben die immer gerne gestellten Forderungen an die Universitaeten (die ihre Berechtigung haben) gerne die Ueberlegung stellen, ob nicht auch Historiker/innen, als traditionell etwas unternehmensferne Arbeitnehmergruppe,

Ehrlich gesagt, finde ich diese Bezeichnung polemisch und ideologisch: Warum soll Unternehmertum ein Kriterium für wissenschaftliches Arbeiten sein?!

> sicht nicht auch vorstellen koennen, Hochschullaufbahn und Taetigkeit in Unternehmen zu kombinieren.

Zunaechst einmal inhaltlich: Ich finde, wir muessen ganz klar unterscheiden zwischen dem berechtigten Vorwurf des "Elfenbeinturms" an diejenigen von uns, die sich in einem esoterischen, jargonbeladenen Gebiet nicht um fachinterne und externe Verstaendigung bemuehen, und andererseits der m.E. voellig ungerechtfertigten Vorstellung von Vermarktbarkeit wissenschaftlichen Wissens.

Zwar wissen wir aus der Wissenschaftsgeschichte sehr genau, dass wissenschaftliche Fragestellungen immer in verschiedene Interessen des Alltags eingebunden sind, die Vorstellung einer wertfreien Wissenschaft also bestenfalls naiv, schlimmerenfalls Propaganda ist; aber gerade deswegen sollte peinlichst darauf geachtet werden, diese Ueberlagerungen so gering wie moeglich zu halten und nicht noch durch erzwungene Marktfoermigkeit der Universitaeten zu verstaerken!

> Dieses erfordert von den Unternehmen und Universitaeten Flexibilitaet,

Zu wessen Nutzen?

> von den Akademiker/innen jedoch auch und zwingend die bereits angesprochene Oeffnung fuer die Drittmitteleinwerbung aus solchen nicht-etatisierten Positionen heraus.

Erstens ist gut bekannt, dass sich us-amerikanische Stiftermentalitaet nicht einfach per Dekret in Europa einfuehren laesst; zweitens erscheint mir die Drittmittel-Einwerbung allenfalls ein Notbehelf zu sein und keinesfalls eine zentrale Aufgabe der Unis darzustellen.

> Das 'Privatdozentenelend' koennte sich dann schnell in eine wirksame Partnerschaft von Praxis und Akademie verwandeln.

Es gibt solche Partnerschaften von HistorikerInnen, die fuer Konzerne Geschichte schreiben etc. Ob damit der Geschichte in irgendeiner wuenschenswerten Form geholfen ist... ?!?!

> Kein Jurist an der Universitaet sieht es als Problem an, nebenher in einer Kanzlei zu arbeiten, oder sogar eine solche zu fuehren, viele Naturwissenschaftler arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen im F&E Bereich, Hochschulmediziner haben Betten/Praxen etc.

Schlimm genug; aus meinem Studierenden- bis Habilitierenden-Bekanntenkreis kenne ich genuegend Opfer von Professoren, die "Besseres" zu tun haben als sich schnoede Magister- und Doktorarbeiten anzusehen oder sich um Habilitanden zu kuemmern, denen stattdessen ein Grossteil der Lehre aufgebuerdet wird. Vielleicht sollte man neben F&E auch mal an F&L denken, die altmodische Einheit von Forschung und Lehre ?!?

> Dieser Spagat ist intellektuell moeglich, wenn auch zeitlich schwierig  

Moeglich vielleicht, obwohl in meiner (zugegebenermaßen begrenzten) Kenntnis die Nachteile bei Weitem ueberwiegen, aber wuenschenswert ?!?!

> und kann auch zur Verbesserung des oeffentlichen Bildes der Geschichtswissenschaften / Kulturwissenschaften / Sprachwissenschaften / Sozialwisssenschaften beitragen.

In welcher Form? Wenn die elterliche Firma eines/r Studierenden Marktforschung als Semesterarbeit in Auftrag gibt oder ihre auslaendischen Kataloge von den ProfessorInnen des Nachwuchses gestalten laesst?

Wir sollten bei aller Selbstkritik verkrusteter Strukturen und zweifelhafter Studienbetreuung doch aufpassen, nicht zugleich auf extremistische Marktideologien hereinzufallen, anstatt gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse mit dem gebotenen Abstand kritisch zu begleiten. Noch einmal: die Einsicht, dass es interessefreie (disinterested im Sinne Mertons) Wissenschaft nicht gibt, laesst sich nicht dadurch entschaerfen, dass man gleich die gesamte Forschung und Lehre meistbietend versteigert.  Vielmehr waere es entscheidend, auf allen uns zur Verfuegung stehenden Ebenen auf eine Staerkung einer moeglichst unabhaengigen Forschung hinzuwirken.

Vorsorglich bitte ich um Entschuldigung, wenn meine Formulierungen allzu scharf klingen, aber ich kann diesen neoliberalen Extremismus einfach nicht mehr hoeren.

Rainer Broemer M.A.
Universitaet Goettingen
Institut fuer Wissenschaftsgeschichte
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From: Rainer Broemer <rainer_broemer@yahoo.com>
Subject: Re: NachwuchshistorikerInnen-Initiative
Date: 13.06.2000


       

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