Zur Wahrnehmung der Nachwuchs-Initiative
Sehen wir es also endlich ein: Es handelt sich um ein Phantom. Die
Nachwuchshistoriker/innen und ihre Initiative existieren eigentlich nur virtuell
oder vielleicht auch gar nicht, moeglicherweise am Rande. Jedenfalls ist
dies der Eindruck, der bei den Bilanzen des Historikertages in unseren
Printmedien, speziell der FAZ als einem ihrer Flaggschiffe, nahezuliegen
scheint. Mal wird das Fehlen der Koryphaeen beklagt, mal die Jugend des neuen
Vorsitzenden hymnisch besungen, dann wieder das Problem als "immer aktuell"
marginalisiert. Ohne Schwung "im alten Dieselton" seien die Aachener Tage
verlaufen, beklagte Ulrich Raulff (2.10.2000), weil die Alten fehlten. Aber
fuer einen Hoffnungsschimmer sorge der neue "Stammeshaeuptling" Hildermeier
mit seinen jugendlichen 48 Jahren, so Raulff am 20.10.2000. Und Michael Borgolte
schliesslich sieht im Fest- und Schlussvortrag die eigentlichen
"elektrisierenden" Hoehepunkte in Aachen, waehrend der Hinweis von Thomas
Mergel auf die Nachwuchsproblematik als "Verzerrung der Proportionen" kritisiert
wird (23.10.2000).
Man reibt sich verwundert die Augen als Zeuge der Aachener Ereignisse. Immerhin
nahm die Debatte um die Anliegen des wissenschaftlichen Nachwuchses doch
breiten Raum auf den Mitgliederversammlungen ein. Immerhin wurden mit Sylvia
Paletschek und Thomas Mergel gleich zwei Nachwuchsleute in den Ausschuss
des Verbandes gewaehlt. Und schliesslich gab es eine gut besuchte
Podiumsdiskussion zum Thema. Es ist also eigentlich weder ein Anlass gegeben,
die Nachwuchs-Initiative zu tabuisieren noch sie zu "normalisieren". Dennoch
scheint dies derzeit in den grossen deutschen Zeitungen der Fall zu sein.
Handelt es sich also wirklich bei der Initiative nur um ein Phantom, geboren
im kurzlebigen Internet und bald vergessen?
Die Initiatoren des Aufrufs und alle rund 120 Unterzeichner muessten ihr
Engagement als ueberfluessig, gar verfehlt ansehen, wenn ihre Monita als
voruebergehendes, gar zyklisch sich wiederholendes Phaenomen aufgefasst wuerden,
das nicht ueberbewertet werden duerfe. Auch waere es endlich an der Zeit,
dass das hartnaeckige Missverstaendnis, es handele sich um eine
Privatdozenten/innen-Initiative ausgeraeumt wird. Schliesslich sei es allen
"etablierten" Professoren gesagt: die Situation ist nicht mit derjenigen
in den sechziger und siebziger Jahren vergleichbar; eine noch so breite
historische Ausbildung vergroessert die Chancen des sich habilitierenden
Nachwuchses keineswegs; und mit einer verlaengerten Beschaeftigungsmoeglichkeit
in zeitlich befristeten Stellen ist das Problem keineswegs vom Tisch.
Waeren zuletzt noch die Politiker, die quasi im Vorgriff auf das Schweigen
der Medien erst gar nicht zur Aachener Podiumsdiskussion erschienen waren.
Ob dahinter eine neue politische Taktik der Nichtwahrnehmung steckte?
Schliesslich sind die paar hundert jetzigen und kuenftigen Privatdozenten
wahltechnisch gesehen eine quantité négligeable.
Es muessen dringend deutlich vernehmliche Wortmeldungen vor allem auch ausserhalb
des Internet erfolgen, um eine breitere Oeffentlichkeit fuer die Probleme
des geisteswissenschaftlichen Nachwuchses zu interessieren und zu
sensibilisieren. Die Nachwuchs-Initiative der Historiker/innen darf kein
Phantom bleiben. Dafuer sollten nicht nur die bisherigen Unterzeichner der
Aachener Resolution, sondern alle Betroffenen in und ausserhalb der
Universitaeten sorgen.
Dr. Ewald Grothe, Wuppertal
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